Geburten im Film wirken oft seltsam romantisiert. Die Schwangere hat vielleicht etwas Schweiß auf der Stirn, rosige Wangen und schreit etwas. Kaum versieht man sich, ist das Baby auch schon in den Armen der glücklichen Eltern. Um den Hollywood- Perfektionismus auf die Spitze zu treiben, finden Geburten in Liebesfilmen häufig in den letzten Minuten der Geschichte statt. So wird mit dem neuen Leben das Publikum in eine wohlige Zufriedenheit entlassen. Im neuen Netflix-Drama „Pieces of a Woman" läuft das anders ab. Der Film über ein Paar, das den ultimativen Verlust erlebt, ist von einem Paar erdacht. So stecken hinter dem Projekt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó und seiner Lebenspartnerin und Drehbuchautorin Kata Wéber.
Kaum hat man die Vertrautheit der ungleichen, aber glücklichen Liebenden Martha und Sean ( Vanessa Kirby und Shia LaBeouf) beim Autokauf oder der Dekoration des Kinderzimmers miterlebt, geht es zwischen Esstisch und Badewanne gleich ans Eingemachte. Die zuvor sauber geschmiedeten Pläne gehen nicht auf, denn Martha hat bereits starke Wehen, als ihre Hebamme wegen eines Notfalls absagt. Ersatz in Gestalt von Hebamme Eva (Molly Parker) muss her, um die gewünschte Hausgeburt doch noch durchzuführen. In einer länger als zwanzigminütigen Szene ehrt Vanessa Kirby mit ihrer kraftvollen Darstellung die Fähigkeiten des weiblichen Körpers. Jede angespannte Halsader, jede gekrümmte Sitz- und Liegeposition sowie jedes tiefe Krächzen aus ihrer Kehle erschaffen eine ganz neue Ebene des spürbar gemachten physischen Kampfes. Da können Actionszenen, was Intensität angeht, einpacken.
Inspiriert durch einen wahren VerlustWährend die Kamera das Publikum zwischen Bangen und absolute Vorfreude mit den gezeigten Bildern weiter aufreibt, scheuen sich die Filmemacher nicht vor natürlichen Details - etwa Körperflüssigkeiten. Je länger es dauert, desto mehr wagt man auch als Zuschauer*in zu hoffen. Doch es kommt anders. Als Sean barfuß über den Asphalt zum herannahenden Krankenwagen eilt, birgt das Verstummen des Kindes bereits eine unerträgliche Realität. Der Schock darüber ist der Anfang, denn erst jetzt wird der Titel des Films eingespielt.
„Pieces of a Woman" - ist das erste Werk von Regisseur Mundruczó, das nicht in Ungarn, sondern an einen unbestimmten Ort in den USA spielt. Als Produzent fungiert kein Geringerer als Martin Scorsese. In Mundruczós vorherigen Film „Jupiter's Moon" (2017) hat er eine Fluchtgeschichte mit Sci-Fi gepaart. Für „Pieces of a Woman" verlässt er die Wege des Übernatürlichen wieder und schwenkt ins absolute Gegenteil. Er präsentiert zwar eine fiktive Story, doch die Inspiration stammt aus einer eigenen Erfahrung. Kata Wéber und er haben ein Kind verloren, was die beiden in einigen Interviews teilten.
Die Geburtsszene bleibt über die Rezeption hinaus im Gedächtnis. Vanessa Kirby, die zuvor in der Serie „ The Crown", die jüngere Schwester der britischen Königin Elisabeth II. spielte, werden Oscar-Chancen ausgerechnet. Der Film hat aber mehr zu bieten und kann die Intensität der Szene sogar erneut erreichen. Denn was passiert danach? Der Tod eines Babys und das daraus resultierende Trauma gilt als Tabuthema. Nur wenige, wie etwa das Model Chrissy Teigen, brechen ihr Schweigen.
Im Film wird die Handlung knapp einen Monat später wieder aufgegriffen. Martha ist zurück an ihrem Arbeitsplatz. Von Rückkehr kann aber keine Rede sein. Verfolgt von den mitleidigen Blicken ihrer Bürokolleg*innen, erinnert durch ihre Brust, die Muttermilch produziert, kehrt sie ihre Trauer nach innen. Ihr Partner, der Bauarbeiter und ehemalige Drogenabhängige Sean, reagiert dagegen offensiv. Dieses konträre Verhalten sorgt für viele Fehler in der Kommunikation.
Ein verzweifelter Moment von Nähe und die Frage nach ZustimmungDas kulminiert in einem letzten verzweifelten Akt. Um an die vorherige Nähe wieder anzuknüpfen, will Sean Sex mit Martha. Seine unangemessene aggressive Vorgehensweise stellt zunächst die Frage der Zustimmung in den Raum. Reicht ihr gemurmeltes „Okay" aus? Ein schwieriges Seherlebnis vor allem, wenn Zuschauer*innen, die Vorwürfe des Missbrauchs gegen den Schauspieler Shia LaBeouf im Hinterkopf haben. Kirbys erneutes körperliches Hochleistungsspiel sollte dabei aber nicht übersehen werden....