Warum viele Anwohner im Afrikanischen Viertel nichts von einer Umbenennung ihrer Straßen halten.
Berlin. Der „African Market Monsieur Ebeny" ist ein kleiner, unscheinbarer Laden an der Kameruner Straße. Im Schaufenster stehen hölzerne Masken, es gibt Bobolo - in Palmblätter eingewickelte Maniokstangen - , afrikanischen Bitterspinat und Erdnussbutter zu kaufen. Die Menschen, die hier ein und aus gehen nennen ihn „das Parlament". Mitunter sitzen hier bis zu elf Menschen aus neun verschiedenen Ländern Afrikas an einem Tisch und debattieren über das Weltgeschehen.
Die Kolonialherren hätten schmutzige Hände, sagt Besitzer Dayo* über die Namensgeber der Petersallee, der Lüderitzstraße und des Nachtigalplatzes. Er und sein befreundeter Ladenbesucher Bacary* möchten ihre echten Namen nicht nennen, mitreden dagegen schon. Denn: „Niemand ist freiwillig kolonialisiert", sagt Bacary. Das sah auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte so, die seit 2016 mäßig erfolgreich auf der Suche nach neuen Straßennamen ist. Bis Ende September sollen sie gefunden sein.
Carl Peters war der „Mann mit den blutigen Händen", ein Historiker, der ostafrikanische Häuptlinge in der Region Usagara dubiose Verträge unterzeichnen ließ, um deren Gebiete anschließend auszubeuten. Den Spitznamen erhielt er von den Afrikanern. Die Nationalsozialisten widmeten ihm 1939 die Petersallee. Statt diese umzubenennen, widmete die BVV die Straße 1986 kurzerhand dem Widerstandskämpfer Hans Peters.
Mit der Lüderitzstraße wurde in Adolf Lüderitz ein Mann geehrt, der ähnlich kreativ wie kriminell war. Mithilfe des „Meilenschwindel" erwarb der Großkaufmann in den 1890er-Jahren große Landflächen im heutigen Namibia. Er ließ die dort beheimateten Nama im Glauben, der Vertrag meine die mit etwa 1,6 Kilometern deutlich kleineren englischen Meilenangaben. In Wahrheit machte er sich aber die Fläche der geografischen Meilen, die rund 7,5 Kilometer lang sind, und damit etwa viermal so viel Land zu eigen.
Beglaubigt wurden die so eingenommenen Flächen vom damaligen Reichskommissar für Deutsch-Westafrika, Gustav Nachtigal. Der Fall des Afrikaforschers ist nicht so eindeutig wie bei Peters und Lüderitz. Der Namensgeber des Nachtigalplatzes äußerte stets seine Ablehnung gegenüber der Kolonialisierung und forderte deren Beendigung. Trotzdem ließ er sich von Reichskanzler Otto von Bismarck überreden, den Posten des Reichskommissars zu übernehmen. Auch in Geiselnahmen und Erpressungen soll Nachtigal in Afrika verwickelt gewesen sein. Die meisten Anwohner stört das jedoch wenig.
„Was ist so schlecht am Namen Nachtigalplatz", fragt Marion Stielow, während sie sich am selbigen Platz aus dem Küchenfenster im ersten Stock lehnt und ihren Enkeln beim Spielen auf der Straße zuschaut. „Für uns haben sie doch Gutes getan", sagt sie. In Stielows Augen macht eine Umbenennung keinen Sinn, sie wüsste dann nicht mehr, wo sie wohne. Unterstützung erhält sie von Tochter Jennifer. „Es sind doch nur Namen", findet die 30-Jährige, „die Menschen sind doch gar nicht mehr da." Sie zeigt, eines ihrer Kinder umarmend, auf das Straßenschild. Wenn die Politik unbedingt darauf bestünde, dann solle der Platzname einfach um ein „l" ergänzt werden. „Dann wäre es wenigstens ein schöner Vogel", ruft Mutter Marion.
Doch so einfach ist es nicht, weiß Politikerin Sabine Weißler. Die Abteilung der Stadträtin für Kultur und Straßen ist dafür zuständig, den Beschluss der BVV zu bearbeiten. „Das haben wir getan, und wir tun es weiter", sagt Weißler. Der zweite Teil ihrer Aussage ist entscheidend. Denn in der Folge eines CDU-Antrags 2016 rang sich die BVV zu dem Entschluss durch, zunächst Namensvorschläge aus der Bevölkerung einzuholen. Eine Jury bestehend „aus Bezirksamt, Mitgliedern der BVV, Aktiven der afrikanischen/postkolonialen Community und weiteren Initiativen" sollte auswählen. Das tat sie, Ende Mai dieses Jahres. So weit, so gut, bis sich herausstellte, dass unter den ausgewählten - dem Beschluss aus dem Vorjahr entsprechenden - „Frauen der (post-)kolonialen Befreiungs- und Emanzipationsbewegung aus Ländern Afrikas" eine befindet, die wohl kaum besser war als die Herren, deren Namen bislang die Straßenschilder zieren: Königin Nzinga von Matamba. Zwar kämpfte diese in ihrer Heimat gegen eine Invasion Portugals, betrieb jedoch auch Sklavenhandel. Nun werden alle Vorschläge von einer wissenschaftlichen Kommission geprüft.
Ungeachtet dessen sträuben sich auch die Anwohner der Lüderitzstraße gegen „Rennereien" zum Amt, um die Anschriften auf ihren Personalausweisen ändern zu lassen. „Die Namen sollen einfach so bleiben", findet Svenja Hopha. Die 31-jährige Veranstaltungskauffrau wohnt seit neun Jahren in der Straße, zusammen mit Freund Jean-Paul Feth. Feth hält zwar die politische Korrektheit für wichtig, schließt sich der Meinung Hophas aber an. „Das interessiert doch niemanden, nach wem die benannt sind. Das Geld sollte lieber in Polizei investiert werden." Besonders an der Straßenecke zur Kameruner Straße könne die Uhr gestellt werden: „Ab 21 Uhr ist Halli-Galli, jeden Abend", empört sich Feth. Dagegen seien die Straßennamen doch unwichtig.
Das sehen auch Hannelore und Udo Funk so. Besonders Frau Funk hält das Vorhaben für „Schwachsinn": „Ich finde das albern. Was das wieder kostet, das stört mich", redet sie sich in Rage. Ihr Ehemann versucht zu beschwichtigen: „Der Mensch Lüderitz hat sich nicht mit Ruhm bekleckert." Trotzdem seien andere afrikanische Namen, die niemand aussprechen könne, überflüssig. Dann doch lieber eine Frau, die sich im Wedding verdient gemacht habe statt in Afrika, meint Herr Funk.
Unterdessen nippt Bacary im African Market an seinem Bier. „Geschichte kann man nicht ändern", sagt er. Auf die Ansichten der deutschen Anwohner erwidert er: „Man nennt das Afrikanisches Viertel und in dessen Mitte benennt man Straßen nach Leuten, die Afrikaner gepeitscht haben". Die Täter des Kolonialismus gleichermaßen mit Straßennamen zu honorieren, wie die Opfer, sei unangemessen, findet der 57-Jährige. Seit 17 Jahren wohnt der in Niger geborene Sozialarbeiter bereits in Berlin. „Ich kann mitreden", sagt er und betont, dass es eine Ehre sei, dass es dieses Viertel gebe. Aber: „Wenn, dann richtig."
*Namen geändert
Streit um Umbenennungen in Berlins Afrikanischem Viertel
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