Wenn Sie sich die Herausforderungen der Menschheit am Beginn des 21.Jahrhunderts ansehen, sind die doch gewaltig. Allein der Klimawandel und das weltweit starke Bevölkerungswachstum stellen uns vor gravierende Probleme: Wie kann man die Menschen mit Nahrung und Trinkwasser versorgen? Was tun wir gegen das Aussterben von Arten und gegen den Schwund von Ackerböden? Da brauchen wir hochkomplexe Lösungen, die sich nur von Menschen mit hohem Bildungsstand finden lassen. Insbesondere für die Bevölkerung in armen Ländern ist Bildung tatsächlich eine Frage des Überlebens.
Millionen Menschen flüchten grade in Richtung Europa, und es scheint, dass wir aktuell jenen Konflikt mit der islamischen Welt erleben, über den Samuel Huntington in „Kampf der Kulturen" schreibt. Sie behaupten, in Wirklichkeit sei das ein Konflikt zwischen gebildeten und ungebildeten Gesellschaften. Wie kommen Sie auf diese These?
Aus meiner Sicht ist das ein Kampf der Bildungskulturen. Wir wissen, dass die westliche Welt vor 500 Jahren begonnen hat, die Bildung der breiten Massen voranzutreiben - durch Zufall ausgelöst von Martin Luther. Der Reformator wollte, dass sich jeder Gläubige selbst den Weg zu Gott sucht. Deshalb hat er die Bibel auf Deutsch übersetzt und sich dafür eingesetzt, dass die Leute lesen und schreiben lernen. Die arabische Welt, die im 14. Jahrhundert noch viel weiter als Europa entwickelt war, verlor dagegen ihren Vorsprung, nachdem der Sultan von Konstantinopel den Buchdruck in der arabischen Welt unter Todesstrafe verbot. Das Gesetz galt über 300 Jahre lang. In dieser Zeit haben in der westlichen Welt die Aufklärung und die industrielle Revolution stattgefunden, Pluralität und Demokratie sind entstanden. Das spiegelt sich heute in den Entwicklungsunterschieden. Hinzu kommt, dass es in der arabischen Welt die Tendenz gibt, die westliche Kultur als Feind und Unterdrücker zu sehen. Dadurch entsteht der Kampf der Kulturen, ausgelöst durch einen unterschiedlichen Bildungsstand.
Aufhänger für den Konflikt sind aber doch vor allem die unterschiedlichen Weltanschauungen und Religionen. Ist es nicht sehr verkürzt, zu behaupten: das liegt nur am Bildungsrückstand?
Im Ursprung hat der Kampf der Kulturen mit Religion nichts zu tun. Wir erleben ihn gegenüber Teilen der arabischen Welt. Aber wir kennen auch islamische Staaten wie Indonesien und Malaysia, wo die Mehrheit der Muslime lebt und wo Bildung inzwischen eine große Bedeutung hat. Da gibt es diese Vorbehalte nicht, und diese Länder entwickeln sich ähnlich gut wie andere asiatische Staaten.
Viele junge Menschen in der arabischen Welt, etwa in Ägypten und Tunesien, sind allerdings inzwischen relativ gut ausgebildet. Was ihnen fehlt, sind berufliche Perspektiven. Bildung scheint also auch nicht viel zu helfen, wenn Arbeitsplätze fehlen, oder?
Richtig. Das ist aktuell ein besonderes Problem der arabischen Welt. In zahlreichen Ländern hat sich dort die Bildung verbessert. Aber weil es unzählige bürokratische Hürden, Staatsbetriebe und Vetternwirtschaft gibt, ist daraus kaum ein Unternehmertum entstanden. Menschen mit Geschäftsideen haben es einfach sehr schwer, weil die unternehmerischen Freiheiten fehlen. Viele Staatsbetriebe wollen keine private Konkurrenz haben. Deswegen gibt es eine große Zahl an jungen, vergleichsweise gut gebildeten Menschen, die sich um unsere Chancen betrogen fühlen und auf die Straßen gehen. "Zu viel Hilfe von außen ist schlecht. Aber das Geld reicht noch längst nicht."
Ein ähnliches Problem haben wir gerade in zahlreichen südeuropäischen Ländern. Auch in Spanien, Italien, Griechenland ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Wie schafft man berufliche Perspektiven für diese Generation?
Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass aus Bildung Produkte und Dienstleistungen werden, wenn man das private Unternehmertum fördert - am besten bereits in den Schulen und natürlich an den Universitäten. Das fehlt in vielen Ländern und führt dazu, dass die jungen Menschen nach dem Studium lieber einen Job beim Staat haben wollen, als sich auf das Abenteuer einer Unternehmensgründung oder auf die freie Wirtschaft einzulassen.
In Ihrem Buch fordern Sie, global in Bildung zu investieren. Warum können sich Länder mit schlechten Bildungssystemen nicht selbst aus der Misere befreien?
Das ist eine wichtige Frage. Länder, die sich in der Vergangenheit wirklich gut entwickelt haben, taten das häufig aus eigener Kraft. Finnland und Japan sind dafür gute Beispiele. Wenn zu viel Hilfe von außen kommt, schwindet häufig die Eigeninitiative und Korruption wird gefördert. Aber in vielen armen Ländern fehlt heute schlicht das nötige Geld, um Schulen für die stark wachsende Bevölkerung zu bauen und genügend Lehrer auszubilden. Dort braucht es also Unterstützung von außen. Bislang wird da viel zu wenig getan. Von internationalen Entwicklungsgeldern fließen grade mal knapp zwei Prozent in die Basisbildung. Das kann angesichts der Probleme nicht reichen. Wir haben ja in Deutschland teilweise schon Probleme, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Wie soll das in vielen afrikanischen Staaten gelingen, in denen nicht einmal alle Kinder eine Grundschule besuchen können?
In Entwicklungsländern wird die Ausstattung mit Computern und Internetzugängen immer wichtiger, um die Schulen zukunftsfähig zu machen. Wie verändert dort die Digitalisierung die Bildungschancen?
E-Learning-Programme bieten in ärmeren Ländern ganz neue Möglichkeiten, an Wissen zu kommen. Das ist allein deshalb wichtig, weil in einigen Regionen die Zahl der Kinder so schnell wächst, dass es teilweise schwer ist, genügend Lehrer auszubilden. Wenn es dort gelingt, in den Schulunterricht Lernsoftware und Online-Unterreicht zu integrieren, dann haben die plötzlich einen großen Vorteil: Heute ist es ja möglich, sich selbst Vorlesungen von einigen der besten Universitäten der Welt über das Internet anzuschauen. Dadurch bietet sich für die Jugendlichen die Chance, einen großen Bildungssprung zu machen.
Welche langfristigen Perspektiven entstehen daraus für die Entwicklungsländer?
Im besten Fall wird sich die Bildung ähnlich rasch ausbreiten, wie in den asiatischen Tigerstaaten vor dreißig Jahren. Dort konnten deutlich mehr Menschen Beschäftigung finden, der Druck auf die Arbeitsmärkte hat sich reduziert und die Länder wurden friedlicher. Vor allem wuchs die Bevölkerung nicht mehr so schnell, weil die Menschen eine Perspektive bekamen und nicht mehr so viele Kinder bekamen, die früher für eine Altersversorgung notwendig waren. Das jedenfalls waren die Nebeneffekte der wirtschaftlichen Entwicklung in den asiatischen Staaten.
Wenn die Menschen in den ärmeren Ländern besser qualifiziert werden, bedeutet das für uns auch einen größeren internationalen Bildungswettbewerb. Warum lohnt es sich trotzdem auch für uns, in diesen Ländern Schulen und Universitäten zu fördern?
Im Moment erleben wir große Flüchtlingswellen, die sicherlich nicht weniger werden, weil in vielen Ländern neue Krisen drohen. Wenn wir daran irgendetwas ändern wollen, wird das Zäunebauen auf Dauer wenig nützen. Wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen, müssen wir am Kern des Übels ansetzen und die Menschen in den Ländern befähigen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das geht am besten über Bildungsförderung sowie Investitionen in Gesundheitssysteme und Arbeitsmarktprogramme. In Ländern, wo die Bevölkerung schneller wächst als die Zahl der Arbeitsplätze, brauchen die Menschen vor allem eins: Jobs.
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