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Sein Fuß wippt auf und ab. Er bewegt sich immer genau im Takt der Musik. Dazu steigen dann auch die Hände ein. Abwechselnd schlagen sie auf eine Stange aus schwarzem Metall. Erst die linke Hand, dann die rechte - im schnellen Wechsel. Parallel dazu der Fuß. Einen Ton geben weder die Hände noch der Fuß von sich. So scheint es zumindest. Denn jeder Ton hinter der Bühne erstickt sofort.
Gegen den Geräuschpegel auf der Bühne kommen die Arbeiten im Backstage-Bereich nicht an. Der Arbeiter, ein schätzungsweise 1,60-Meter kleiner Mann, trägt einen weißen Helm. Oberhalb seines T-Shirts sind Tattoowierungen zu erkennen. Sie ziehen sich bis auf seine Stirn hinauf. Mit seinem Fuß wippt er zur Musik.
Es ist 12 Uhr am Mittag, das erste Konzert auf dem Southside Festival läuft bereits. Vor der Bühne haben sich einige Fans versammelt. Sie tanzen zu dem Beat, den die Band Kolari zu hören gibt. Sie sind laut, sie sind wild, sie schreien in ihre Mikrofone. In der heißen Mittagssonne sind die anderen Bühnen noch leer, umso lauter erfüllen die Töne von der Green Stage das gesamte Festivalgelände.
Hinter der Bühne ist die Musik deutlich zu hören. Und zu fühlen - der mit Gummi belegte Boden vibriert, als der Bass brummt. Durch die Schuhsohle der Turnschuhe ist die Vibration deutlich zu spüren. Es kitzelt leicht unter dem Fuß. Das Zelt wird von silbernen Metallstangen gehalten.
Unendlich viele Meter Kabel liegen auf dem Boden, ragen an den Wänden nach oben. Sie beginnen in einer Steckdose oder dem Mischpult auf dem Bühnenboden. Irgendwann verliert sich die Spur im Kabelsalat, denn zig Scheinwerfer über und seitens der Bühne werden mit Strom versorgt. In der Luft liegt der Duft der Nebelmaschine. Er schmeckt bitter auf der Zunge, verbreitet sich schnell hinter der Bühne. Dann findet er eine Lücke im Zelt und verschwindet ins helle Tageslicht.
Tageslicht, das haben die Mitarbeiter hinter der Bühne zum Arbeiten nicht. Es ist stockduster. Der Boden, die Wände - alles ist in dunkles Schwarz getaucht. Nur an den Seitenrändern der Bühne fällt das helle Sonnenlicht in die Backstage-Dunkelkammer. Ein kurzer Blick auf die Bühne, es fühlt sich an, wie nach dem Aufstehen am Morgen. Wenn das Rollo geöffnet wird und zum ersten Mal wieder Tageslicht in das Zimmer fällt. Unterbewusst kneifen sich direkt die Augen zusammen.
Es herrscht kollektive Gelassenheit im Backstage-Bereich. Einige der Mitarbeiter haben ihre Arme auf große Kisten gelegt, sie stützen ihren Kopf ab und lauschen der Musik. Pausenstimmung. Einige schieben sich eine Zigarette in den Mund. Lässig hängt sie an der Seite heraus. Herausnehmen müssen sie die Kippe nur, um daran zu ziehen. Ansonsten bleibt der Mund verschlossen, keiner spricht ein Wort. Gegen den Pegel der Bühnen scheinen die Stimmbänder der Mitarbeiter machtlos. Statt mit Worten wird mit Gesten gearbeitet. Ein kurzes Zeichen, dann wissen die Mitarbeiter Bescheid.
Umso näher das Konzertende rückt, desto fleißiger werden die Arbeiten. Nach und nach baut das Team die Leinwand auf. Diese hängt von der Decke. Schritt für Schritt ziehen sie sie an den silbernen Metallketten weiter in Richtung Bühnendecke. Zeitgleich fassen etwa zehn Mitarbeiter den unteren Teil mit ihren Händen an.
Unter den Mitarbeitern ist auch eine Frau, sie trägt pinke Handschuhe. #Stagecrew steht auf ihrem schwarzen T-Shirt. Mit vereinten Kräften schieben sie den Leinwaldteil nach vorne, dann befestigen sie ihn. Von der Arbeit bemerken die Zuschauer vor der Bühne nichts. Die Leinwand ist hinter einem dicken, schwarzen Tuch versteckt. Nur ein kleiner Schlitz ist sichtbar. Ein Mitarbeiter wirft einen Blick hindurch.
Plötzlich ist ein lauter Knall zu hören. Er durchbricht den Pegel der Musik. Eine der großen Kisten mit Material ist umgefallen. Schnell stellt ein Backstage-Mitarbeiter sie wieder auf, während rundherunm bereits Rollwagen mit Musikinstrumenten bereit stehen. Am Schlagzeug sitzt ein junger Mann - Mitglied einer Band vielleicht - er bewegt seine Schlagzeugstöcke, doch sie treffen weder Trommel noch die Becken. Das Schlagzeug bleibt still. Der Wind zieht durch den hinteren Backstage-Bereich. Frische Luft. Stickig ist es nicht, trotz der etwa 40 Mitarbeiter zieht von allen offenen Seiten frische Luft hinein. Kein Geruch von Schweiß und Zigarettenqualm.
Nach 25 Minuten ist das Konzert beendet. Die Künstler kommen von der Bühne, es gibt einen Schluck Wasser, einen Klaps auf die Schulter. Sie lächeln zufrieden. Die Musik läuft weiter bis sie schließlich vollends verstummt. Stille. Plötzlich sind Stimmen zu hören. Eins, zwei, drei - zählt ein Mitarbeiter als die Scheinwerfer nach unten gefahren werden. "Stopp", sagt er dann laut. Die Mitarbeiter rollen die Instrumente auf die Bühne und schließen sie dort an, ein Banner wird auf der Bühne gespannt.
Kaum ist ein Konzert vorbei, beginnt der Aufbau für das nächste. Alles, was die Arbeiter hinter der Bühne bereitgestellt haben, fahren sie nun auf die Bühne. Auch weiterhin bleiben Worte die Ausnahme. Es scheint, als hätten sich die Mitarbeiter an die Verständigung ohne Worte gewöhnt - sie verstehen sich ohne Worte oder geben sich kurze Zeichen.
Nun haben sie eine halbe Stunde bis zum nächsten Konzert Zeit. Keine Hände und Füße wippen mehr. Der Backstage-Arbeiter mit den auffälligen Tattoos zieht noch ein letztes Mal an seiner Zigarette. Dann drückt er sie aus. Wortlos macht er sich wieder an die Arbeit.
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