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Ulrike Müller ist genügsam. Wasser aus der Leitung reicht ihr, als sie den SÜDKURIER zum Gespräch trifft. Denn: Als Europaabgeordnete hat die 56-Jährige an der europäischen Trinkwasserrichtlinie mitgearbeitet. „Ich muss unser gutes Wasser trinken", sagt sie deshalb. Die Politikerin sitzt als einzige Abgeordnete der Freien Wähler seit fünf Jahren im Europaparlament. Eine Frau in der Männerdomäne. Auch in diesem Jahr ist sie Spitzenkandidatin für die Europawahl.
Brüssel ist ihr Lebensmittelpunkt, doch ihre Heimat liegt im bayrischen Wiederhofen, einem Ortsteil von Missen-Wilhams, einem kleinen Ort, der sich selbst „Luftkurort im Herzen des Allgäus" nennt. Ein Bauernhof mit 80 Milchkühen, 75 Hektar Land auf 1000 Metern Höhe. Hier ist sie Mutter, Ehefrau, Oma und Bäuerin. „Ich habe heute früh schon meine Kühe gemolken", sagt Müller und lächelt stolz. Am Tisch des Cafés sitzt sie als schick gekleidete Politikerin. Dafür hat sie Gummistiefel gegen Blazer und Handschuhe gegen Perlenschmuck getauscht.
Ulrike Müller ist in Augsburg geboren und zur Realschule gegangen. Ihre Eltern waren Handwerker, hatten eine eigene Schlosserei. Mit 18 Jahren hat Müller geheiratet, „viel zu früh" sagt sie, zog dann zu ihrem Mann auf den Bauernhof im Allgäu. Knapp ein Jahr später kam ihr Sohn auf die Welt. Ihre Tochter folgte im Alter von 21 Jahren. Müller lebte sich auf dem landwirtschaftlichen Familienbetrieb ein, machte sogar eine Ausbildung als landwirtschaftliche Hauswirtschaftsmeisterin. „Ich sage immer: Eigentlich habe ich ja nichts gelernt und bin trotzdem im Parlament", sagt Müller und lacht.
In ihrer Fraktion im Europäischen Parlament ist Ulrike Müller umgeben von Männern. Erst der 5. Listenplatz ist wieder mit einer Frau besetzt. Ob sie sich eine Frau an ihrer Seite wünschen würde? „'türlich", sagt Müller entschlossen. Von ihren männlichen Kollegen lässt sie sich nicht unterbuttern. Sie verschaffe sich den nötigen Respekt durch ihre Argumentation. „Männer lassen sich überzeugen, wenn man etwas gut begründet", bemerkt Müller. Frauen müssten sich dabei grundsätzlich mehr in ein Thema einarbeiten und es gut vorbereiten. „Mehr als manche Männer", findet Müller.
Mit ihrem Umzug in den 100-Seelenort Wiederhofen vor 38 Jahren kam Ulrike Müller zur Politik. „Als junge Mutter kam ich früh mit der Gemeinde in Berührung", erinnert sie sich. Mit 25 Jahren trat sie der Partei Die Freien Wähler bei. 1996 wurde sie Mitglied des Kreistags Oberallgäu und Gemeinderätin in Missen-Wilhams. Ab 2002 war sie sechs Jahre lang zweite Bürgermeisterin und stellvertretende Landrätin. „Neben der Landwirtschaft war es mir schon immer wichtig, kommunale Interessen zu vertreten", betont die Politikerin.
Und das tut sie nun schon seit über 23 Jahren auf kommunaler und seit fünf Jahren auf europäischer Ebene. Doch auch in Brüssel spielt die Lokalpolitik für sie eine große Rolle. Gibt es Gesetzesentwürfe von der Kommission, spricht Müller mit lokalen Unternehmen darüber, was das für ihre Arbeit bedeuten würde. „Ich möchte auf keinen Fall, dass die Bürger mit einem europäischen Beschluss belastet werden." Die Bayerin wirkt bodenständig. Die Arbeit als Bäuerin habe sie geerdet, sagt sie. Auch ihre Tätigkeit als Europaabgeordnete ließ sie nicht abheben.
Als Abgeordnete in Brüssel ist Müller weiterhin verwurzelt wie kaum jemand anderes. Von Montag bis Donnerstag ist sie in Brüssel, hat Termine bis zehn Uhr abends. Im Anschluss geht es in Richtung Allgäu, Freitag und Samstag ist sie in Bayern unterwegs.
70 Stunden in der Woche, 48 Sitzungswochen im Jahr - die Arbeit als Politikerin ist für Ulrike Müller mehr als ein Vollzeitjob. „Ich habe noch nie so viel Geld verdient, aber auch noch nie so viel gearbeitet", gibt Müller zu. Am Sonntag hat sie dann mal Zeit für die Familie und die Kühe. Doch auch wenn sie vom stressigen Alltag spricht, weicht ihr das Lächeln nicht von den Lippen. Das zeigt: Diese Frau hat Spaß an dem, was sie tut.
Europaabgeordnete und Lokalpolitikerin, gleichzeitig Ehefrau, Mutter und Oma. Keine leichte Aufgabe. Gutes Zeitmanagement sei dafür sehr wichtig. Mit Bildungsangeboten will sie Frauen unterstützen, damit sie sich in der Politik engagieren. „Ich fördere in meiner Partei gezielter Frauen", sagt Müller. Frauen hätten ein gutes Gespür dafür, was die Menschen bewege. Als Müller von den Vorzügen Europas spricht, gerät sie ins Schwärmen.
Die Möglichkeit, über Grenzen zu fahren, die Internetnutzung in Europa - „ich will, dass die jungen Leute Europa so kennenlernen, wie es heute ist." Eine Amtsperiode will Ulrike Müller noch machen, nach zehn Jahren Brüssel seien dann andere Leute an der Reihe. Zeit genug für den Besuch ihrer dreijährigen Enkelin. Die habe zu ihr gesagt: „Allgäu-Oma, ich muss dich mal in Brüssel besuchen." Den Bauernhof kennt sie schließlich schon.
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