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Leerflüge der Flugbereitschaft: Wenn Regierungsflieger ohne Regierung fliegen

Die Flugbereitschaft der Bundesregierung hebt meistens ohne Passagiere ab. Ist das ein Umweltskandal – oder unvermeidbar?             


Die neue Bundesregierung will alles tun, um die CO₂-Emissionen der Luftfahrt zu senken. So liest sich zumindest der Koalitionsvertrag. "Deutschland soll Vorreiter beim CO₂-neutralen Fliegen werden", heißt es da und dass sich die Ampel-Parteien bei der EU für einen Mindestpreis für Flugtickets einsetzen wollen. Die Botschaft ist klar: Der Flugverkehr muss weniger und umweltfreundlicher werden.

Da passt es schlecht ins Bild, dass die meisten Flüge der Flugbereitschaft der Luftwaffe keine Passagiere an Bord haben. Das teilte das Bundesverteidigungsministerium vergangene Woche auf Anfrage der Linkspartei mit. Seit November 2020 seien Regierungsmaschinen 431-mal zwischen Berlin und dem Flughafen Köln/Bonn geflogen, wo die Flugbereitschaft der Luftwaffe stationiert ist. 78 Prozent davon haben demnach die knapp 500 Kilometer lange Strecke leer zurückgelegt. Die Bundeswehr spricht von "Bereitstellungsflügen ohne Passagiere".

Dieser "klimapolitische Irrsinn" müsse schnellstens enden, findet Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken im . Der Nachrichtenagentur dpa sagte er: "Während den Bürgern Verzicht bei Flugreisen gepredigt wird, starten und landen die Flieger der Flugbereitschaft 100-fach mit nur besetztem Cockpit."

Die Flugbereitschaft ist für die Beförderung des parlamentarischen Führungspersonals verantwortlich. Neben dem Bundespräsidenten und Bundeskanzler dürfen sämtliche Ministerinnen, Fraktionschefs und die Präsidenten des Bundestags, Bundesrats und Verfassungsgerichts die Regierungsflugzeuge nutzen. Normale Abgeordnete dürfen nur mit Genehmigung des Bundestags mitfliegen. Zu sogenannten Leerflügen komme es hauptsächlich dann, wenn die Maschinen der Flugbereitschaft von ihrem Standort Köln/Bonn nach fliegen müssten, um die Parlamentarier abzuholen, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Dabei sind es gerade Kurzstreckenflüge, die dem Klima besonders schaden. Vom Start bis zum Erreichen der Flughöhe wird der meiste Treibstoff verbraucht. Deshalb verschlechtere sich die Effizienz eines Flugzeugs mit sinkender Streckenlänge, erklärte Dieter Scholz, Professor für Flugzeugentwurf an der HAW Hamburg, kürzlich bei ZEIT ONLINE. "Mit Blick auf die Energieeffizienz sind Flugstrecken von weniger als 800 Kilometer hochproblematisch", sagte Scholz.

Selbst Expertinnen fällt es allerdings schwer, zu schätzen, wie groß die Auswirkungen der Leerflüge auf das Klima tatsächlich sind. Abhängig von den unterschiedlichen Flugzeugtypen der Flugbereitschaft könnten bis zu 5.000 Tonnen CO₂ anfallen. "Realistischer ist eher die Hälfte", sagt Hans-Martin Niemeier, Direktor des Institute for Transport and Development an der Hochschule Bremen. Zum Vergleich: Die jährlichen Pro-Kopf-CO₂-Emissionen in Deutschland liegen bei zehn Tonnen.

Muss das wirklich sein in Zeiten der Klimakrise? Für die Bundeswehr stellt sich diese Frage nicht. Der Einsatz der Flugzeuge richte sich nach dem Bedarf der "anforderungsberechtigten Stellen", sagt der Sprecher des Verteidigungsministeriums. Wofür die Maschinen vorher und nachher genutzt würden, werde immer mit Blick auf einen möglichst nachhaltigen und effizienten Einsatz der Ressourcen bestimmt. Ob eine Maschine leer nach Köln/Bonn zurückkehre oder nicht, hänge von Wartungsbedarf, Ruhezeiten der Besatzungen, Folgeaufträgen und nicht zuletzt von den Abstellkapazitäten am auswärtigen Flugplatz ab.

Zudem würden Bereitstellungsflüge immer zur Aus- und Weiterbildung von Besatzungen genutzt. "Es gibt keine Leerflüge", versichert der Ministeriumssprecher. Wie auch in der zivilen Luftfahrt müssen die Crews von Bundeswehrmaschinen in einem bestimmten Zeitabschnitt vorgegebene Qualifikationen nachweisen, beispielsweise eine bestimmte an Anzahl an absolvierten Flugstunden. Bei den Bundeswehrbesatzungen kämen spezielle militärische Verfahren oder das Trainieren von Notverfahren hinzu. Stetiges Üben und Nachweisen sei elementarer Bestandteil der Flugsicherheitskultur, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.

 Ein Teil der Bereitstellungsflüge könnte wegfallen, wenn die Flugbereitschaft vollständig an den Hauptstadtflughafen BER umziehen würde. Derzeit würden in Berlin die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen, sagt der Ministeriumssprecher. Wann der Umzug abgeschlossen ist, sei jedoch "zeitlich noch nicht näher konkretisierbar". Zuletzt hieß es, das könne bis 2034 dauern. Mit dem Umzug würden zugleich aber auch Trainingsmöglichkeiten wegfallen. "Diese müssten dann über dezidierte Aus-, Weiterbildungs- oder Standardisierungsflüge gedeckt werden", sagt der Sprecher.

Vollständig lösen lässt sich das Problem der leeren Regierungsmaschinen also wohl nicht. Reduzieren könnte man die Anzahl der Flüge aber sehr wohl. Schließlich betont auch die Flugbereitschaft, sie käme aktuell nur nach Berlin, wenn sie angefragt würde. Heißt konkret: Die fliegenden Politikerinnen haben es in der Hand. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte kürzlich erklärt, über emissionsärmere Alternativen zum Regierungsflugzeug nachzudenken.

Für Hans-Martin Niemeier, den Experten für Umweltprobleme im Flugverkehr, ist aber auch klar: "Verglichen mit den Emissionen des gesamten Luftverkehrs sind die Schadstoffe der deutschen Flugbereitschaft Peanuts." Kürzlich beklagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr, dass allein sein Unternehmen diesen Winter 18.000 unnötige Flüge durchführe, um Start- und Landeslots an den Flughäfen nicht zu verlieren. Verglichen damit könnte man die 336 Leerflüge der Regierungsflugzeuge tatsächlich als Peanuts abtun.

Sollte man aber nicht, findet Stefan Gössling. Er forscht als Professor für nachhaltige Mobilität an der Universität Lund in Schweden. Der Weltklimarat habe zuletzt betont, "dass wir an dem Punkt angelangt sind, wo jede Tonne CO₂ zählt", sagt Gössling. "Das Problem mit den Leerflügen ist nicht die Frage, ob viel oder wenig emittiert wird, sondern dass sie symptomatisch sind für einen Sektor, dem der Klimaschutz vollkommen egal ist." 

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