Werner Hansch würde von einem „weiten Abschlag“ faseln, andere von einem „Katzensprung“, aber beim „Clásico“ zwischen Independiente und Racing im Süden von Buenos Aires ist die Rede von einem „Steinwurf“
wahrscheinlich angebrachter. Die Stadien der beiden
rivalisierenden Klubs aus der Arbeitervorstadt Avellaneda,
wahrlich nicht die Vorzeigegegend der Metropole mit zwölf
Millionen Einwohnern, liegen nämlich gerade mal 300 Meter
auseinander.
Schon vor dem frühen Anpfiff am Sonntagmorgen um elf
Uhr sorgen beide Fangruppen für ein Spektakel auf der „Doble Visera“, der ältesten Betontribüne Südamerikas. Während die gastgebenden „Roten
Teufel“ ein Festival der Pyrotechnik feiern, haben die Fans von
Racing zumindest einen Idioten im Block, der die von der Begrüßung der
Mannschaften liegen gebliebenen Papierschnipsel anzündet.
Der frische Frühlingswind entfacht schnell einen Flächenbrand
auf der mit 10 000 Fans gefüllten Gästetribüne, und bei der
hektischen Massenflucht ist es zum Glück nur einer, der sich beim
Sprung über eine Absperrung ein Bein bricht. Das Spiel beginnt
daraufhin mit einer Viertelstunde Verspätung, um nach fünf Minuten
noch mal unterbrochen zu werden: Es brennt jetzt hinter dem anderen
Tor, und der diesmal schleunigst herbeigeholte Feuerwehrschlauch
bildet für ein paar Minuten eine großzügige Hypotenuse zur
Eckfahne. Wenn bei so einem Spiel ein 17-Jähriger für die Gastgeber
mit der Last und Ehre der „10“
aufläuft, muss er ein ganz besonderer Spieler sein. Vor allem in
Argentinien.
Sergio Agüero war gerade mal 15 Jahre alt bei seinem
ersten Ligaspiel für den Rekordsieger der Copa Libertadores und ist
damit der jüngste Debütant des argentinischen Fußballs. Angeblich
war der HSV schon vor einem Jahr an ihm interessiert und im
wahrscheinlich wichtigsten Spiel der Saison zeigt Agüero, genannt „Kun“, warum er für „die
Roten“ schon jetzt so wichtig ist. In der 33. Minute schlägt er eine
Ecke scharf in den Strafraum von Racing und nach dem kräftigen
Kopfball von Méndez ist es Racings Abwehrspieler Torres, der auf der
Linie mit der Hand rettet.
Die Rote Karte und der von Frutos sicher verwandelte Elfmeter deuten die Richtung, in die der Ball heute läuft. „El
Rojo“ hat Racing im Griff und kurz nach der Pause erhöht erneut der
Blondschopf Frutos zum 2:0. Eine Viertelstunde vor Schluss ist der
Knabe Agüero wieder nur mit einem Foul zu stoppen, und mit dem zweiten
fälligen Strafstoß komplettiert Frutos seinen Hattrick.
Das
Stadion steht Kopf, und noch einmal schnappt sich Sergio Agüero das
Leder, tanzt auf dem Weg zum Tor Ex-Nationalspieler Diego Simeone, der
immerhin sein Vater sein könnte, und drei weitere Spieler von Racing
aus und krönt seine Topleistung mit einem Traumtor. Seine
Auswechslung begleiten Standing Ovations. Mal wieder schallt ein
langgezogenes „Agüeeeero“
durch Avellaneda und Independiente kann im Jahr des 100.
Klubjubiläums den höchsten Derbysieg seit 28 Jahren feiern.
Quelle: www.11freunde.de
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