Der Rapper Kala Jeremiah bescherte dem Bongo Flava, einem in Tansania sehr bekannten Genre des Hiphop, auch moralische Autorität – aber zwischen Zensur und Kommerz droht diese nun verlorenzugehen.
Über Nachrichtensprecher, die ja vor allem gut ablesen können müssen, gibt es normalerweise keine Entdeckungsgeschichten zu erzählen. Außer vielleicht über die Karriere des tansanischen Rappers Kala Jeremiah. Noch bevor er wirklich etwas von Musik verstand, ging er 2004 regelmäßig mit seinen journalistischen Artikeln auf die Radiostation in Mwanza und wurde jedes Mal vom Türsteher abgewiesen. Das könne in diesem Ton nicht auf Sendung gehen, es müsse schon ein Rap oder so sein. Mit einem eingekauften Beat und neuen Reimen für seine aufklärerischen Botschaften über Kinderarmut, Albinismus oder Korruption betrat Jeremiah 2005 erstmals ein Tonstudio und lernte, wie man beim Radio einen Fuß in die Tür kriegt.
Am meisten Gehör findet Bongo Flava als international beliebter Hiphop Tansanias, der sich in den neunziger Jahren herausbildete. Musikalisch ist das Genre ein Schmelztiegel von Einflüssen, lebte aber stets von seinen sozial- und regierungskritischen Texten auf Suaheli - zum Beispiel trug es zur Aufklärung über die Aids-Epidemie bei. Mittlerweile ist die Bezeichnung schwammiger geworden, das Genre kaum wiederzuerkennen. Das liegt auch an dem seit Oktober in zweiter Amtszeit regierenden Präsidenten John Magufuli, einem autoritären Corona-Leugner. Ihm ist es gelungen, Musik zu zensieren und sogar dem Bongo Flava seinen kritischen Geist auszutreiben.
„Ich singe nie ohne Agenda oder guten Zweck", sagt Kala Jeremiah in einem Gesprȁch per Skype. Er sitzt im pinken Polohemd in seinem geparkten Auto, das Gespräch wird nur von lautem Vogelzwitschern unterbrochen. Wegen seiner politischen Texte kam im April 2020 eine Münchner Hilfsorganisation auf ihn zu. „Es hieß, es gebe da jemanden namens Toni Garrn, die interessiert daran wäre, in Tansania über die Pandemie aufzuklären", erzählt er. Garrn ist ein deutsches Topmodel, deren Stiftung bereits in anderen ostafrikanischen Ländern Projekte realisiert hatte. Mit ihrer Hilfe entstand der Song „Corona Ipo" („Corona existiert"), der zu einem Hit wurde. Clemens Mulokozi, Gründer der Hilfsorganisation Jambo Bukoba für Tansania, hatte den Kontakt zwischen den beiden hergestellt: „Wir dachten uns, wir könnten für ein Aufklärungsvideo der anderen Art doch Kala Jeremiah nutzen - also beauftragen. Seine Songs kennt in Tansania wirklich jedes Kind."
In Tausenden von Videos, die online gepostet wurden, nahmen die Tansanier diese Herausforderung an und wuschen zum Sound des Liedes ihre Hände. Bald darauf hatte jedes Geschäft seine eigene Waschstation installiert. „Kein anderes Land hat im Frühling 2020 so viele Hände gewaschen wie wir", sagt Jeremiah. Genauso ausführlich besungen wurden die anderen beiden AHA-Regeln, die Warnsymptome einer Infektion, sogar der mögliche Anstieg von häuslicher Gewalt und Genitalverstümmelung im Lockdown. „Jeder ist ein Soldat" lautet eine Zeile.
Andere Künstler des Bongo Flava schlossen sich an, kurz darauf erschien der optimistischere und leicht ironische Song „Quarantine", dessen Text keine medizinischen Details enthält, aber gut für die Stimmung im Land war. Nicht nur die Quarantäne, auch die Tanzschritte aus dem zugehörigen Musikvideo waren zur Nachahmung gedacht. Die bestverdienenden Musiker des Landes prahlen darin mit den Villen, in denen sie sich zu mehreren isolieren. Sie dürfen das, selbst ein Titan wie der Sänger Diamond Platnumz, in Tansania auch als „König des Bongo Flava" bezeichnet, hat schließlich mal ganz unten angefangen.
Für ärmere Tansanier hingegen war der Lockdown eine finanzielle Unmöglichkeit. Präsident Magufuli erklärte die Pandemie im Juni nach dreitägigen Gebeten für beendet, bereits seit Anfang Mai 2020 waren keine Zahlen mehr über das tansanische Infektionsgeschehen veröffentlicht worden. Das Tragen einer Maske galt als Affront, ebenso das Einschleppen von Impfstoffen. Gegen Infektionskrankheiten wie Malaria habe „der weiße Mann" nichts erfinden können, warum also jetzt?, fragte Magufuli - nur auf den ersten Blick ein stumpfes Argument für den neuen Nationalismus. Stattdessen setzt der Präsident auf Gott, Kräutertränke und eine repressive Medien- und Kulturpolitik. NGOs wollen sich nicht mehr äußern, Informationen aus ausländischen Medien sind verboten, und Privatpersonen verschwanden kurzerhand, wenn sie in sozialen Medien den Versuch riskierten.
Das Potential des Bongo Flava als politisches Sprachrohr blieb allerdings erhalten. Kala Jeremiah und Diamond Platnumz, die beide im Frühjahr ihre Aufklärungs-Songs herausbrachten, haben wie die meisten Künstler pünktlich zum Wahlkampf Lobeshymnen auf Magufuli veröffentlicht. Er habe lange auf einen starken Mann an der Regierung gewartet, sagt Jeremiah auf Skype. In dem Song dankt er Magufuli für dessen Einsatz gegen Korruption. Auch Zushu, die als „afrikanische Beyoncé" ihren Durchbruch feiert, hat die obligatorische Magufuli-Propaganda in ihrem Repertoire und hält sich ansonsten an möglichst seichte Texte über die Liebe.
„Ich hätte gewettet, das nimmt ein schlimmes Ende", sagt Clemens Mulokozi, „doch die Pandemie gab Magufuli recht." Das Land schien verschont zu bleiben, weil Tansanier im Schnitt viel jünger als Deutsche und öfter an der frischen Luft sind. Jetzt, da sich Magufulis Strategie rächt, kommt die Kritik von dort, wo mancher sie nicht vermutet hȁtte. Nur die katholische Kirche traut sich noch, der autoritären Regierung zu widersprechen, Bischöfe rattern im Radio die Hygienemaßnahmen herunter und weisen auf den rasanten Anstieg der Beerdigungen hin. Die gehäuften Todesfälle von Würdenträgern aus Politik und Kirche sowie die Testergebnisse ausgereister Touristen belegen Magufulis Irrtum.
Kala Jeremiah hat derweil eine neue Single veröffentlicht, in der er zu seinen Wurzeln zurückkehrt. Er steht vor einer Schultafel und predigt jungen Frauen seine Beziehungstipps. Dank Social Media, aber auch dank der krisengeschüttelten Musikbranchen ihrer Nachbarländer sind tansanische Künstler wie Zushu gerade erfolgreicher als je zuvor. Im Auto sitzend, sagt Jeremiah: „Von meiner Warte aus macht der Präsident einen sehr guten Job, weil er die Leute nicht in Angst versetzt." Clemens Mulokozi äußert sich ähnlich. Ein Folgeprojekt der Toni-Garrn-Stiftung gebe es nicht. Bevor Mulokozi im Januar vor ein Publikum trat, hatte er nochmals Magufulis verschiedene Reden durchgesehen. Er suchte sich darin ein gutes Zitat heraus, das er wörtlich vom Präsidenten übernehmen konnte: „Aufpassen und vorsichtig sein."