Ein Montag im österreichischen Frühsommer. Im oberösterreichischen Stadl-Paura sitzen zwei Damen auf einer Parkbank und sprechen über den Auslöser des politischen Bebens, das seit Wochen durch Österreich geht: das Ibiza-Video.
"Furchtbar" nennen sie es. Heinz-Christian Strache habe sie enttäuscht. Er als Person, aber nicht die ganze Partei, die rechtspopulistische FPÖ. Eine der Damen zeigt auf das Gemeindeamt, das hinter ihr steht. Denn der Bürgermeister, fährt sie fort, der sei ja auch ein Blauer von der FPÖ. Ein guter Blauer.
In Stadl-Paura leben etwa 5000 Menschen, man grüßt einander auf der Straße, weil sich fast alle kennen. Ins Ortszentrum kommen selten Besucher, Geschäfte an der Hauptstraße stehen leer. Wenn Besucher kommen, dann wegen des Pferdesportzentrums, das es schon seit der K.u.K.-Monarchie gibt. Und noch etwas ist Stadl-Paura besonders. Hier erhält die FPÖ deutlich mehr Stimmen als im österreichweiten Durchschnitt. Seit drei Jahren ist das so. Seitdem Christian Popp der erste FPÖ-Bürgermeister ist.
Popp, grauer Anzug, hellblaues Hemd, keine Krawatte, sitzt in seinem Büro im Gemeindeamt. Er ist der gute Blaue, den die Damen auf der Parkbank meinten. Meist lächelt Popp, wenn er etwas erklärt. Von einigen im Ort wird er "ein netter Kerl" genannt. Auch von denen, die nichts von seiner Parteizugehörigkeit halten. Seit den Neunzigerjahren ist Popp politisch aktiv. Zuerst war der 54-Jährige in der SPÖ, aber nur kurz. Recht bald wechselte er zur FPÖ, zog 2003 mit ihr in den Gemeinderat ein und wurde 2016 zum Bürgermeister gewählt.
Der erste Gedanke, der Popp in den Sinn kam, als er das Ibiza-Video sah: "Jetzt kommt viel Arbeit auf uns zu, vor allem Überzeugungsarbeit." Für ihn als Person, aber vor allem für seine Partei.
Das Ibiza-Video, vom SPIEGEL und der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht, markierte einen Bruch in der österreichischen Politik. Strache trat als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurück, die Regierung in Wien zerbrach.
FPÖ-Geschichte schien sich zu wiederholen. Anfang der Nullerjahre wurden über Straches politischen Ziehvater Jörg Haider, einst Führungsfigur der FPÖ, Stück für Stück Korruptionsskandale aufgedeckt. Die Partei zerlegte sich und verlor einen Großteil ihrer Wählerschaft.
Nun aber passiert nichts dergleichen. Die FPÖ bleibt als Partei und in Umfragen verhältnismäßig stabil. Ihr Erfolg ist nicht mehr so sehr an eine einzelne Figur gebunden wie zu Haiders Zeiten, sie ist mittlerweile tief in der Gesellschaft verankert. Der Erfolg beruht auf ihrer rechten Ideologie, die in der Bevölkerung viel Zuspruch findet, und den vielen freundlich lächelnden Gesichtern, die sie salonfähig gemacht haben; und nicht zuletzt sind auch die Parteien verantwortlich, die auf Bundes- und Landesebene mit der FPÖ koalieren.
In Oberösterreich ging die ÖVP 2016 erstmals eine Koalition mit der FPÖ ein. Bei den Landtagwahlen erzielte die FPÖ mit etwa 30 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis in diesem Bundesland. An der Spitze: Manfred Haimbuchner, den viele oberflächlich als "perfekten Schwiegersohn" wahrnehmen, wenngleich er sich wiederholt rassistisch und homosexuellenfeindlich äußert.
Die ÖVP-FPÖ-Koalition in Oberösterreich hält immer noch. Andere Koalitionen mit FPÖ-Beteiligung sind dagegen nach dem Ibiza-Video zerbrochen: auf Bundesebene und im Burgenland. Schon länger ist die oberösterreichische FPÖ aufgrund ihres Erfolges tonangebend. So wie früher die Kärntner FPÖ mit Haider.
Stadl-Pauras Bürgermeister Popp hatte kurzzeitig die Sorge, dass ihm das Video auf der kommunalpolitischen Ebene schaden könnte. Schon am Tag nach der Veröffentlichung habe er von Bürgerinnen und Bürgern des Ortes aber wieder Zuspruch erfahren, erzählt er. Viele hätten ihn beim Einkauf auf dem Bauernmarkt bestärkt. Popp macht weiter wie bisher, so wie fast alle in der FPÖ. Was auf Bundesebene und andernorts passiere, sei für Lokalpolitiker wie ihn sowieso zu weit weg, sagt Popp.
Der FPÖ-Mann sieht sich nicht als Parteipolitiker
"Weit weg" - so will Popp den Anschein erwecken, mit dem antisemitischen, rassistischen und sexistischen Bodensatz der FPÖ nichts zu tun zu haben. Dabei tritt dieses Gedankengut immer wieder zutage. Etwa wenn öffentlich wird, dass unter dem Vizevorsitz eines niederösterreichischen FPÖ-Politikers einer deutschnationalen Burschenschaft ein Liederbuch mit antisemitischen und volksverhetzenden Liedern benutzt wurde.
Oder wenn Braunaus inzwischen zurückgetretener FPÖ-Vizebürgermeister das sogenannte "Rattengedicht" verfasst und publiziert. Ein Gedicht, in dem er Menschen mit Migrationsgeschichte und Fluchterfahrung mit Ratten gleichstellt. Oder wenn ein ebenso inzwischen zurückgetretener oberösterreichischer Landrat, der nach Thüringen fährt, um dort vor AfD-Publikum über die "Neutralisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" zu sprechen. In solchen Momenten sind es die netten Gesichter der FPÖ, die vermeintlichen Saubermänner, die mit einem Lächeln erklären, dass solche Grenzübertritte nicht toleriert würden.
Popp geht so weit, sich gar nicht als Parteipolitiker zu bezeichnen. Für ihn gehe es nur um Themen, unabhängig von seiner FPÖ-Mitgliedschaft. Doch in Wahlkampfzeiten spielt die Parteizugehörigkeit dann offensichtlich doch eine Rolle. Denn im Vergleich zu den umliegenden Gemeinden hängen in Stadl-Paura weitaus mehr FPÖ-Wahlplakate. Ergänzt durch Aufkleber mit den Worten "Jetzt erst recht". Diesen Slogan postete Strache nach seinem Abgang auf seiner Facebook-Seite. Es wirkte wie ein Schlachtruf für die letzten Tage des Europawahlkampfes.
Das hatte Erfolg, auch in Stadl-Paura. Hier erzielte die FPÖ gut 27 Prozent - rund zehn Prozentpunkte mehr als im österreichweiten Durchschnitt.