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Österreichische Politik ist eine niemals endende Liste an Skandalen

In Österreich kommen inzwischen alle paar Monate geheime Audiofiles ans Licht, die Politiker in Bedrängnis bringen. In diesem Kontext steht auch die jüngste Affäre rund um die ÖVP und die Pilnacek-Files.


Es wird immer schwieriger, mit Skandalen rund um die ÖVP in Österreich Schritt zu halten. Besonders seit Sebastian Kurz Bundeskanzler war, häuft sich ein ganzes Potpourri an Beschuldigungen und Affären rund um die konservative Volkspartei. Kurz selbst steht aktuell wegen mutmaßlicher Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss vor Gericht. Hinzu kommen noch die Schredderaffäre, Vorwürfe von illegalen Parteispenden oder Inseratenkorruption. Die Liste ist inzwischen lang.


Kaum hat man all die Verstrickungen und Informationen der aktuellen und letzten Aufdeckungen irgendwie verdaut, sprießt der nächste Skandal aus einem Loch und oft spielen geheim aufgenommene Ton- oder Videoaufnahmen eine Rolle. Aktuell sorgen Enthüllungen rund um den kürzlich verstorbenen Ex-Justizbeamten Christian Pilnacek für Aufregung.

Was dabei auffällt: Inzwischen sind die Vorwürfe gegenüber führenden Politikern fast immer konsequenzenlos. Anders als in den meisten westlichen Ländern gibt es in Österreich keine Rücktritts-Kultur. Wer sich noch irgendwie retten kann, darf bleiben. Dass Korruptionsvorwürfe und geheime Tonbänder zur neuen österreichischen Normalität gehören, kann man schon erahnen, wenn man sich die Schlagzeilen zum neuesten Skandal in den heimischen Medien ansieht. Da wird etwa nicht nach möglichen Konsequenzen gefragt, sondern ob es welche geben wird. Und wie das Betteridges Gesetz der Überschriften besagt, kann man Schlagzeilen, die eine Frage stellen, immer mit "Nein" beantworten.


"Das wäre alles rechtswidrig."

Aber was ist dieses Mal passiert? Bei dem sogenannten Pilnacek-Tape geht es um ein heimlich aufgenommenes Gespräch mit dem bereits verstorbenen Ex-Generalsekretär des Justizministeriums Christian Pilnacek. Diese Aufnahme wurde bereits im Juli 2023 aufgenommen und erst nach dem Tod von Pilnacek Ende Oktober veröffentlicht.

In der Audiodatei erhebt Christian Pilnacek schwere Anschuldigungen gegen die ÖVP, vor allem aber gegen den amtierenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Der Vorwurf: Die ÖVP habe immer wieder versucht, Pilnacek dazu zu drängen, in staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren einzugreifen und strafrechtliche Ermittlungen zu stoppen. "Ich kann es nicht, ich mach es nicht, ich will es nicht.", hört man dazu Pilnacek auf der Aufnahme sagen, und die logische Schlussfolgerung, weswegen er nicht könne: "Das geht einfach nicht. Das wäre alles rechtswidrig."


Pilnacek galt als mächtigster Mann im Justizministerium. Unter seiner Kontrolle standen Staatsanwaltschaften wie beispielsweise die WKStA. Zu Lebzeiten stand er auch selbst in Kritik: 2019 forderte er bei einer Besprechung, die Ermittlungen des Korruptionsverfahrens rund um die Eurofighter einzustellen. Für diese Anweisung wurde er 2021 suspendiert, da - wie sollte es anders sein - eine Aufnahme eben dieser Besprechung öffentlich wurde. Der Vorwurf des Amtsmissbrauchs in der Eurofighter-Affäre ist aber nur einer von vielen. Die Kategorie "Öffentliche Auseinandersetzungen" in Pilnaceks Wikipedia-Artikel hat acht Unterpunkte.


"Dieser neue Skandal, der nur ein weiterer auf einem Berg voller Enthüllungen ist, schwächt das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und die Unabhängigkeit der Justiz weiter."

Auf dem aktuellen Tape erwähnt Pilnacek unter anderem den Telekom-Skandal im Jahr 2013: Die Telekom habe "Landschaftspflege" bei der ÖVP betrieben und dafür sehr viel Geld in die Hand genommen. Als die Staatsanwaltschaft Wien der ÖVP-Zentrale daraufhin einen Besuch abstattete, war das der ÖVP gar nicht recht. Laut Pilnacek hätte Wolfgang Sobotka ihm daraufhin vorgeworfen, dass er die Hausdurchsuchungen nie abgedreht und damit versagt hätte.


Keine Ruhe für die Toten und die ÖVP

Was sagt die ÖVP dazu? Die Vorwürfe weist die Partei natürlich zurück, die Veröffentlichung der Aufnahme empöre sie, sie sei pietätlos und würde die Totenruhe stören. Gegen die Urheber der Aufnahme will die ÖVP rechtliche Schritte einleiten. Wie so oft spricht ÖVP-Chef Karl Nehammer von einer "Schmutzkübelkampagne" und verteidigt Wolfgang Sobotka.

Der Urheber der Tapes, Christian Mattura, entgegnet, nicht die Files, sondern Sebastian Kurz habe die Totenruhe Pilnaceks gestört. In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten nennt der Wiener Unternehmer ihn als Grund und Motivation, die Aufnahme überhaupt veröffentlicht zu haben. Der Ex-Kanzler habe Pilnaceks Tod instrumentalisiert, um "Bashing" in seinem eigenen Prozess gegen die WKStA zu betreiben.


Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat bereits eine Untersuchungskommission angekündigt, die Opposition fordert Sobotkas Rücktritt, doch der denkt wenig überraschend natürlich nicht daran, seinen Posten zu verlassen. Rücktrittsforderungen stehen für Sobotka inzwischen fast an der Tagesordnung. Die Opposition warf ihm bereits vor, den Ibiza-Untersuchungsausschuss "ÖVP-freundlich" zu führen und kritische Fragen abzuwehren. Er wurde dafür kritisiert, dass er trotz möglicher Befangenheit aufgrund seiner Verbindung zur ÖVP den Vorsitz im U-Ausschuss führte und zugunsten seiner Partei entschied. Davor geriet Sobotkas Alois-Mock-Institut, ein Think-Thank der ÖVP, in den Fokus der Medien, als bekannt wurde, dass es von Unternehmen finanziert wurde, die der ÖVP nahestanden - damit hätte man offizielle Parteispenden umgangen. Das Alois-Mock-Institut wurde daraufhin aufgelöst, aber Sobotka durfte das zweithöchste Amt der Republik behalten.


Der aktuelle Fall ist besonders brisant, weil Pilnacek im Oktober tot aufgefunden wurde. Seine Todesursache ist noch unklar, die Ergebnisse der Obduktion liegen bisher nicht vor. Fest steht: Der ehemalige Top-Beamte wurde in Niederösterreich alkoholisiert auf einer Autobahn von der Polizei gestoppt. Er wurde abgeholt, starb allerdings später.


In Österreich steht die nächste Nationalratswahl 2024 vor der Tür. Dieser neue Skandal, der nur ein weiterer auf einem Berg voller Enthüllungen ist, schwächt das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und die Unabhängigkeit der Justiz weiter. Die Konsequenzen davon wiegen schwer. Aktuell steht Herbert Kickl mit seiner FPÖ in allen Umfragen an erster Stelle - eine Änderung der politischen und demokratischen Kultur im Land ist indes nicht in Sicht.

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