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Rapper und Kindsköpfe - der Gegensatz auf dem Cover

© Collage: Vanessa Seifert

Viele Rap-Cover sind einzigartig und jeder erkennt sein Lieblingsalbum aus 20 Metern Entfernung. Genau um das schnelle Wiedererkennen geht es in unserem Spiel „Album Art IQ": Wer die meisten Cover erkennt, bevor die Zeit abgelaufen ist, bekommt die meisten Punkte. (Achtung, Suchtgefahr!)


Wisst ihr, was schon seit Jahren immer wieder auf Albumcovern auftaucht? Kinderfotos. Egal ob im Deutschrap oder im US-Rap. Doch warum ist das so? Kinder vermitteln meist eine Leichtigkeit, Sympathie und Lebensfreude. Die eigenen Kinderfotos wecken viele schöne Erinnerungen und vielleicht ein kleines bisschen Scham. Und auch viele Künstlerinnen und Künstler nutzen diese Attribute für ihre Plattencover. Mit einem Kinderbild offenbaren sie etwas sehr Persönliches, ohne zu viel zu verraten. Zusätzlich wirken sie nahbar und wie „einer von uns". Es ist nicht verwunderlich, dass oft auf einem der ersten Werke ein Kinderbild als Covermotiv zu sehen ist.


Die wohl bekanntesten HipHop-Cover mit einem Kinderbild zieren die 1994 erschienen Debüts „Illmatic" von Nas und „Ready To Die" von The Notorious B.I.G. Auf dem Cover zu „Illmatic" sieht man einen etwa siebenjährigen Nas, der ab diesem Zeitpunkt - laut eigener Aussage - seine Umwelt bewusster betrachtete und über seine Zukunft nachdachte. Auf dem cleanen Cover zu „Ready To Die" ist ein Kleinkind mit einem riesigen Afro zu sehen. Diese Unschuld steht in einem krassen Kontrast zum Albumtitel. 17 Jahre lang war unklar, wer das Baby auf dem Cover ist, doch dann bestätigt die New York Daily News, dass es traditionell gebucht wurde und in keinem persönlichen Verhältnis zu Biggie stand. Die Gage für das Kindermodel: 150 Dollar. Obwohl sich beide Cover gestalterisch stark unterscheiden, rappt Nas später die Zeile „Bad Boy biting Nas album cover". Dabei war Nas nicht der erste, der ein Kinderfoto als Covermotiv verwendete.


1991 veröffentlichte Nirvana das ikonische Cover zu „Nevermind". Generationen kennen das Baby im Pool, das dem Geldschein hinterher schwimmt. Auch wenn das Baby keinen persönlichen Bezug zu Nirvana hat, hat das Albumcover Legendenstatus. Der Copycat-Vorwurf von Nas gegenüber Biggie ist so oder so recht fragwürdig.


Mit „Tha Carter III" und „Tha Carter IV" bediente sich Lil Wayne gleich zweimal der Kinderfoto-Idee. Beide Bilder bekamen durch Photoshop noch Tattoos und Piercings verpasst und schon war das Gangster-Street-Kid-Cover perfekt. 2010 meldete sich Rah Digga mit „Classic" nach zehn Jahren wieder zurück und ist damit eine der ersten Frauen im HipHop, die ein Kinderfoto als Cover auswählte.


Es ist geradezu ironisch, dass wir im Rap immer wieder Kinder als Covermotive finden. Dabei geht es in Raptexten oft um eine harte Kindheit, Straßen- und Gangsta-Geschichten. Genau so kann aufgezeigt werden, was aus dem kleinen Kind wurde - die Künstler betonen den Kontrast zwischen dem noch unschuldigen Kind und dem Straßen-Ich.


Doch all das ist kein Trend der nur in Amerika stattfindet, auch im Deutschrap gibt es seit Jahren diverse Cover, auf denen Kinder zu sehen sind. Marteria hat 2014 beispielsweise sein Album „Zum Glück in die Zukunft II" mit gleich drei Covern mit verschiedenen Kindern verpackt. Das Standard-Album ziert ein chilenischer Junge, das Cover der Vinylversion zeigt einen afrikanischen Jungen und das Cover der Deluxe-Edition nimmt uns mit nach Asien. Alle drei halten eine Zwille in der Hand, mit der sie auf den Betrachter zielen. (Auch das Folgealbum „Roswell" ziert übrigens ein Kind, diesmal mystisch mit Schwert - eine Figur aus dem Specter-Film „Antimarteria".)


Auch Maeckes 2010er Album „Kids" ziert ein Ausschnitt eines Kinderfotos. Aufgrund der CMYK-Rasterung ist leider nicht deutlich erkennbar, ob es ein Foto des Rappers ist. Doch Fatoni und Chefket machen es wie Nas und nutzen ihr eigenes Kinderfoto. Der junge Fatoni verkörpert auf „Im Modus" perfekt den „traurigen Clown". Laut eigener Aussage hat das Clownskostüm seine Oma genäht und schon seine Mutter trug es als Kind zum Karneval (oder wie er sagt: Fasching). Fatonis Oma gelten nicht nur die Kostüm-Credits, sie ist auch die Fotografin des Motivs. Abgesehen von der Querverbindung, dass das erste Video zum Mixtape auf dem Kölner Karneval gedreht wurde, begründet er die Coverwahl: „Es sind auf jeden Fall relativ viele alberne Sachen auf der Platte, da passte ein Clown."


Chefket hingegen hatte schlicht keine Idee für ein Cover, ging deshalb zu Hause alte Bilder durch und schickte das Kinderbild damals seinem Manager Can. Der fand es perfekt, und so wurde es das Cover zum „Guter Tag"-Mixtape. Ironischerweise steht der Titel in direktem Kontrast zu dem Tag, an dem das Bild entstand. Auf dem Original-Foto sieht man, so erzählt der Rapper, eine frische Narbe an Klein-Chefkets Arm, da er sich kurz zuvor mit heißem Wasser verbrüht hatte. Ob es einen inhaltlichen Bezug gibt? „Nein. Ich sehe einfach nur süß aus."


Selbst der Horrorcore-Rapper Basstard zeigt auf „Zwiespalt (Weiß)" ein Kinderfoto von sich. Die Chimperator-Brüder Sam und Chelo alias SAM fallen in dieser Aufzählung aus der Reihe, da sie zu den wenigen gehören, die auf ihrem Cover-Kinderfoto tatsächlich lachen. Die anderen Fotos wirken meist traurig und sehr ernst. Vielleicht ist auch der Kontrast aus ernstem Blick und der Vorstellung, Kinder seien immer glücklich und unbeschwert, ausschlaggebend für die Vielzahl der Cover dieser Art. Anders als im US-Rap sind es nicht die Gangsta-Rapper, die mit kindlicher Unschuld kokettieren, sondern eher normale Jungs. Ob sie sich damit nahbarer und sympathischer machen wollen? Oder möchten sie Nas und Nirvana Tribut zollen?


Drake wandelte auf dem Cover zu „Nothing Was The Same" die Idee etwas ab und holte sich mit Kadir Nelson einen starken Künstler an die Seite. Dieser ist auch für das Cover zu „Michael" von Michael Jackson verantwortlich. Hierfür illustrierte er einen kindlichen Drake und einen Erwachsenen vor blauem Himmel - Vorder- und Rückseite eines untypischen Rap-Covers.


Eine Erweiterung der Kinderfotos sind Fotos mit Familienmitgliedern. Das aktuellste (Non-Rap-)Beispiel ist wohl auf „Zores" von Drangsal zu sehen. Dort ist der kleine Max Gruber auf dem Arm seiner Mutter, daneben Schwester und Papa. Letzterer richtet eine Flinte in die Ferne. Trotz der Waffe strahlt das Bild aus dem Familienarchiv etwas Idyllisches aus. Doch schon Kendrick Lamar zierte gemeinsam mit zwei Onkeln und seinem Großvater das Cover von „Good kid, m.A.A.d city" und 1997 teilte sich Common mit seiner Mutter das Cover von „One Day It'll All Make Sense".


Obwohl es so viele Cover mit Kindern und alten Kinderfotos gibt, wirkt nichts davon wie eine direkte Kopie - jedes ist auf seine Art und Weise einzigartig und persönlich, ohne cheesy zu wirken. Vielleicht ist es eine Mischung aus dem Peter Pan-Syndrom, der eigenen Melancholie und der Frage: „Was hat mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin?". Was auch immer es sein mag, ich weiß nicht, woher die Faszination von Rappern für Kinderfotos kommt, aber bitte öffnet weiterhin die Erinnerungskiste und gewährt uns Einblicke in eure Kindheit.


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