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So verändert die Corona-Pandemie die Wissenschaft

Darum müssen wir darüber sprechen:

Politiker müssen auf vorläufige Studien vertrauen, um Maßnahmen gegen Covid-19 festzulegen

Wie schnell sich vorläufige Einschätzungen verbreiten und zu wissenschaftlicher Evidenz mutieren können, veranschaulichen drei Beispiele:

In den USA wurden falsche Hoffnungen in die Wirksamkeit des Malaria-Medikaments Hydroxychloroquin gesteckt und kurzfristig klinische Studien gestartet. Ein Interview mit einem Wissenschaftler führte zu strengeren Distanzierungsregeln beim Joggen. Zwischenergebnisse aus der Forschung werden über Pressemitteilungen, in sozialen Medien oder sogar als Powerpoint-Präsentationen veröffentlicht, um möglichst schnell zu informieren.

Mit anderen Worten: Bevor Forscher die Möglichkeit haben, ihre Ergebnisse in einen Kontext zu stellen, können ihre Studien bereits als Grundlage für Entscheidungen in der Politik und in der Gesundheitsversorgung einzelner Patienten verwendet werden.

Zeitdruck gefährdet wissenschaftliche Qualität

Wissenschaftler stehen unter Druck, Impfungen und Behandlungen für Covid-19 zu entwickeln und Politiker bei akuten Entscheidungen zu beraten. Gleichzeitig sind derzeit viele Labore durch die Lockdowns geschlossen. Geplante Experimente können nicht stattfinden, die Forschungsarbeit steht stellenweise still. "Ein weiterer unerwarteter Effekt ist, dass viele Labore eine momentane Aussetzung der finanziellen Unterstützung erleben", berichtet Dr. Bernd Pulverer, Leiter des Fachjournals EMBO. Es fehlen Mittel und Labore, um eine Publikation sauber und vollständig abzuschließen.

Dabei werden Ergebnisse gerade jetzt dringend gebraucht. Und genau diese Divergenz bereitet Wissenschaftlern Sorge. Im Fachjournal "Science" äußern zwei Ethiker, dass Forscher ihre wissenschaftliche Sorgfalt vernachlässigen könnten, um schneller Ergebnisse zu präsentieren. Sie sehen die Gefahr, dass Studien aus Zeitdruck mit zu wenigen Studienteilnehmer stattfinden, Vergleichsgruppen auslassen, den Untersuchungszeitraum zu früh beenden oder mögliche Störfaktoren ignorieren.

Beschleunigte Begutachtungsprozesse für Corona-Studien

Der Publikationsdruck gefährdet auch die Arbeit von medizinischen Fachzeitschriften. Studien zu Covid-19 werden derzeit im doppelten Tempo begutachtet und bereits nach wenigen Tagen veröffentlicht, berichtet der holländische Forscher Serge Horbach. Er befürchtet, dass in dieser Zeit keine gründliche Überprüfung der wissenschaftlichen Qualität stattfinden kann. "Zeitschriften sind wahrscheinlich nicht davor gefeit, qualitativ schlechte Forschung auf ihren Seiten zu veröffentlichen", sagt Horbach. Dies sei besonders problematisch, da Zeitschriftenartikel den Anschein haben verifiziertes Wissen zu enthalten.

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