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Autofahren lernen mit VR-Brille: Abbiegen wird zum Kampf gegen den Brechreiz

Zum ersten Mal seit 13 Jahren sitze ich wieder am Steuer eines Fahrschulautos. Nach wenigen Minuten auf den Straßen Berlins habe ich aus Versehen zwei parkende Autos gerammt, bin über den Bordstein auf dem Gehweg gerast, habe einen Fußgänger angefahren und bin als Geisterfahrerin in falscher Richtung unterwegs gewesen.

Dabei bin ich bis zum heutigen Tag unfallfrei Auto gefahren, von einigen Kratzern abgesehen. Jetzt sitze ich dort, wo die Zukunft der Fahrschule liegen könnte: in einem Fahrsimulator. Virtual-Reality-Brille auf, Lenkrad in der Hand und schon brettere ich - zum Glück nur virtuell - am Alexanderplatz vorbei. Ich fühle mich unsicherer als bei meiner ersten Fahrstunde. Und mir ist speiübel.

Sollen so die Fahrschülerinnen und Fahranfänger von morgen Autofahren lernen?

Wenn es nach Ruben Schwebe geht: auf jeden Fall. Der Mann im Hoodie mit den grün lackierten Fingernägeln ist Head of Product bei Yaak Technologies. Früher hat er bei Rockstar Games Videospiele entwickelt, jetzt tüftelt er bei dem Berliner Unternehmen an einer künstlichen Intelligenz für autonomes Fahren. "Was wir hier machen, hat noch niemand vor uns gemacht", sagt der 42-Jährige. "Aber wir hoffen, dass das in zehn oder fünfzehn Jahren der Standard für alle sein könnte, die einen Führerschein machen wollen."

Der erste Schritt: videounterstützes Fahrenlernen

Yaak Technologies ist eine Mischung aus Autowerkstatt und Start-up. Zwischen Laptops und Spielekonsolen, zum Firmenlogo geformten Neonröhren, Tischtennisplatte und allerhand Werkzeug steht das Auto, in dem ich die beunruhigende Erfahrung gemacht habe. Außerdem wird hier an sechs weiteren E-Autos geschraubt, die bald an Fahrschulen ausgeliefert werden sollen. Sie sind nicht für das virtuelle Fahren gedacht, sondern für eine digital unterstützte Fahrausbildung, die heute schon von zehn Fahrschulen genutzt wird.

Die Autos sind dafür mit Kameras zu allen Seiten und Bewegungssensoren im Lenkrad ausgestattet. Während des Fahrens wird ein hochauflösendes 360-Grad-Video aufgezeichnet und an eine App geschickt. Die analysiert Fahrfehler, visualisiert Fortschritt und zeigt Verbesserungspotenzial auf. Schüler und Lehrer haben die Möglichkeit, Fragen und brenzlige Situationen direkt am Videomaterial zu besprechen.

Dass Yaak mit seiner Technologie einmal die Fahrausbildung voranbringt, war nicht geplant, als die Firma 2020 entstand. Eigentlich wollten die drei Gründer Martin Zielinski, Harsimrat Sandhawalia und Søren Nissen nur daran arbeiten, autonomes Fahren sicherer zu machen. Was ihnen gefehlt hat, waren Daten - und die liefern ihnen jetzt Fahrschüler. Mit jeder Fahrstunde in einem Auto mit Yaak Technologies lernt nicht nur die Anfängerin dazu, sondern auch die KI.

Der Kampf gegen die Übelkeit

Ab diesem Sommer sollen die Autos auch mit VR-Brillen ausgeliefert werden, dann wird das Auto zum Fahrsimulator. Fahranfänger können so in bekannten Umgebungen und unter Realbedingungen fahren üben. Manche Fahrschulen bieten heute schon Übungsstunden im Fahrsimulator an, jedoch ist man hier nicht in einer virtuellen Kopie der Heimatstadt unterwegs, sondern in vorgegebenen Szenarien. Ein Problem bleibt, egal wie gut die Simulation ist: Bislang wird das Training damit nicht als verpflichtende Übungsfahrt für den Führerschein anerkannt.

Und dann ist da noch die Sache mit der Übelkeit. Sie übermannt ungeübte Simulationsfahrer quasi mit dem ersten Lenken: Das Auge nimmt wahr, dass man sich bewegt, aber der Gleichgewichtssinn bleibt davon unberührt. Abbiegen wird zum Kampf gegen den Brechreiz. Yaak arbeite schon daran, dieses Feature zu verbessern, sagt Schwebe. Doch die meisten Fahranfänger störten sich an dem Ausbleiben der Fliehkräfte gar nicht. Sie würden dieses Gefühl aus Videospielen kennen.

Ein Vorteil der drohenden Übelkeit: Die Fahrer der Simulation werden gezwungen, sehr präzise zu lenken. "Das ist ein echter Gamechanger für Fahranfänger", sagt Schwebe. "Bevor sie das erste Mal im realen Straßenverkehr unterwegs sind, haben sie schon grundlegende Manöver und Techniken mit dem Fahrschulauto geübt. Wir gehen davon aus, dass sie dadurch auch weniger Fehler machen." Schwebe und sein Team glauben, dass Fahrschüler so einige Fahrstunden einsparen könnten. Man fahre sicherer, habe Gefahrensituationen ausgiebig üben können und kenne die Strecke in- und auswendig, bevor es zur Prüfung gehe.

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