Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit dem Onlinemagazin "Flip" entstanden, das zu Nachhaltigkeit und Greenwashing recherchiert.
Im polnischen Gardno ist es seltsam still. Das Dorf liegt keine zehn Kilometer hinter der deutschen Grenze. Von den grün-gelb-rot gestrichenen Wohnhäusern aus der Sowjetzeit blättert der Putz. 1100 Menschen sollen hier leben, aber es ist kaum etwas von ihnen zu sehen. Schwarze Vorhänge verdunkeln die Fenster. Wer nachts arbeitet, muss tagsüber schlafen. Und gearbeitet wird hier viel.
Nach Gardno hat uns ein grauer Babystrampler geführt. Wir haben ihn bei bestellt, dem größten Online-Modehändler Europas. Dann haben wir ihn zurückgeschickt, als Retoure, mit einem kleinen eingenähten Sender darin. Jetzt funkt der Sender ganz aus der Nähe. Und wir fahren den Signalen hinterher.
Sehr viele Menschen in Gardno arbeiten für einen Logistikdienstleister - und damit indirekt für Zalando. Sie sind es, die das System des Fast-Fashion-Riesen am Laufen halten. Bis zu 480 Bestellungen gehen bei Zalando pro Minute ein. Die Hälfte der Pakete wird wieder zurückgeschickt. Irgendwo muss das alles verarbeitet werden. Einer dieser Orte ist Gardno. Hier werden die Retouren sortiert.
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Unklar ist, was mit den Retouren danach passiert. Glaubt man dem Konzern, werden 97 Prozent der retournierten Modeartikel "nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft". Vernichtet würden "weniger als 0,05 Prozent". Kann das stimmen?
Zalando hat das sorglose Shoppen im Netz etabliertWir fahren hin. Das Logistikzentrum, ein grauer Betonklotz, liegt etwa einen Kilometer außerhalb von Gardno. Das neonorangene Zalando-Logo ist von Weitem zu sehen. Mehr als 50 Männer und Frauen stehen oder hocken vor dem Zentrum auf dem Boden. Vor ihnen liegen kleine Häufchen Zigarettenstummel, hastig weggeraucht. Wir versuchen, mit den Arbeitern während ihrer Pause ins Gespräch zu kommen, wollen wissen, wie man im Logistikzentrum mit unserem grauen Strampler und den anderen Retouren umgeht. Aber niemand will mit uns darüber sprechen. Zwei Frauen verraten uns auch, warum: Ihr Arbeitsvertrag verbiete es ihnen. Dann ertönt ein blecherner Gong, und die Menschen strömen zurück in den Betonbau. Vor der gläsernen Schiebetür ist für uns Schluss. Zurück bleibt eine Frage: Wenn der Konzern seine Retouren so vorbildlich im Griff hat, warum macht er dann ein Geheimnis daraus?
Es ist von Anfang an eine ungewöhnliche Recherche. Zehn Kleidungsstücke hat die ZEIT zusammen mit dem Investigativ-Format Vollbild des Südwestrundfunks und dem Hamburger Recherche-Start-up Flip quer durch Europa verfolgt. Wir haben Hunderte von Signalen ausgewertet, konnten interne Unterlagen einsehen und mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern sprechen - alles, um zu verstehen, was mit den Retouren geschieht und wie ausgerechnet der Fast-Fashion-Riese Zalando zu einem grünen Konzern werden will.
Die Geschichte des Unternehmens beginnt 2008 in Berlin. Zwei Studienfreunde, Robert Gentz und David Schneider, beginnen online mit Schuhen zu handeln. Bald darauf kommt Kleidung dazu, das Unternehmen wächst und wächst, auch dank eines großen Versprechens an die Kunden: Bestellt erst mal, ihr könnt ja alles zurückschicken, wenn es euch doch nicht gefallen sollte! Zalando hat dieses sorglose Shoppen im Netz mit etabliert und davon profitiert. Heute kaufen 50 Millionen Kunden bei dem Modehändler. Allein 2021 stieg der Umsatz um 30 Prozent auf über zehn Milliarden Euro.
Je mehr die Kunden bestellen, desto besser für Zalando. Der Konzern ist ein Knotenpunkt der Modeindustrie, die auch wegen Retouren für mehr CO₂ verantwortlich ist als alle Flugzeuge und Schiffe dieser Welt zusammen.
Das Versprechen: klimaneutrale Retouren und ein ReparaturserviceUnd dieser Konzern will nun grün werden. Schon 2019 verkündet Zalando das Ziel, "eine nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde" zu werden. Den Kunden verspricht man dafür: klimaneutrale Retouren, einen Reparaturservice, den Wegfall von Einwegplastik und eines der größten Sortimente an nachhaltiger Mode überhaupt. "Wir wollen eine transparentere, nachhaltigere Zukunft der Mode schaffen", so Zalando.
Man kann das als PR-Floskeln abtun. Doch Zalando lässt sich darauf ein, dass die ZEIT das Unternehmen dabei begleitet, hinter die Kulissen blickt und an Meetings teilnimmt. Es klingt nach einer mutigen Operation am offenen Herzen der Fast-Fashion-Industrie. Bis zum Beweis des Gegenteils.
In Zalandos verglastem Hauptquartier in Berlin-Friedrichshain treffen wir Laura Coppen. Sie ist das Gesicht des Wandels, lange blonde Haare, breites Lächeln. "Welcome", sagt die Britin und streckt die Hand aus. Ihr Lebenslauf sagt: Diese Frau will Dinge verändern. Als Modedesign-Studentin im englischen Nottingham entwirft sie eine Kollektion, die Körper vor immer heißeren Temperaturen schützen soll. Später arbeitet sie für H&M und will die Idee einer Kreislaufwirtschaft etablieren. 2020 wird sie vom globalen Nachrichtensender CNN als "Stimme des Wandels" ausgezeichnet. Kurze Zeit später avanciert sie zu Zalandos Kreislaufchefin. Man müsse die großen Unternehmen verändern, um einen großen Unterschied zu machen, sagt Coppen. Und: Es gebe kein Zurück mehr.
Wortkarg beim Thema RücksendungenDoch beim Thema Retouren, dieser wohl größten Herausforderung auf dem Weg zum nachhaltigen Unternehmen, reagiert Coppen wortkarg. Allein 2021 wurden in Deutschland 440 Millionen Modebestellungen retourniert, knapp ein Drittel davon geht auf Zalandos Konto. Das Problem sind dabei nicht nur die zusätzlichen Transportwege von Online-Modehändlern. Laut einer Marktstudie der Branchenvereinigung Händlerbund finden sich in fast jeder fünften Rücksendung Textilien, die beschädigt oder getragen sind. Insgesamt könnten sogar 44 Prozent der zurückgesendeten Waren nicht mehr zum ursprünglichen Preis verkauft werden. Und laut der Forschungsgruppe Retouren-management der Universität Bamberg landen jedes Jahr etwa 20 Millionen Retouren direkt in der Müllverbrennungsanlage.
Da möchte man schon gerne wissen, wie Zalando es schafft, jene angeblichen 97 Prozent der zurückgesendeten Waren wieder im eigenen Shop zu verkaufen und fast gar nichts zu vernichten. Und wo das Unternehmen dieses Wunder vollbringt.