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Ist die U-Bahn noch sicher?

Mittwochabend, 17 Uhr: Eigentlich wäre es zu dieser Zeit unmöglich, durch die U-Bahnstation am Münchner Marienplatz zu laufen, ohne anderen auszuweichen oder versehentlich jemanden anzurempeln. Hier fahren alle U-Bahnlinien, die S-Bahn, Busse und Straßenbahnen - hier ist es immer voll. Heute ist Lydia Duschner eine der wenigen Menschen, die am Bahngleis steht. Die 62-Jährige kommt von der Arbeit, für ihre Stelle in der Verwaltung fährt sie jeden Tag quer durch . Die Bahn fährt ein, die Türen öffnen automatisch. Duschner kann das Taschentuch, mit dem sie auf die Türöffner drücken wollte, wegpacken. Alleine setzt sie sich in eine Sitzgruppe mit vier Plätzen. Außer ihr sind noch acht weitere Menschen im Wagon. "Wenn ich in der Bahn sitze, habe ich immer ein mulmiges Gefühl", sagt sie. Aber was soll sie machen? Homeoffice ist nicht möglich, ein Auto hat sie nicht und zwanzig Kilometer von der Haustür zu ihrem Arbeitsplatz sind ihr mit dem Rad zu viel. Sie muss mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Wenn wenig los ist, wie an diesem Abend, ist es ertragbar, sagt Duschner. "Aber ich bin jeden Abend froh, wenn ich wieder aus der Bahn aussteigen kann."

Das öffentliche Leben hat sich durch die Ausbreitung des Coronavirus extrem verändert. Über Alltägliches, wie U-Bahn fahren, wird jetzt zweimal nachgedacht. Wie hoch ist die Gefahr, sich in der Bahn zu infizieren? Und was tun die Verkehrsbetriebe, um ihre Fahrgäste zu schützen?

Matthias Korte von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) fährt jeden Tag selbst mit der U-Bahn zur Arbeit. Die Fahrpläne und Taktungen sind hier so gut wie gleich geblieben. "Wir fahren weiterhin fast das volle Programm", sagt Korte. München habe das Ziel, den Regelfahrplan beizubehalten. So wolle man die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Fahrgäste, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, genug Platz in U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen haben, um einen Mindestabstand von 1,5 Metern zur nächsten Person einhalten zu können. Einige Verstärkerfahrten während des Berufsverkehrs seien zwar reduziert worden, aber das bedeute nur, dass bei einigen wenigen Linien nur alle zehn statt alle fünf Minuten eine neue U-Bahn komme.

"Unser Ziel ist es, dass nur rund 120 Fahrgäste in einer U-Bahn unterwegs sind", sagt Korte. Mehr Platz für den Einzelnen verringere schließlich auch das Risiko, sich direkt anzustecken. Deswegen habe man auch alle U-Bahnen von vier auf sechs Waggons verlängert. Meistens sei dieser Richtwert von 120 Fahrgästen pro Bahn leicht einzuhalten: Die MVG habe 70 bis 80 Prozent ihrer Fahrgäste verloren, sagt Korte. In U-Bahnen, in denen sonst 800 oder tausend Menschen unterwegs waren, seien es heute meistens nicht viel mehr als hundert Fahrgäste. Um zu überprüfen, wie viele Personen unterwegs sind und ob diese genug Abstand zueinander halten können, setzt die MVG jeden Tag Fahrgastzähler ein. So könne schnell nachjustiert werden, wenn etwa die Taktung nicht ausreicht, sagt Korte. "Aber im Moment funktioniert es gut."

"Eine Allgemeinlösung gibt es nicht"

Anders als in München haben viele Verkehrsbetriebe in Deutschland ihre Taktung gekürzt oder gar ganze Linien eingestellt. In Augsburg fahren alle Busse beispielsweise im Ferientakt, Straßenbahnen kommen nur noch alle 15 Minuten. In ganz Deutschland sind die Fahrgastzahlen im ÖPNV stark zurückgegangen. Im Vergleich zu Januar, also die Zeit, in der das Coronavirus in Deutschland noch nicht den Alltag dominiert hat, ist die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs laut der Mobilitätsapp Moovit in den Großstädten um bis zu 70 Prozent eingebrochen - in München waren es am 1. April sogar knapp 77 Prozent.

Der Einbruch kam mit dem 12. März. Also dem Tag, an dem die Bundesregierung die ersten Einschränkungen für soziale Kontakte bekannt gab. In der App werden weltweit anonym Daten zur Nutzung von U- und , Bussen, Straßenbahnen, Leihfahrrädern oder Fahrdiensten wie Uber erfasst. Wie viele Menschen aufs Auto umgestiegen sind, ist nicht bekannt.

Gibt es eine Strategie, wie die Verkehrsbetriebe in Deutschland den ÖPNV in der Corona-Pandemie organisieren sollten? "Eine Allgemeinlösung gibt es nicht", sagt Gernot Sieg, Verkehrswissenschaftler der Uni Münster. An sich müsse jede Stadt selbst entscheiden, ob eine Linie ausgesetzt oder die Taktung verändert werden müsse. Das hänge unter anderem von den Fahrgastzahlen und der Tageszeit ab. "Bestimmte Linien, wie die zum Flughafen, könnte man aber beispielsweise ganz aussetzen", sagt Sieg. Fliegen könne momentan sowieso niemand. Er hält es auch für sinnvoll, größere oder mehr Fahrzeuge einzusetzen, um den Abstand zwischen den Fahrgästen zu vergrößern. "Wenn es möglich ist, sollte man aber trotzdem lieber Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen", sagt Sieg. Aber was ist mit den Menschen wie Lydia Duschner, die kein Auto haben und für die der Weg zur Arbeit einfach zu weit ist? Ihnen bleibt in München keine Alternative zum ÖPNV.

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