Pullach: Nur wenige durften bereits hinter die hohen Mauern der BND-Zentrale in Pullach blicken - Dr. Bodo Hechelhammer ist einer von ihnen. Heute ist der 49-Jährige Chefhistoriker beim BND.
Sein Name ist Hechelhammer, Bodo Hechelhammer: Der promovierte Historiker bringt Licht ins Dunkel der BND-Geschichte. Und Stoff gibt es für ihn genug: Seit genau 70 Jahren hat der Bundesnachrichtendienst seine Zentrale in der Pullacher Heilmannstraße. Am 31. Mai wird das im Bürgerhaus gefeiert - die Festrede hält Ministerpräsident Horst Seehofer.
Hinter die hohen Mauern der Zentrale haben bisher allerdings nur wenige geblickt. Hechelhammer ist einer von ihnen: Über ein Jahrzehnt arbeitet er schon für den Bundesnachrichtendienst - 2002 begann er seine Karriere als „BND-Mitarbeiter in der üblichen Verwendung" - konkreter will und darf er nicht werden. Heute ist der 44-Jährige Chefhistoriker des BND und erforscht mit einer unabhängigen Historikerkommission (UHK) die Geschichte des Nachrichtendienstes und seiner Vorläuferorganisationen - insbesondere während der NS-Zeit. Durch seinen Job ist Hechelhammer viel herumgekommen, hat die Welt gesehen - und sich bei Nachbarn und Bekannten trotz allem am liebsten als trockener Beamter ausgegeben. Warum sein aktueller Job als Chefhistoriker alles andere als staubtrocken ist, wie viel Realität in den raffinierten Erfindungen von James Bonds berühmtem Quartiermeister „Q" steckt und welche Geheimnisse sich hinter den Mauern der Pullacher BND-Zentrale verbergen, verrät er in Hallo München. Von Vanessa Hahn
A nfänge: Ich habe Geschichte studiert und eigentlich immer an eine klassische wissenschaftliche Karriere gedacht: Promotion, dann Habilitation. Dann habe ich eine Stellenanzeige gesehen: „Bundesnachrichtendienst sucht Historiker" - der Rest ist Geschichte.
B unker Hagen: Das Pullacher BND-Gelände ist auf der früheren NS-Mustersiedlung „Sonnenwinkel" entstanden. Ein Bunker aus der damaligen Zeit wird heute noch für die Waffenausbildung genutzt: In den unterirdischen Räumen werden die Mitarbeiter auf den Schießbahnen für den Umgang mit der Waffe geschult.
C hefhistoriker: Ich arbeite mit einem Team aus zehn Personen: Wir recherchieren und forschen zur BND-Geschichte, halten Vorträge und führen Hintergrundgespräche, beispielsweise bei Filmproduktionen.
D ecknamen: Gerade in der Anfangszeit des Nachrichtendienstes war es gang und gäbe, dass jeder Mitarbeiter einen eigenen Dienstnamen hatte - auch Kollegen sollten nicht wissen, wer sich privat dahinter verbirgt.
E rlebnisse: Meinem Job beim BND habe ich viele aufregende Erlebnisse zu verdanken. Langweilig wird mir auch in Zukunft nicht - es gibt immer wieder neue, abwechslungsreiche Aufgaben. Mein historisches Wissen ist gerade bei aktuellen Themen oft gefragt.
F ernglas: Eines der historischen Hilfsmittel der Spione: ein Fernglas mit eingebauter Kamerafunktion. Man konnte damit unauffällig die Grenze beobachten und durch einen Schwenk eine Aufnahme auslösen.
G eheimobjekt Pullach: Ich kenne das Gelände der BND-Zentrale seit mehr als einem Jahrzehnt, auch unser Geschichtsbereich hat dort ein Büro. Aus meinen Forschungen zur Geschichte der Liegenschaft ist das Buch „Geheimobjekt Pullach" entstanden.
H ochsicherheit: Gerade in den Anfangsjahren war das etwa 70 Hektar große Pullacher BND-Gelände eine Art eigenes Universum, eine autonome Stadt, abgeschottet vom Rest der Gesellschaft: Es gab Geschäfte, Handwerker, Schulen - die Mitarbeiter sind mit ihrem Einzug komplett aus der Öffentlichkeit abgetaucht.
I dentität: Beruflich verreisen BND-Agenten häufig unter anderer Identität. Dafür, dass man auch mit seiner wahren Identität beim BND arbeiten kann, bin ich das beste Beispiel.
J ames Bond: Auch wenn ich mich beruflich intensiv mit dem Thema beschäftige - von Agentenfilmen bekomme ich nicht genug! Ich bin bekennender James-Bond-Fan. Um zu beurteilen, welche Erfindungen von „Q" realistisch sind und welche nicht, muss man aber kein BND-Agent sein. Denn dass selbst der Bundesnachrichtendienst keine unsichtbaren Autos hat, ist klar.
K ontrollzentrum: Im sogenannten Sigint-Kontrollraum - Sigint steht für Signals Intelligence - werden elektronische Datenströme gefiltert. Der Standort liegt nicht in Pullach, muss aber streng geheim bleiben.
L esesaal: Wir wollen uns weniger abschotten - die „Wagenburg-Mentalität" ist Vergangenheit. Mittlerweile werden Akten zu alten Vorgängen geöffnet: Dafür gibt es extra einen Lesesaal in Pullach.
M r. Dynamit: Das Historikerteam ist auf den verschollenen Film „Mr. Dynamit - Morgen küsst euch der Tod" aus dem Jahr 1967 gestoßen. Lex Barker spielt den BND-Agenten Bob Urban, sozusagen den deutschen James Bond. Auch Eddi Arent und sogar Joachim Fuchsberger waren dabei. Wir haben bei der Verleihfirma bewirkt, dass der Film wieder auf DVD vertrieben wird.
N ikolaus: Die Pullacher Liegenschaft trägt auch den Decknamen „Camp Nikolaus". Der Hintergrund: Am Nikolaustag 1947 haben die ersten Bewohner und Mitarbeiter das Gelände bezogen.
O ffenheit: Seit 2010 hat sich für mich viel verändert: Ich stehe als BND-Historiker in der Öffentlichkeit, bin für Hintergrundgespräche und Interviews zuständig. In meinem Umfeld hatte das Auswirkungen: Teile der Nachbarschaft wurden plötzlich extrem freundlich - andere haben kein Wort mehr mit mir gesprochen.
P räsidentenvilla: Das eindrucksvolle „Haus 37" nannten die Amerikaner in Anlehnung an den Amtssitz des Präsidenten „White House". 1956 ist dann der erste BND-Präsident Reinhard Gehlen eingezogen. Sein Deckname war Dr. Schneider - daher ist die Villa auch als „Doktorhaus" bekannt. Bis heute hat der Präsident des BND dort sein Büro, wenn er in Pullach ist.
Q-Abteilung: Nicht nur das britische MI6 hat kreatives Agentenwerkzeug. Der BND nutzte neben dem bereits erwähnten Fernglas beispielsweise einen Globus mit eingebauter Abhöranlage oder Manschettenknöpfe mit Mikrofon.
R echenzentrum: Ein Großteil der BND-Zentrale wird nach Berlin verlegt. Für den Standort Pullach ist zukünftig ein technisches Aufklärungszentrum mit etwa 1000 Mitarbeitern geplant.
S chreibtisch: Mein Job beim BND vor meiner Tätigkeit als Chefhistoriker? Die übliche Verwendung - ob ich Spion oder Geheimagent war, kann ich nicht sagen - aber ich bin definitiv nicht nur am Schreibtisch gesessen.
T ransparenz: Diesbezüglich hat sich wahnsinnig viel getan - hätte man vor zehn Jahren beim BND zu einer Operation angefragt, hätte die Antwort höchstwahrscheinlich gelautet: „Es tut uns leid, dazu können wir nichts sagen." Das ist heute anders - aber wir sind natürlich immer noch ein Geheimdienst.
U nauffällig bleiben - das war früher meine Taktik bei Nachfragen zu meinem Beruf. Bleibt man so unscheinbar wie möglich - meist war ich einfach stinknormaler Beamter - hat man oft das Glück, dass niemand genauer nachfragt.
V erschwiegenheit: Für meine Forschungsarbeit erhalte ich Zugang zu allen Informationen - auch zu streng geheimen Akten. Was veröffentlicht werden darf, wird streng geprüft. Ich muss häufig Stillschweigen bewahren.
W aldhaus: Ältere Mitarbeiter verbinden mit dem Pullacher Waldhaus ihre Anfänge beim BND. Früher fanden dort die Einführungslehrgänge für Nachwuchs-Agenten statt, heute ist es baufällig und wird nicht mehr genutzt.
X trem viel zu tun gibt es in meinem Job - als Chefhistoriker muss ich nicht nur Akten wälzen. Ich bin viel unterwegs, besuche Veranstaltungen oder halte Vorträge im In- und Ausland.
Y es, we can: Trotz der vielen Arbeit wollen wir die BND-Geschichte immer besser zugänglich und für jedermann greifbar machen.
Z ufall ist, dass ich 2002 zum BND gekommen bin. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die seit frühester Kindheit zum Nachrichtendienst wollten. Nach meiner Bewerbung dachte ich zuerst: Den Job bekommst du eh nicht. Denn ursprünglich habe ich über Kreuzzüge promoviert.