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Spenden und Aufklärung: Wie die Vernichtung der ukrainischen Kultur verhindert werden soll

Das Theater in Mariupol nach dem russischen Angriff, aufgenommen am 26. April. Bild: Imago.

Rund 200 Kulturdenkmäler hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits beschädigt oder zerstört. Eine Spendeninitiative setzt nun auf Kryptowährung.

Man stelle sich ein weißes Gebäude im sowjetklassizistischen Stil vor. Im Giebel über dem von Säulen ge­rahmten Eingangsportal thronen musizierende Figuren, die mit Flöte und Schelle das arbeitende Volk unterhalten. Von oben sieht man das rote Dach des Gebäudes. Auf dem Vorplatz steht in großen weißen kyrillischen Lettern „Kinder" geschrieben. In dem Gebäude befinden sich Zivilpersonen, die vor dem Krieg Schutz suchen. Es wird trotzdem bombardiert, hunderte Menschen sterben. Der Angriff auf das Theater in Mariupol steht stellvertretend für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, auf die Menschen und auf die Identität des Landes.

Es ist davon auszugehen, dass Russland gezielt kulturelle Stätten ins Visier nimmt. Die sind seit 1954 eigentlich von der Haager Konvention geschützt. Bewusste Angriffe auf das kulturelle Erbe eines Landes gelten als Kriegsverbrechen und können vom Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden. So geschehen im Fall der malischen Mausoleen von Timbuktu. Nachdem Ansar-Dine-Rebellen die Grabmäler zerstörten, wurde der Hauptangeklagte Al Faqi al Mahdi zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Haager Konvention beruft sich auf die identitätsstiftende Funktion nationalen Kulturguts und zählt dessen Beschädigung zur psychologischen Kriegsführung. Auch Russland hat die Konvention unterschrieben.

Krypto für die Kultur

Die Realität sieht anders aus. Eine internationale Forschungsgruppe des Cultural Heritage Monitoring Lab registriert gefährdete Kulturstätten weltweit und legt nun aktuelle Zahlen für die Ukraine vor. Der russische Angriffskrieg habe 191 Kulturdenkmäler beschädigt, darunter rund 58 religiöse Stätten, 111 Gedenkorte – und das Theater in Mariupol. Das kulturelle Erbe der Hafenstadt sei mit am stärksten betroffen, die ukrainische Hauptstadt Kiew ebenso. Ein Museum in der Stadt Iwankiw wurde durch ein Feuer komplett zerstört. Die Flammen verschlangen unter anderem zwanzig Werke der in der Ukraine hoch verehrten Künstlerin Marija Prymatschenko.

Das ukrainische Kulturministerium und die staatliche Agentur für Kunstausbildung haben kürzlich die Spendeninitiative „Save Ukranian Culture“ gestartet. Mit den Spenden sollen zerstörte Kulturdenkmäler wiederaufgebaut, Kunstwerke digitalisiert und Kulturinstitutionen unterstützt werden. Das Besondere: In Kooperation mit dem Blockchain-Anbieter Everstake nimmt die Initiative auch Kryptowährung an. Bisher ist mit der Nutzung der digitalen Zahlungsmittel schon eine Summe von mehr als hundert Millionen Dollar an Hilfsprojekte für die Ukraine gespendet worden.

Dokumentation aus dem All

Das Cultural Heritage Monitoring Lab gibt derweil sein Bestes, um zerstörte oder gefährdete ukrainische Kulturdenkmäler erst einmal ausfindig zu machen. Das im Naturhistorischen Museum des amerikanischen Bundesstaats Virginia beheimatete Forschungsprojekt wurde gemeinsam mit der Smithsonian Institution ins Leben gerufen. Mithilfe von Satellitenaufnahmen und Fernerkundungsdaten können die Forscher rund 26.000 Kulturdenkmäler in der Ukraine erfassen, darunter auch die sieben Welterbestätten, die bisher noch unbeschädigt sind. Dazu zählen die historische Altstadt von Lemberg und die Sophienkathedrale in Kiew.

Die Forscher vergleichen aktuelle Satellitenbildern mit Aufnahmen aus dem Archiv, um veränderte Strukturen an den Denkmälern zu erfassen. Ein kontinuierliches Monitoring von Open-Source-Quellen stellt sicher, dass das Forschungsteam die gewonnen Erkenntnisse in den geopolitischen Kontext einordnen kann. Standortdaten, detaillierte Karten und Handlungsanweisungen spielt die Forschungseinrichtung dann an die Verantwortlichen vor Ort zurück. So sollen nicht nur vorhandene Schäden dokumentiert, sondern auch weitere verhindert werden.

Um Kulturgüter in kriegerischen Konflikten zu schützen, werden sie häufig als solche markiert. In der Ukraine sollen schon im März Kulturdenkmäler mit dem Blauen Schild der Haager Konvention versehen worden sein. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Angreifern solche Hinweise gleichgültig sind. 2015 zerstörte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ Tempel und Skulpturen der antiken Stadt Palmyra. Historische Bauten wie das Hadrianstor galten als Zeugnisse der syrischen Kultur und Geschichte. Nun sind sie unwiederbringlich verloren. Dass Präsident Putin vor dem kulturellen Erbe eines Landes nicht Halt macht, zeigte sich in ebenjenem Krieg in Syrien. Russische Raketen waren maßgeblich an der Zerstörung der historischen Altstadt Aleppos beteiligt.

Die Geschichte wiederholt sich

Was nicht zerstört wird, landet womöglich gar in den Fängen des Kremls. Ähnlich der jüdischen Raubkunst aus der NS-Zeit könnte Putin geschichtsträchtige ukrainische Werke für sich beanspruchen. Nationalschätze, wie byzantinische Heiligenbilder oder Werke aus skythischem Gold, sollen deshalb an sicheren Orten versteckt oder ins Ausland transportieren werden. Nicht transportfähige Werke werden vor Ort vor Plünderern geschützt.

Putins Fixierung auf das ukrainisches Kulturerbe zeigte sich schon bei der Annexion der Krim 2014. Die Ruinenstadt Chersones im Südwesten der Halbinsel gilt als Wiege der christlich-orthodoxen Kirche. Im Jahr 988 soll Fürst Wladimir I. dort getauft worden sein. Putin hatte in einer Rede die antike Stadt als heiliges Symbol Russlands bezeichnet und für das eigene Land reklamiert. Die UNESCO zählt Chersones auch nach der Annexion der Krim noch zu den sieben Welterbestätten der Ukraine.

Wie eng Russland und die Ukraine miteinander verwoben sind, zeigt ein weiteres Beispiel aus der Geschichte, das sich heute zu wiederholen droht. Kiew war lange Zeit fürstliche Residenz der alten Rus. Im Jahr 1169 ließ Fürst Andrei Bogoljubski von Wladimir-Susdal die Hauptstadt zerstören und plündern. Den Titel des Großfürsten übernahm er, die Hauptstadt wurde nach Wladimir verlegt, zweihundert Kilometer östlich von Moskau. Die Bedeutung Kiews schwand, Moskau wurde zum Zentrum des altostslawischen Reichs. Heute trachtet Putin danach, sich die Ukraine einzuverleiben und deren nationale Identität auszulöschen.


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