Denken während man bombardiert wird. „Thinking under Bombardement“ - so lautet der Arbeitstitel für das diesjährige Greifswalder Ukrainicum. Die internationale Sommerschule findet bereits seit 26 Jahren statt. In diesem Jahr soll es unter Gender-, Queer- und feministischer Perspektive um die Militarisierung der Gesellschaft gehen, um die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements und um Heldendiskurse. Roman Dubasevych ist wissenschaftlicher Leiter des Ukrainicums und in Greifswald Juniorprofessor für Ukrainische Kulturwissenschaft. Schon seit 2014 blicke man mit größerem Interesse auf die Ukrainistik, erzählt er.
„Und das ist so ein bisschen das Glück im Unglück. Dass der Ukraine-Konflikt plötzlich eine große Lücke gezeigt hat. In der Expertise, aber auch eine große Lücke in der Wahrnehmung der Ukraine und ihrer Kulturen, ihrer Literaturen, ihrer Kunst, ihres Films.“
Nachdem die Professur für Ukrainistik an der Uni Greifswald lange bedroht war, gelang es, sie 2018 als Juniorprofessur mit Tenure Track neu zu besetzen - also mit der Chance auf eine anschließende lebenslange Anstellung. Somit besteht wieder eine langfristige Perspektive für diesen deutschlandweit einzigartigen Lehrstuhl. An anderen Instituten für Slawistik ist Ukrainisch meist nur ein sehr marginaler Bestandteil der Curricula. Und insgesamt werden in Deutschland eher Stellen abgebaut. Das berichtet Professor Andreas Ohme, derzeit Leiter des Instituts für Slawistik an der Universität Greifswald:
"Das heißt, die Slawistik hat einen schweren Stand insgesamt, was natürlich auch damit zu tun hat, dass sich die Wissenschafslandschaft verändert hat in den letzten 30-40 Jahren und stark unter marktliberalen Gesichtspunkten organisiert wird, und die Slawistik in der Hinsicht natürlich Probleme macht, könnte man sagen. Weil wir nicht so viele Studierende haben, gleichzeitig aber doch einen gewissen Personalbedarf, allein schon wegen der Sprachvermittlung."
Um Slawistik-Institute zu erhalten, haben Bundesländer wie Hessen ihre Ressourcen an einem Standort konzentriert. Ohme verweist auf noch einen anderen Ansatz im Umgang mit den Sparzwängen:
„Man kann sich natürlich versuchen zu vernetzen, versuchen disziplinübergreifend sich Strukturen zu schaffen."
So beteiligt sich die Slawistik in Greifswald gleich an mehreren interdisziplinären Masterstudiengängen. Roman Dubasevych konzipiert Seminare so, dass sie nicht nur Ukrainistik-Studierende ansprechen. Denn nicht zuletzt biete sein Fach Inhalte, die gesellschaftspolitisch über die Grenzen der Disziplin hinaus wiesen, betont Dubasevych:
"Zum Beispiel, wenn man sich die Ukraine anschaut, das ist natürlich ein sehr multikulturelles Land, historisch gesehen. Das heißt, dass es viele Erfahrungen gibt, kulturelle Wissensbestände, Traditionsbestände, die sehr interessant wären gerade für den sich öffnenden Westen z.B. im Rahmen der Globalisierung, Zuwanderung."
Momentan hat das Interesse an der Ukraine Hochkonjunktur. Schnell und relativ unbürokratisch wurden als Zeichen der Solidarität für ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Stipendienprogramme für Gastaufenthalte geschaffen.
Doch während der Krieg für ein plötzlich angestiegenes Interesse an der Ukraine verantwortlich ist, gefährdet er gleichzeitig die Russistik. Und damit die Strukturen der Slawistik insgesamt, befürchtet Institutsdirektor Ohme:
"Weil natürlich die Attraktivität einer Philologie immer auch zu tun hat mit der Attraktivität mit einer bestimmten Region. Und wenn man nun eben sieht, dass Russland einen Angriffskrieg in Europa führt, dann kann das natürlich auch dazu führen, dass gewisse Widerstände da sind, sich mit dieser Kultur zu beschäftigen, mit dieser Literatur, mit dieser Sprache zu beschäftigen."
Das sei fatal, denn ungeachtet des Agierens der russischen Regierung unter Wladimir Putin sei die russische Kultur ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur.
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