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Handballerin Anne Ulbricht: Oma mit 24 - SPIEGEL ONLINE

HCL-Spielerin Ulbricht: Sieben Operationen am linken Knie

"Manchmal", sagt Anne Ulbricht, "fühle ich mich wie eine Oma". Die 24-Jährige wirkt nachdenklich bei diesem Satz, den sie erklären muss. Zum einen, sagt die Rückraumspielerin des Handball-Bundesligisten HC Leipzig, liege das an ihrem Status im Team. Bereits 2001, mit 16 Jahren, kam sie aus Magdeburg zum HCL. Inzwischen ist sie die dienstälteste Spielerin des besten deutschen Frauenclubs.

"Ich weiß auch nicht, wie ich es geschafft habe, mich hier so lange zu halten", sagt Ulbricht. Viel erstaunlicher ist jedoch die Tatsache, dass sie überhaupt noch Handball spielen kann - und das auch noch beim Ligaprimus. Gleich zwei Mal stand Ulbricht kurz vor dem Karriereende. Das ist der zweite Grund, warum sie sich ab und an im Greisenalter wähnt, denn Ulbricht musste trotz ihrer jungen Jahre schon zwei außergewöhnlich schwere Verletzungen wegstecken.

Bis zum Abitur war es im Leben und in der Karriere der Ausnahmekönnerin immer nur bergauf gegangen. Bereits mit 16 Jahren hatte sie in der Ersten Liga für den HCL debütiert, sie spielte in der Jugend- und Juniorinnen-Nationalmannschaft, galt Anfang des Jahrtausends als größtes Talent im deutschen Frauen-Handball.

"Ich habe immer gesagt, ich kriege nie einen Kreuzbandriss", sagt Anne Ulbricht im Rückblick. Doch am 1. Mai 2004, vor ziemlich genau sechs Jahren, war es plötzlich so weit. Leipzig trat im letzten Spiel der Saison gegen Nürnberg an, bei einem Konter prallte Ulbricht mit ihrer Gegenspielerin zusammen. Erste Diagnose der Ärzte vor Ort: Kreuz- und Innenbandriss.

Horror-Diagnose auf dem OP-Tisch

Im Krankenhaus stellt sich dann auf dem OP-Tisch heraus, dass das gesamte linke Knie kaputt war. Die Horror-Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes, beider Menisken, des Innen- und Außenbandes sowie der Kapsel. Die Operation musste abgebrochen werden, insgesamt sechs weitere folgten. Anne Ulbricht konnte zwei Jahre kein Handball spielen. In einer quälenden Reha kämpfte sie sich zurück aufs Parkett und schaffte in der Saison 2006/2007 wieder den Sprung ins Team. Ihr Engagement wurde sogar mit vier Einsätzen in der Nationalmannschaft belohnt. Anne Ulbricht war zurück - aber nur für anderthalb Jahre.

Das Jahr 2008 hatte gerade erst begonnen, da folgte der nächste Schock. Am 2. Januar eskalierten im Laufe des Tages innerhalb einer Stunde plötzlich ihre Schmerzen im Rücken. Ulbricht hatte einen akuten Bandscheibenvorfall, der wohl auf einen Sturz im Training zurückzuführen war - mit 22 Jahren. "Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe", sagt sie. Es fällt ihr bis heute schwer, über dieses prägende Ereignis zu sprechen. "Damals hatten mich viele Leute abgeschrieben."

Um die höllischen Rückenschmerzen zu betäuben, lag sie für drei Wochen am Morphiumtropf. Ob sie jemals wieder würde laufen können, war damals ungewiss. Doch Anne Ulbricht wollte es noch einmal wissen. Wieder nahm sie die tägliche Quälerei in der Reha auf sich. "Du bist in diesen Momenten eine absolute Einzelkämpferin", sagt sie. "Man sitzt an Spieltagen nur einen Meter hinter der Bande, doch im Kopf ist eine Riesenmauer dazwischen."

"Das erste Mal das Gefühl, meine Rolle gefunden zu haben"

Erneut schaffte die Rechtshänderin das Kunststück, sich zurück ins Team zu kämpfen. Mit viel Geduld baute sie HCL-Trainer Heine Jensen Stück für Stück wieder auf. Um zur Lockerheit auf dem Parkett zurückzufinden, "Handball zu spielen und nicht zu denken", wie Anne Ulbricht es ausdrückt, brauchte es Zeit.

In dieser Saison ist sie bislang vollkommen beschwerdefrei. "Ich habe das erste Mal das Gefühl, meine Rolle im Team so richtig gefunden zu haben", sagt Ulbricht. Durch tägliche Extra-Einheiten und physiotherapeutische Behandlung versucht sie, einer erneuten Verletzung vorzubeugen. In der langen Leidenszeit hat sie gelernt, auf ihren Körper zu achten.

Ihren jüngeren Kolleginnen rät sie aufgrund ihrer Erfahrung, "die Belastungen gut zu dosieren, vielleicht auch mal ein Spiel auszulassen, wenn es irgendwo zwickt. Der Körper ist doch das Wichtigste." Falls ihr noch einmal etwas passieren sollte, "dann war's das", sagt sie. "Das könnte ich nicht verantworten, und für ein erneutes Comeback hätte ich nicht mehr die Kraft."

Doch auch, wenn Anne Ulbricht ihre Verletzungen nicht verdrängt, sondern offen darüber spricht: Auf dem Feld sind die Gedanken an das geflickte Knie und die operierten Bandscheiben nicht mehr präsent. Dort hängt sie sich voll rein und will die Saison mit der Meisterschaft krönen. Es wäre ihre vierte mit dem HCL, mehr als jede andere Spielerin im Team - und das mit gerade mal 24 Jahren.

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