Transfermarkt.de: Herr Zorniger, Sie wirken so kurz vor dem Zweitliga-Auftakt sehr entspannt. Sind Sie trotz des Trubels, der diesen Verein umgibt, tatsächlich so relaxt?
Alexander Zorniger: Der Rummel betrifft schwerpunktmäßig zum Glück nicht die Arbeit mit meiner Mannschaft. Ich freue mich immer, wenn ich auf dem Platz stehe. Dann funktioniere ich wie in der Verbandsliga, wie in der Oberliga oder in der Regionalliga. Dann beobachte ich, greife ein, freue mich, wenn Dinge funktionieren. Aber ich habe kein Problem damit, dass in der 2. Liga noch mehr als das zum Trainerjob gehört. Da ich einen Satz mit Subjekt, Prädikat, Objekt bilden kann, habe ich damit auch keine Probleme.
+++ Zornigers Trainerkarriere im Detail +++Transfermarkt.de: Wie intensiv haben Sie die 2.Liga studiert und was wird für Ihre Mannschaft die größte Herausforderung?
Alexander Zorniger: Ich schaue mir die Spiele an, lese, was bei den anderen Teams passiert, spreche mit dem ein oder anderen, der Spiele beobachtet hat. Es wird auch spannend sein zu beobachten, wie die Liga auf uns reagiert. Was unser Spiel angeht: Wir neigen immer noch dazu, einige Dinge zu kompliziert zu lösen. Daran arbeiten wir. Wir werden begeistern, aber auch in dem einen oder anderen Spiel bittere Niederlagen kassieren. Damit müssen wir dann arbeiten. Wir wollen unseren Stil mit mannschaftlicher Geschlossenheit, auch individueller Qualität, Konsequenz vorn und hinten, auch Körperlichkeit in die 2.Liga hereinbringen.
Transfermarkt.de: Was ist für Sie typischer Red Bull-Fußball, wofür steht RB Leipzig?
Alexander Zorniger: Für Dynamik, für was Wildes, für was Ungezügeltes, für was Attraktives. Die Leute sollen im Stadion spüren, dass da auf dem Feld etwas passiert. Dafür stehen Ralf Rangnick und ich.
Transfermarkt.de: In welchen Nuancen müssen Sie Ihr erfolgreiches Gegenpressing-System weiterentwickeln und verfeinern, um in der 2.Liga Erfolg zu haben?
Alexander Zorniger: Die Themen Restfeldverteidigung und Durchsichern waren in unserer Vorbereitung zentral. Wie können wir unser Wild-and-Free-Spiel besser absichern? Daran haben wir intensiv gearbeitet.
Transfermarkt.de: Haben Sie taktisch noch weitere Alternativen zum bewährten 4-3-1-2 geschaffen?
Alexander Zorniger: Wir können auch ein 4-3-3 und 4-4-2 spielen. An diesen drei Systemen orientieren wir uns. Damit können wir flexibel auf gewisse Umstände reagieren.
Transfermarkt.de: Das Gegenpressing war in der vergangenen Saison die Paradedisziplin. Im kreativen Umkehrspiel war dagegen noch Luft nach oben. Haben Sie auch daran gefeilt?
Alexander Zorniger: Nein. Mein Verständnis von Schönheit im Fußball ist nicht dieser klinisch reine Fußball, den der FC Bayern praktiziert oder der FC Barcelona in seiner besten Zeit. Fehler können passieren und sind in unserem Plan mit vorgesehen. Wie im normalen Leben auch, wollen wir uns Fehlern stellen und auf dem Platz reagieren.
Transfermarkt.de: Zum Start wird im Wesentlichen das eingespielte Team der Vorsaison auf dem Platz stehen. Sowohl Sie selbst, als auch der Großteil der Mannschaft ist in der Liga unerfahren. Ein Wagnis?
Alexander Zorniger: Das sehe ich nicht so kritisch. Die Jungs haben es sich verdient, ihre Leistung auch eine Liga höher unter Beweis zu stellen. Bei dem ein oder anderen wird es nicht reichen, dann muss man sich trennen. Aber jetzt im Moment macht die Truppe aus dem Vorjahr im Kern einen sehr guten Eindruck. Unser Spiel muss man verinnerlichen. Dafür brauchen unsere Neuzugänge noch etwas Zeit.
Transfermarkt.de: Von welchen Spielern erwarten Sie die größte Leistungssteigerung?
Alexander Zorniger: Das kann ich noch nicht sagen, das wird man sehen. Ich weiß nur, dass in der vergangenen Saison Spieler wie Joshua Kimmich, Yussuf Poulsen, Dominik Kaiser, Sebastian Heidinger, Georg Teigl gewaltige Sprünge gemacht haben.
Transfermarkt.de: Dass Sie bei den Transfers ausschließlich auf junge Spieler mit Entwicklungspotenzial statt auf Stars setzen, überrascht in dieser Konsequenz.
Alexander Zorniger: Wenn wir die Chance haben, Spieler langfristig zu beobachten, wollen wir auf diese Strategie setzen. Das heißt nicht, dass wir nicht auch mal kurzfristig anders auf eine Situation reagieren müssen. Zum Beispiel ganz aktuell auf der Torhüter- und Innenverteidigerposition ( Marvin Compper soll in der kommenden Woche einen Vertrag bei RBL unterschreiben, d. Red.).
Transfermarkt.de: Sie haben vor der Sommerpause gesagt, dass der Sprung von den Junioren ins A-Team gewaltig sei. Nun sind mit Patrick Strauß und Smail Prevljak doch zwei Spieler dabei, die Sie überzeugt haben.
Alexander Zorniger: Das denke ich auch nach wie vor. Aber die beiden machen es sehr gut bis sehr, sehr gut. Von Patrick Strauß bin ich total begeistert.
Transfermarkt.de: Besteht die Chance, dass er bereits zum Einsatz kommt?
Alexander Zorniger: Das wird man sehen. Im Test gegen die Queens Park Rangers hat er auf der Sechser-Position begonnen. Er ist unheimlich flexibel. Das ist ein Typ junger Spieler, der die richtige Einstellung hat, der seinen Job begreift.
Transfermarkt.de: Als Sie 2012 nach Leipzig kamen, waren Sie der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Wie gehen Sie damit um, aktuell einen der polarisierendsten Jobs im deutschen Fußball zu haben und überregional im Fokus zu stehen?
Alexander Zorniger: Ich bin stolz darauf, dass ich mir das erarbeitet habe. Ich habe eben keine Ex-Karriere mit 300 Bundesligaspielen und 85 Länderspielen. Dann braucht man auch jemanden, der einen fördert. Bei mir war das Markus Babbel, dem ich immer dankbar sein werde. Er hat mich beim Fußballlehrer-Lehrgang kennengelernt und mir etwas zugetraut. Nur weil er mich damals als Co-Trainer zum VfB geholt hat, habe ich in Folge die Chance gekriegt, hier zu arbeiten.
Transfermarkt.de: Was treibt Sie an?
Alexander Zorniger: Ich will an mein Maximum gehen. Bin ich ein sehr guter Drittligatrainer, bin ich ein guter Zweitligatrainer, bin ich ein Erstligatrainer? Das wird man alles sehen. Aber ich mache meine Wertigkeit nicht daran fest, was andere von mir halten.
Transfermarkt.de: Selbst Lothar Matthäus und Franz Beckenbauer haben öffentlich über ihren Posten spekuliert.
Alexander Zorniger: Ich fand es interessant, dass Matthäus im Zusammenhang mit den Spekulationen um Thomas Tuchel meinen Namen genannt hat. Jetzt wie damals sage ich: Ich bin der Überzeugung, dass es im Moment keinen besseren Trainer für diese Mannschaft auf der Welt gibt, weil ich zweimal mit den Jungs aufgestiegen bin. Bis zum heutigen Tag habe ich bewiesen, dass ich die Qualität habe, diese Mannschaft zu trainieren. Darüber muss sich keiner Gedanken machen.
Transfermarkt.de: Wie prägend ist Ralf Rangnick für Ihre Arbeit?
Alexander Zorniger: Zunächst mal: Wir sind keine alten Kumpels. Ralf kannte mich nicht wirklich, bevor er mich in Großaspach beobachtet hat. Das ist dann Zufall, Schicksal, Glück, dass ich bei diesem Klub gearbeitet habe, der fünf Kilometer von seinem Wohnort Backnang entfernt ist und er aufgrund seiner damaligen Erkrankung auch noch oft zuhause war. Unsere Philosophie bei RB Leipzig ist nicht weit weg von dem, was er trainiert hat. Ich bin einer von dieser Stuttgarter Trainergruppe mit Robin Dutt, Markus Babbel, Thomas Tuchel, Peter Starzmann, die er mit geprägt hat und die alle mit dieser Philosophie ausgebildet wurden.
Transfermarkt.de: Wer berät Sie?
Alexander Zorniger: Ich habe mit Jochen Habermeier jemanden, der mich berät und einnordet; zum Beispiel, wenn ich mit Ralf Rangnick mal nicht einer Meinung bin. Er ruft mir beispielsweise ins Gedächtnis: Vertrau' auf Deine Fähigkeiten. Auch meine Familie, meine Mutter, meine Geschwister, geben mir Rückhalt. Da ich selbst keine Frau und Kinder habe, tue ich mich manchmal schwer damit, abzuschalten. Ich lasse viele Dinge viel zu nah an mich heran. Daran muss ich arbeiten.
Transfermarkt.de: Sie beschäftigen sich sicher auch mit der kuriosen Position von RBL im Fußball-Osten. Einerseits ist der Klub bei vielen verhasst, andererseits als einer der wenigen Hoffnungsträger geliebt. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um?
Alexander Zorniger: Ich hab durchaus Verständnis dafür, dass man RB Leipzig kritisch sehen kann. Auch ich selbst bin nicht immer von allem begeistert, was im Fußball passiert. Aber es ist auch Fakt, dass sich viele Leute nicht intensiv damit auseinandersetzen, sondern nur pauschal den Kommerz im Fußball anprangern. Das kann ich zwar nachvollziehen, aber wir haben das nicht erfunden. Die Scheinheiligkeit und Doppelmoral in Bezug auf uns ist unübertroffen.
Transfermarkt.de: Der Unterschied zu anderen Klubs ist, dass RB als reines Marketinginstrument gegründet wurde.
Alexander Zorniger: Wie wurde denn Borussia Dortmund gegründet? Damals stand auch eine Brauerei dahinter. Ich habe das Gefühl, dass man heutzutage keine neuen Wege mehr beschreiten darf. Dagegen wehre ich mich.
Transfermarkt.de: Die Fans aus Aalen oder Braunschweig wollen die Auswärtsspiele boykottieren.
Alexander Zorniger: Dabei hat gerade Eintracht Braunschweig mit der ersten Trikotwerbung den Kommerz im Fußball initiiert. Aalen wird seit Jahren von Mäzenen finanziert. Wenn die sich zurückziehen, ist der Profifußball in Aalen tot. Das ist nichts anderes.
Transfermarkt.de: Hat es Ihnen als VfB-Fan wehgetan, dass die Stuttgarter nach Fanprotesten das Testspiel gegen Ihr Team abgesagt haben?
Alexander Zorniger: Da war ich enttäuscht. Fans sind das Herz dieser Sportart. Aber Fans sind viel zu emotional, als dass sie sich ins operative Geschäft einmischen sollten. Das kann nicht gut gehen. Fußball ist auf diesem Niveau nun einmal Geschäft, davor kann man nicht die Augen verschließen. Jetzt hat sich hier im Osten Gott sei dank jemand gefunden, der den Fußball in geregelte Bahnen lenkt und die Wirtschaftspower mitbringt. Wenn Red Bull das nicht gemacht hätte, wäre hier in den nächsten 15 Jahren noch kein Profifußball möglich gewesen.
Transfermarkt.de: Einige Spiele werden auch in Liga zwei zum Spießrutenlauf. Wie richten Sie Ihre Spieler darauf ein?
Alexander Zorniger: Ich glaube an den Unterschied zwischen Mensch und Tier. Wir sind schon in den vergangenen zwei Jahren nicht freudestrahlend begrüßt worden. Viele Fans überschätzen total, was ein „Scheiß-Red-Bull" oder „Bullenschweine" bei uns bewirkt. Das einzige, was es bewirkt, ist, dass die eigene Mannschaft nicht mehr supported wird. Das einzige Mal, wo wir richtig Probleme im eigenen Stadion hatten, war im Spiel gegen Rostock, als 6.000 Auswärtsfans ihr Team vorangetrieben haben. Wenn Fans meinen, sie müssten sich darauf konzentrieren, uns zu beschimpfen, werden sie keinen Erfolg haben. Ein richtiger Fan sollte besser sein Team unterstützen, sonst nimmt er sich selbst wichtiger als die eigene Mannschaft.
Transfermarkt.de: Das größte Pfund von Red Bull ist vielleicht das Klub-Konglomerat Leipzig, Salzburg, Liefering, in Brasilien und New York. Sehen Sie das als Wettbewerbsvorteil?
Alexander Zorniger: Klar, haben wir da Vorteile. Als wir Georg Teigl im vergangenen Jahr aus Salzburg zu uns geholt haben, war er zum Beispiel sofort einsatzfähig, weil er die Philosophie kennt. Aber jede Mannschaft muss isoliert funktionieren.
+++ Zur Transfer-Übersicht von RB Leipzig +++Transfermarkt.de: Einerseits hat Red Bull so einen Riesen-Vorteil auf dem Transfermarkt. Haben Sie andererseits auch einen Nachteil, weil Spieler automatisch teurer werden, wenn RB anklopft?
Alexander Zorniger: Definitiv. Das haben wir jüngst bei dem Transfer von Zsolt Kalmár gesehen, und das merken wir bei jedem Transfer. Andererseits wollen junge Spieler hierher, um sich zu entwickeln, sich zu präsentieren und perspektivisch auf höchstem Niveau zu spielen. Höchstes Niveau bedeutet für mich übrigens auch schon die Teilnahme an der Bundesliga, das heißt nicht automatisch, dass man um den Meistertitel spielen muss.
Transfermarkt.de: Wie groß ist der Drang nach dem zweiten Durchmarsch in Folge in Richtung 1.Liga?
Alexander Zorniger: Ich finde zwei Aufstiege in die 2.Liga schon nicht schlecht. Deswegen brauchen wir uns darüber keine Gedanken machen. Ich kann zwar nicht versprechen, dass wir in diesem Jahr nicht wieder durchmarschieren (lacht). Aber ich sehe, wie eng es in der 2.Liga zugeht und welche Konstanz nötig ist, um enge Spiele regelmäßig auf unsere Seite zu ziehen. Deswegen setze ich daran an, was ich beeinflussen kann: die Qualität meiner Arbeit. Was dabei herauskommt, wird man sehen.
Transfermarkt.de: Ihr Vertrag läuft bis 2016. Wollen Sie bis dahin mit RB Leipzig in der Bundesliga spielen?
Alexander Zorniger: Ich bin sicherlich ein ungeduldiger, aber auch ein realistischer und nachhaltig arbeitender Mensch. Klar, habe ich das Ziel, das Leistungszentrum zu erleben, das hier hinter uns gebaut wird. Dann müsste ich nächsten Sommer noch da sein. Aber wenn es nicht so sein sollte, dann soll es nicht so sein. Ich habe einen hohen Anspruch an meine Spieler und Mitarbeiter. Aber ich habe auch einen Anspruch an die Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Wenn ich mal das Gefühl haben sollte, dass das hier nicht mehr mein Fußball ist, dann lasse ich es bleiben. Ich lasse mich niemals verbiegen, auch nicht vom Profigeschäft.
Transfermarkt.de: Wir danken Ihnen für das Interview und wünschen für die Zukunft alles Gute!