2 subscriptions and 4 subscribers
Article

Wenn der Hintergrund im Vordergrund ist

Viele gut ausgebildete Migranten arbeiten in sogenannten "Vielfaltsberufen". Ist die Herkunft Chance oder Hindernis?

Eine Vielzahl von gut qualifizierten Migranten hat beruflich mit dem Thema Integration und Migration zu tun - das lässt sich mit dem Oberbegriff "Vielfaltsberuf" fassen. Vor allem bemerkbar ist diese Tendenz im Politikbereich, in der Medien- und Kommunikationsbranche und bei sozialen und kulturellen Einrichtungen und Vereinen.

"Wenige Auswahlmöglichkeiten"

Die Soziologin und Autorin Beatrice Achaleke steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber: "Viele Migranten haben relativ wenige Auswahlmöglichkeiten, wenn es um Jobs in Politik, Medien und Kommunikation oder dem Sozialbereich geht." Ihrer Einschätzung nach bringt der unternehmensinterne Umgang mit der Migrationsbiografie nicht nur Vorteile mit sich, sondern lässt auch ernst zu nehmende Nachteile entstehen.

Das System "Vorzeigemigrant"

Der sogenannte Vorzeigemigrant in der Berufswelt sei ein Beispiel dafür, moniert Achaleke. Besonders politische Parteien, die in ihren Reihen Politiker mit Migrationshintergrund beschäftigen, würden sich dieser Schematik bedienen. Gleichzeitig unterstreicht sie, dass das Muster bereits in anderen Bereichen Verwendung finde: "Das System der Rolemodels wird bewusst auch in der Arbeitswelt eingesetzt, wenn es um Integration/Migration geht. Bei anderen Themengebieten werden dieselbigen jedoch kaum berücksichtigt, bleiben gar mehrheitlich unmündig."

Kein großes Aufsehen erregen

ORF-Radio-Wien-Programmchefin Jasmin Dolati findet das Thema Migranten als Vorbilder nicht ganz unproblematisch: "Wenn man die Rolemodel-Funktion zu sehr hervorhebt, erreicht man damit womöglich eine andere Art der Ausdifferenzierung, und dies kann zu weiteren Reaktionen und Inszenierungen führen." Demnach sollten sich Unternehmen allgemein subtil, sprich ohne großes Aufsehen zu erregen dem Thema "Integration and Diversity" widmen. Nur so könne man sicherstellen, dass das Thema gesamtgesellschaftlich an Bedeutung gewinnt, ohne dabei Gefahr zu laufen, die Herkunft in den Mittelpunkt zu rücken.

"Ich kann mehr tun"

Die Journalistin und Managerin Dolati - deren Vater aus dem Iran stammt - gehört zu den wenigen Ausnahmen in der heimischen Medienbranche: Seit Fünfeinhalb Jahren ist sie, unter anderem für das Programm von Radio-Wien verantwortlich. Journalistisch betrachtet würde ihr der reine Fokus auf Integration und Migration schwer fallen, wenngleich sie das Thema subtil bei Radio-Wien miteinfließen lässt: "Wenn ich mich beruflich mit Migrationsthemen aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigen würde, würde mir etwas fehlen. Es wäre mir zu Eindimensional, weil ich weiß, dass ich mehr tun kann."

Migranten in Vielfaltsberufen bevorzugt

Für die Migrationsforscherin Gudrun Biffl ist vor allem die "Brückenfunktion", die Migranten zwischen sich und autochthonen Österreichern herstellen können, für den Berufsweg entscheidend. Für ein Unternehmen zähle die entsprechende Einsetzbarkeit der Person in besonderem Maße, hierbei seien Migranten in "Vielfaltsberufen" eher bevorzugt.

"Qualifikation ist entscheidend"

Entscheidend ist laut Biffl in erster Linie aber die Qualifikation - der "Hintergrund" diene bei der Auswahl lediglich als Zusatzaspekt. Dass sich manche Bewerber mit Migrationshintergrund irritiert fühlen, kann sie nicht verstehen: "Viele sagen: Das Einzige, was man an mir sieht, ist mein Hintergrund. Aber dabei geht es wirklich nur um Qualifikation." Demnach sei es ökonomisch betrachtet naheliegend, dass Migranten in jenen Bereichen eingesetzt werden, bei denen Unternehmen davon ausgehen, dass sie dort am Besten arbeiten können, so die Professorin. Außerdem würden sich Migranten durchaus berufen fühlen, etwas zur Migrations- und Integrationsthematik beizutragen.

Anderen Migranten helfen

Ein Beispiel dafür ist Minoo Amir-Mokri-Belza. Sie ist Leiterin der Abteilung Migration beim österreichischen Roten Kreuz und beschäftigt sich mit der Beratung von Migranten und der rechtlichen Vertretung von Asylwerbern vor dem Asylgerichtshof. Darüber hinaus initiiert sie gemeinsam mit ihrem Team Projekte, die das Thema Migration und Integration positiver gestalten sollen.

Für die Juristin, die sich auf das Fremdenrecht spezialisiert hat, war klar, dass sie im humanitären Bereich arbeiten möchte: "Viele Migranten, so wie auch ich, möchten persönliche positive wie auch negative Erfahrungen weitergeben, um anderen Migranten zu helfen."

Keine Kategorien bilden

Tülay Tuncel ist Projektleiterin von Mingo Migrant-Enterprises in der Wirtschaftsagentur Wien. Sie kann dieses Beschäftigungsphänomen nicht erkennen: "Gerade in der Wirtschaft spielt die Herkunft der Menschen keine besondere Rolle. Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so effizient wie möglich einzusetzen. Dabei sind generell ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten maßgeblich", meint Tuncel.

Als Beispiel führt sie den von der Wirtschaftsagentur Wien initiierten "Mingo-Award" an, der sich nicht ausdrücklich auf die Kategorie "Integration" oder "ethnische Ökonomien" festgelegt hat, sondern alle Ideen und Einsendungen unter einem Dach vereint. 2011 waren auch Unternehmer mit Migrationshintergrund unter den Gewinnern. "Das schafft Normalität", betont Tuncel.

Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung

Dass Migranten in Vielfaltsberufen von mehr Anerkennung und Erfolg ausgehen, weiß Adela Kuliga, Gründerin von Networking Youth Career, einem Verein, der junge Erwachsene mit Migrationshintergrund auf ihrem Karriereweg unterstützt. Doch wie verhält sich die Relation zwischen der Eigenmotivation eines Bewerbers und der möglichen Fremdzuschreibung seitens des Unternehmens? "Ich glaube, dass diese Relation ziemlich ausgeglichen ist, dass das Eigeninteresse des Arbeitnehmers und die Fremdzuschreibung des Arbeitgebers sich auch sehr wohl ergänzen können."

Kuliga betont auch, dass gerade in diesen Bereichen oft selbstständig gearbeitet wird, entweder als Einzelpersonen-Unternehmen oder auch in Bürgerinitiativen und Vereinen, was automatisch das Eigeninteresse an der Arbeit hervorhebe. Sie fügt kritisch hinzu, dass Vorteile der "interkulturellen Kompetenz" oftmals auch von Unternehmen unter- bzw. überschätzt würden.

Wenig Widerstand

Für Beatrice Achaleke muss diese Materie anders betrachtet werden: "Das System reproduziert sich selbst, und viele Migranten, die strukturelle Benachteiligung gewohnt sind und nun einen Vielfaltsjob ausüben, beginnen sich damit zu identifizieren. Man wägt sich in einer 'Comfort-Zone', weil man abgesehen vom Vielfaltsaspekt, der nicht jedem liegen kann, einen relativ sicheren Beruf hat." (Toumaj Khakpour, daStandard.at, 14.5.2012)

Original