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In der Schule kann es auch schön sein

Realschule in Eching: Diezinger & Kramer Architekten spielten mit Pastelltönen, Niveauunterschieden und gaben reichlich Lichteinfall hinzu - Foto: Stefan Müller Naumann

Foto: Stefan Müller Naumann

Vor den Klassenräumen der 3c in der Nelson-Mandela-Schule steht im lichtdurchfluteten Spielflur ein Kickertisch. Einige acht- und neunjährige Kinder drängen sich darum, spielen gegeneinander und feuern sich an. "Sofia und ich und Yonca und ich sind ein gutes Team", lacht Anouk und verschwindet im gemütlichen Gruppenraum der Klasse. Nebenan im Arbeitsraum sitzen einige Kinder an einer Tischgruppe und spielen Dixit. Sie genießen die letzten Minuten zum Freispielen bevor sie zu ihren AGs gehen.

An dieser gebundenen Ganztagsschule in Berlin ist der Tag von 8 bis 16 Uhr in abwechselnde Einheiten von Unterricht, Freizeit, Schülerarbeitszeit und AGs unterteilt. Die Kinder lernen individuell im eigenen Tempo, mal im Klassenverband, mal in Gruppen und mal einzeln. Jedes Kind hat ein eigenes Schließfach im Flur und jede Klasse zwei Räume.

Das ist ein himmelweiter Unterschied zur Schule, an die sich ihre Eltern erinnern - sowohl pädagogisch als auch architektonisch. "Im letzten Jahrhundert dominierte der Frontalunterricht, weil man glaubte, Lernen funktioniere am besten durch Nachahmung: vorsagen und nachsagen, abschreiben und auswendig lernen. Und das nach der G-Regel: Alle das Gleiche, zum gleichen Zeitpunkt, mit gleichen Methoden. Dafür waren die zur Genüge bekannten Schuhkartonklassen genau richtig. Heute beginnt sich das grundlegend zu ändern", sagt Bildungsexperte Otto Seydel.

"Jedes Kind ist anders. Je mehr es im eigenen Tempo, mit den zu ihm passenden Gegenständen und Methoden lernen kann, umso stärker wird die eigene Motivation und umso nachhaltiger wirkt das Lernen. Vor diesem Hintergrund wird unmittelbar klar, dass dafür andere Räume gebaut werden müssen." Wer eine neue Schule entwerfen oder umbauen will, darf sich deshalb nicht als Erstes ein Gebäude vorstellen, sondern muss ans Lernen denken. Denn heute weiß man sehr viel genauer als früher, wie Lernen funktioniert.

Graue Filzböden, Neonlicht und Frontalunterricht

Monumentale Schulgebäude mit dunklen, innen liegenden Fluren, von denen rechts und links Klassenräume abgehen, graue Filzböden, die sich statisch aufladen, karge Betonwände, Neonlicht und Frontalunterricht gehören also der Vergangenheit an? Das jedenfalls sollte man meinen.

"Aber zu viele Architekten, die heute Schulen bauen, berufen sich nur auf ihre eigenen Erfahrungen und nutzen die Brandschutzvorschriften als Richtlinie für ihre Entwürfe, anstatt sich mit dem aktuellen Stand der Pädagogik und den Anforderungen an eine moderne Schule auseinanderzusetzen", sagt Architekt Wolf-Emanuel Linsenhoff und beklagt, dass sich auch viele Schulträger zu wenig um die Wirkung von Architektur auf den Lebensraum Schule kümmern. "Zu selten wird beachtet, dass der Raum neben den Lehrern und den anderen Kindern der dritte Pädagoge ist, dass die Umgebung ästhetisch erzieht und Kinder in ihrer Entwicklung fördern, aber auch ausbremsen kann."

Umgekehrt stellt auch Alfred Holzbrecher, Professor an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, fest, dass das Thema in der akademischen Schulpädagogik noch nicht angekommen ist. "Die psychologische Wirkung der Lernumgebung wird noch weitgehend unterschätzt", sagt er. "Wenn man Schule als Lern- und Lebensraum begreift, wo Kinder lernen, selbsttätig Probleme zu lösen, dann braucht man flexible, helle Räume, die das unterstützen."

Ein Dorf aus Lernhäusern und Höfen

Gute Beispiele gibt es dafür. Eines ist die 2005 fertiggestellte Realschule in Höchstadt an der Aisch. Hier wurde die Idee von der Schule als Dorf mit einer Anordnung der Lernhäuser in Form von Einzelhäusern realisiert. Zwischen ihnen wurden Höfe geschaffen, die den Baukörper entlang einer inneren Straße in überschaubare Einheiten unterteilen und Raum bieten für Themen und Aktivitäten. So gibt es den Mensa- und Lesehof, einen Experimentierhof und einen Schulgarten.

Nahezu alle Klassenzimmer sind flexibel gestaltet und können "thematisch bespielt werden", wie es die verantwortliche Architektin Sibylle Käppel-Klieber im Buch "Raum für Bildung" beschreibt. Dass der Neubau gut angenommen wird, zeigen die steigenden Anmeldungen - und Aussagen wie die von Stefan Amtmann, der bis 2007 Schüler hier war: "Das Klima war früher sehr unpersönlich und zerrissen. Mit der neuen Schule wuchsen wir alle zusammen."

Wer in den 1960er- und 1970er-Jahren zur Schule gegangen ist und geduckt durch tunnelartige Flure ging, dürfte sich an die gleichfalls gedrückt Stimmung erinnern. "Die angeblich so funktionstüchtigen Grundrisse der in Teilbereichen fensterlosen Schulen sind das Zeugnis einer Gesellschaft, für die Bildung eher Last als Lust ist", urteilt der renommierte Stuttgarter Architekt Arno Lederer im von der Bundesstiftung Baukultur herausgegebene Band "Worauf baut die Bildung?".

Materielle und ästhetische Dauerhaftigkeit

Er empfiehlt stattdessen Schulen zu bauen, die sich durch neutrale Nutzungsangebote, sowie materielle und ästhetische Dauerhaftigkeit auszeichnen. "Man kann auch mit kleinen Gruppen in einem großen Raum konzentriert arbeiten, wenn dieser umfassend gut gestaltet ist. Man kann, wenn es sich um einen schönen Bau handelt, auch in einem alten Bahnhof, in einem Schloss oder einer Fabrik unterrichten, wenn der Raum dafür ausreicht", sagt er.

Umso erstaunlicher, dass noch Schulgebäude wie das der Fritz-Reuter-Oberschule in Berlin entstehen. Der 1997 fertiggestellte Bau zählt laut Aussagen der Schule zu den modernsten Schulen der Stadt und sei architektonisch sehr interessant. Hier wird ein fahl-grüner Betonbau mit 220 Meter langen Fluren, an denen sich die Klassenräume akkurat aufreihen, als bauliche Errungenschaft der Bildungslandschaft gelobt.

Es geht auch anders, wie Architekt Wolf-Emanuell Linsenhoff mit der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule im brandenburgischen Mühlenbeck gezeigt hat. "Die Vorgabe lautete, einen Erweiterungsbau für Neues Lernen in fraktaler Bauweise mit sechseckigen Unterrichtsräumen zu erstellen", sagt er. "Wie in Birkenwerder, wo wir die Regine-Hildebrandt-Gesamtschule nach den gleichen Vorgaben gebaut haben, ging es hier darum, praktizierte Reformpädagogik räumlich, organisatorisch und architektonisch im Bau angemessen zu berücksichtigen, indem die Klassenräume entlang eines Lernflurs gruppiert wurden."

Ein Schulhof auf dem Dach

Dass ein moderner Schulbau aber nicht nur auf der grünen Wiese, sondern auch mitten in der Stadt gelingen kann, zeigt das Beispiel der Katharinenschule in der Hamburger HafenCity, die sich einen Baublock mit einem Wohntrakt teilt und ihren farbenfrohen Schulhof infolge des kompakten Standorts auf dem Dach hat.

Geprägt ist die Schule aber eigentlich von ihrer hohen Transparenz im Inneren: Die paarweise angeordneten Klassen haben jeweils einen Gruppenraum mit Schiebetür, sodass bei geöffneten Türen vier Räume miteinander verbunden sind. "Fenster auch im Innenbereich des Gebäudes gewährleisten, dass Kinder, wenn sie während des Unterrichts andere Arbeitszonen aufsuchen, im Sichtkontakt zum Klassenlehrer bleiben. Dieses Prinzip unterstützt Schüler beim individualisierten Lernen", erklärt Schulleiterin Ulrike Barthe-Rasch.

Nutzer schon bei der Planung einbinden

Das Besondere in Hamburg: Hier wurden die späteren Nutzer bei der Planung eingebunden. Etwas, das Experten schon lange fordern und das jetzt langsam umgesetzt wird. "Viele Kommunen suchen händeringend nach Unterstützung bei den Schulbaumaßnahmen, die vor ihnen liegen, denn sie haben verstanden, dass es nicht genügt die Schulen nur energetisch zu sanieren oder am Einsturz zu hindern.

Sie haben verstanden, dass sie auch pädagogisch saniert werden müssen", so Otto Seydel. "Es ist entscheidend, dass in der Frühphase der Bauplanung ausführlicher Kontakt mit der Schule gesichert ist. Da sind manchmal 'Übersetzer' hilfreich, denn die Sprachen von Verwaltung, Architekten und Pädagogen sind sehr verschieden." Sie alle an einen Tisch zu bekommen und einen gemeinsamen Nenner zu finden ist eine Herausforderung. Aber es hilft dabei, dass Schüler und Lehrer die 10.000 bis 15.000 Stunden, die sie gemeinsam in der Schule verbringen, nicht als Last, sondern als Lust empfinden.

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