Im März 2012 werden Ahmad Abbas und seine Schwester Hanadi mit schweren Brandverletzungen in einem Krankenhaus im Libanon entdeckt und im Rahmen einer Hilfsaktion nach München transportiert. Hier beginnt Ahmads neues Leben.
„Du kannst gerne in die Sonne gehen, meiner Haut tut das nicht so gut.“ Noch immer sind Ahmads Arme und Hände dunkelbraun verkrustet, von schweren Verbrennungen gezeichnet. Unter seinem langärmligen Hemd wirken sie wie zwei zerbrechliche Äste.
Die Bilder des jungen Syrers und seiner Schwester Hanadi gingen um
die Welt. Zwei Kinder liegen in einem Krankenhaus im libanesischen
Tripoli. Das Gesicht eines Kindes ist von einer schwarzen Schicht
überzogen. Das andere Gesicht ist unter einer Maske, die nur Augen und
die Mundpartie frei lässt, kaum zu erkennen. Die Hände sowie die Arme
und die Bauchpartie verhüllen notdürftig teilweise mit Blut und Eiter
getränkte Mullbinden.
Zu dem Zeitpunkt ist Ahmad 17, seine Schwester Hanadi 13. Eine Granate
hatte ihr Elternhaus unweit der libanesischen Grenze getroffen. Als der
Gaskocher in der Küche explodiert, können die beiden Geschwister dem
Feuer nur schwer verletzt entkommen. Nachbarn und Helfer bringen die
Kinder über Schleichwege, an Straßensperren vorbei, in den Libanon.
„Als ich aufwachte dachte ich, ich bin im Paradies“
Ahmads Haut ist zu 60 Prozent verbrannt, seine Schwester hat es noch
schlimmer getroffen – ihre Haut ist zu 80 Prozent verbrannt. Ohne eine
sofortige Hauttransplantation müssen beide sterben. Der Kriegsreporter
Carsten Stormer erfährt von den beiden, nimmt sich des Falls an und
mobilisiert über Facebook eine Hilfsaktion, um die beiden mit einem
ADAC-Rettungsflug nach München zu transportieren. Vier Monate liegen die
beiden im künstlichen Koma.
„Als ich aufwachte dachte ich, ich bin im Paradies“, sagt der heute
21-Jährige über den Moment, als er nach dem Krankentransport von Homs
nach München in der Haunerschen Kinderklinik erstmals wieder die Augen
aufschlägt. „Die Krankenschwestern in ihren weißen Kitteln – und ich
verstand die fremden Sprachen nicht.“
Vier Monate lang werden die beiden in verschiedenen Kliniken behandelt.
Alles scheint gut zu heilen. Ahmad sollte in den nächsten Tagen
entlassen werden.
Dann noch eine Komplikation. Mitten in der Nacht, kurz vor vier,
schrillt der Alarm im Klinikum Großhadern. „Mein Herz war
stehengeblieben. Es gab ein Problem mit der Herzklappe. Danach wurde ich
noch einmal am Herz operiert“. Aber eine Unsicherheit bleibt bis heute.
Auch psychisch haben die Brandverletzungen Narben hinterlassen. „Ich
wollte nicht mehr weiterleben.“ Ahmad geht durch die Hölle, kann nicht
schlafen. Er schmeißt mit Essen um sich, demoliert sein Zimmer. „Heute
bin ich ein ganz anderer Mensch“.
„Singen lindert den Schmerz“
Mittlerweile hat Ahmad mit seiner Krankengeschichte weitgehend abgeschlossen. “Eigentlich langweilt es mich darüber zu erzählen“, sagt Ahmad. Schon zu oft hat er in den letzten vier Jahren seine Geschichte Journalisten erzählen müssen. Immer und immer wieder. Lieber lenkt er jetzt das Interesse der Medien von seinem Schicksal auf den Syrischen Friedenschor.
Den Chor gründete er im vergangenen Jahr, um junge unbegleitete
Flüchtlinge, wie er selbst einer war, aus der Langeweile und Monotonie
der Flüchtlingsheime zu holen. „Manche Flüchtlinge bauen Scheiße, weil
ihnen langweilig ist. Wir wollen Vorurteile abbauen und den Menschen
hier in Bayern zeigen, dass Syrien nicht so ist, wie sie es sich oft
vorstellen.“ Ahmad sieht sich und den Chor auch als Botschafter Syriens.
Er kramt in einem Umschlag und zeigt einige Bilder. Der Friedenschor im
Berchtesgardener Salzbergwerk, der Friedenschor auf dem Königssee und – darauf ist Ahmad besonders stolz – ein Selfie mit Bundespräsident Gauck.
Wenige Tage später im Chorprobensaal des Gasteigs. Eine Bühne mit
Stuhlreihen. Ringsum stehen Instrumente. Eine große Basstrommel, ein
Flügel. Etwas verloren in dem großen Raum treffen sich zehn Jungs
zwischen 13 und 19 Jahren zur Probe. Ahmad gibt den Einsatz. Am Keyboard
sitzt Uday, das Spielen hat er sich selbst beigebracht. Von einem
elektronischen Preset-Rhythmus angetrieben singen die Zehn arabische
Lieder.
Deaa begleitet sie auf der Oud, einem traditionellen arabischen Saiteninstrument, das entfernt an eine Mandoline erinnert. Weitere rhythmische Unterstützung kommt von Ferhan, der mit langen Fingern auf der Darbuka trommelt. Ihre Lieder erzählen von einer Heimat, die es nicht mehr gibt. „Singen lindert den Schmerz“, sagt Ahmad und erzählt: „Einmal haben wir im Zenith bei einem großen Treffen der arabischen Community gesungen und als wir „Janna Janna“, ein arabisches Lied, angestimmt haben, hatten die Syrer im Publikum Tränen in den Augen.“
Eine zweite Heimat
In Ahmads Ein-Zimmer-Wohnung in der Maxvorstadt verweisen nur einige großformatige Plakate mit syrischen Denkmälern, eine Stadtansicht auf Damaskus und eine Landkarte des Nahen Ostens auf Ahmads Herkunft. Anfang September begann Ahmad, der in den letzten Jahren an der SchlaU-Schule, einer Schule für unbegleitete junge Flüchtlinge, gelernt hat, eine Ausbildung als Medizinischer Fachangestellter in einer HNO-Praxis am Laimer Platz. München ist für Ahmad zu einer zweiten Heimat geworden. „In Syrien habe ich nichts mehr, hier in Deutschland habe ich mir viel aufgebaut. Um zu wissen was Heimat bedeutet, musst du in ein anderes Land gehen. In deiner neuen Heimat musst du wie ein kleines Kind noch mal alles von Anfang an lernen.“ Am Kleiderschrank kleben die Namensschilder seiner Mitsänger beim Chor, Fotos von Auftritten. Immer wieder greift er zu seinem Smartphone. „Ohne Handy geht’s nicht!“ Mit seinem Telefon koordiniert er Auftritte, Hotelbuchungen, füllt Formulare aus und hält Kontakt zu Familie und Freunden. Sein Vater lebt noch immer in einem Flüchtlingslager im Libanon. „Das Lager ist nur zwanzig Minuten von zuhause weg, aber dort gibt es nichts mehr“. Alle Versuche ihn nach Deutschland zu holen, scheiterten bisher.
Am Küchenschrank hängen mehrere Siegerurkunden. Ahmad läuft Marathon. 10 und 12 Kilometer. „1:15, 0:55, 0:52“ vergleicht er seine Zeiten. “Ich bin immer besser geworden“. In einem Ordner bewahrt Ahmad Briefe auf, die er von Schülern während seiner Zeit im Kinderklinikum bekommen hat. Er streicht mit der Hand über die Kinderzeichnungen und bunten Basteleien. „Das bleibt als Erinnerung“ sagt er und schließt den Ordner.
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