Von Tim Slagman
Nachts im Bett zerrt etwas an deinem Fuß...und warum stinkt es hier plötzlich so? Mit "Conjuring - Die Heimsuchung" gelingt dem Macher der "Saw"-Reihe ein großartiger Horrorfilm, der ausgiebig die Klassiker des Genres zitiert, aber seinen sehr eigenen Schrecken entwickelt.
Vermutlich geht es ein wenig zu weit, "Conjuring - Die Heimsuchung" als Phänomen zu bezeichnen. Aber bemerkenswert ist die Erfolgsgeschichte dieses Horrorfilms schon: Am Startwochenende in den USA nutzte er eine Atempause zwischen dem Gedröhne der Sommer-Blockbuster, um sich mit einem Umsatz von 40 Millionen US-Dollar an die Spitze der Kinocharts zu setzen - und sein Budget damit gleich doppelt einzuspielen.
Dabei bietet die neue Arbeit von James Wan, bekannt als Mastermind der blutigen "Saw"-Reihe, auf den ersten Blick wenig, was das Genre nicht bereits anderswo eingesetzt hätte. Wir befinden uns in den siebziger Jahren auf Rhode Island, die Familie Perron zieht in ein abgelegenes Landhaus mit düsterem Keller und pechschwarzer Vergangenheit. Bald erklingen seltsame Geräusche, die Uhren bleiben alle zur selben Zeit stehen, irgendetwas zieht eine der fünf Töchter im Schlafe am Fuß, während es furchtbar nach, nun ja, Fürzen stinkt - und der Hund liegt leblos im Garten.
Was den Mädchen wie Fürze erscheint, ist jedoch der Gestank von verfaultem Fleisch - und nach verfaultem Fleisch riechen Dämonen. Solche Dinge wissen Lorraine und Ed Warren, Parapsychologen, die von den Perrons zur Hilfe gerufen werden, nachdem auch noch Bilder von der Wand gefallen sind und auf dem Schrank eine alte, tote Frau mit hassverzerrter Fratze hockte. Die Geschehnisse sollen auf einer wahren Geschichte beruhen: Die Warrens waren tatsächlich als Ermittler in Geisterdingen tätig - zu den berühmtesten Fällen des Paares gehörte der des "Amityville Horror", der in den Siebzigern zum ersten Mal den Weg auf die Leinwand fand.
Ein tiefer Blick in den Abgrund
Zugegeben, spätere Recherchen erschütterten die Glaubwürdigkeit der Warrens gewaltig. Doch Wan führt mit der zweiten Familie ein weiteres Geflecht von Emotionen in die Handlung ein, das "Conjuring" letztlich weit über den Durchschnitt des Genres heraushebt. Vera Farmiga ("Bates Motel") verleiht Lorraine einen traurigen Ernst, der ohne Pathos davon erzählt, wie schwer all die Verletzungen sein müssen - diese tiefen Gefühle, die eine Seele über den Tod hinaus irgendwie doch am Leben halten. Lorraine Warren war in dem Parapsychologen-Duo das Medium, und bei einer früheren Dämonenaustreibung, so jedenfalls erzählt es der Film, schaute sie so tief in den Abgrund, dass sie davon noch immer erschüttert ist.
Wenn Lorraine das empathische, mitfühlende Element verkörpert, dann ist ihr Ehemann Warren der Formalist, ein Techniker des Kampfes gegen das Böse. Patrick Wilson ("Watchmen", "Little Children") stattet seine Figur mit einer gewissen Glätte aus, einer professionellen Arroganz, die aber zu bröckeln beginnt, als er fürchtet, dass Lorraine diesem neuen Fall nicht gewachsen sein und sich ihre große Stärke als Schwäche erweisen könnte. Als Mutter der fünf Perron-Töchter spielt Lili Taylor derweil die Verletzlichkeit ihrer Figur mit großer Sensibilität aus und lässt dennoch ahnen, wie sehr ihre Carolyn die Pflicht verspürt, ihre Familie zusammenzuhalten; eine Zerrissene, die Opfer ist und Wächterin sein muss.
Letzter Ausweg: Exorzismus
Als genreversierter Zuschauer glaubt man, viel vorhersagen zu können vom Fortgang der Geschehnisse. James Wan streut düstere Ahnungen aus, und er füllt seinen Film mit einem Anspielungsreichtum, der sich in der Inszenierung fortsetzt: Wenn die Kamera durch ein altes Fenster mit Holzrahmen nach draußen schaut, auf die gerade ankommende Familie Perron, oder wenn sie durch die Räume fließt, die frisch eingerichtet werden, dann suggeriert dies, wie in vielen Spukhausfilmen, einen Beobachter. Jemanden - oder etwas -, das bereit ist einzugreifen.
All diese Zitate und Suggestionen sind aber niemals Selbstzweck, sondern unterwerfen sich einem sehr formbewussten Konzept, einer Maxime der Beunruhigung und des Schreckens. Der Verweis auf Grusel-Traditionen verschafft hier nicht Erleichterung, sondern verstärkt noch die Beklemmung. Und wenn sich die Erzählung verschiebt hin zu einem lauten, krachenden Exorzistendrama, dann ahnt man, geschult an Beispielen wie dem legendären "Der Exorzist" oder "Der letzte Exorzismus": Das hier wird überhaupt nicht gut ausgehen.
Der eigentliche Kunstgriff dabei ist: Eben diese Ahnung berührt die Zuschauer. Wan trennt nicht zwischen den Figuren und dem Schrecken, der über sie fällt. Ein Mädchen im Nachthemd, das plötzlich wie aus dem Nichts auf der Treppe auftaucht und dann doch, Gott sei Dank, nur die aufgeweckte Tochter ist. Ein Versteckspiel, das in blanken Terror mündet - das Entsetzliche und das Vertraute verwischen ineinander. Und diese Vorstellung ist ja nun wirklich der blanke Horror.
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