Balkonfragen - oder auch: Plattformfragen - heißen so, weil sie die Frage auf einen „Balkon" stellen. Ein Beispiel: „25 Prozent Ihrer Mitglieder haben kein Vertrauen mehr in Ihre Amtsführung. Wie reagieren Sie auf diese Stimmungslage?"Vorn steht ein recherchierter Fakt, hinten dann die Frage. Oft ist das ein guter Aufbau, denn...
...Sie zeigen, dass Sie vorbereitet sind
Demonstrieren Sie, dass Sie gut recherchieren. Nutzen Sie Ihre Erkenntnisse für den Balkon. Das können Zahlen von Behörden sein, Aussagen alter Bekannter des Gesprächspartners oder Hintergrundinformationen von Widersachern. In jedem Fall ist das Signal an den Interviewten klar: Ich habe mich mit der Sache beschäftigt, ich will ernst genommen werden.Gut vorbereitete Journalisten gewinnen im Gespräch mit dieser Frage Respekt.
Auf dem Balkon können Sie Fakten einschieben, ohne dass die eigentliche Frage kontrovers klingt. So gelang es mir, einen Sportler indirekt dazu zu bringen, Drogenkonsum zuzugeben. Ich hatte in der Einleitung gesagt, dass er einst nach Drogenkonsum für einen Wettbewerb gesperrt, aber nie wegen Dopings verurteilt worden war - dass später aber verurteilte „echte" Doper beim selben Wettbewerb nach Ablauf ihrer Sperren starten durften. „Finden Sie das ungerecht?" Der Mann hatte seinen Drogenkonsum nie zugegeben, doch mit seiner Antwort auf Basis der Plattform akzeptierte er implizit, dass die Voraussetzung der Frage wahr war.
Gerade bei kontroversen Themen ist die Balkonfrage bestens geeignet, um den Journalisten aus der Schusslinie zu halten. Wenn Sie Studien kennen, Experten zitieren können oder Widersacher beziehungsweise gut informierte Kreise gesprochen haben, dürfen Sie alle kritischen Punkte aus diesen Quellen benennen. Sie bleiben stets Moderator, wenn Sie die Balkonfrage stellen. Das hilft Ihnen, wenn die Situation angespannt ist.
Balkonfragen helfen, den öden Rhythmus zwischen kurzen Fragen und langen Antworten aufzubrechen. Soll das Gespräch im Wortlaut veröffentlicht werden, ist guter Rhythmus wichtig. So wird der Text nicht langweilig und schlägt die Leser nicht in die Flucht. Passen Sie aber auf, dass Sie nicht labern - denn dafür ist die Balkonfrage auch berüchtigt, wie Christian Sauer in einem Text auf dem ABZV-Gesprächsführungsportal illustriert.
*Tim Farin ist freier Journalist und Mitinhaber des Büros für Stilsicherheit in Köln. Als ABZV-Dozent gibt er seit 2012 Interviewseminare für Volontäre.