17 subscriptions and 4 subscribers
Article

Robin Gosens: Fußballprofi auf dem zweiten Bildungsweg

Robin Gosens lebt den Traum von vielen: In Deutschland kennt den Fußballspieler zwar kaum jemand, in Italien aber hat er es bis in die Champions League geschafft.


Manchmal ist Veränderung ein Espresso, der nicht bestellt wird, ein Buch, das nicht gelesen wird. So sieht das Robin Gosens. Gosens ist Fußballer, einer, den die Deutschen gerade erst kennenlernen, dabei spielt der 25-Jährige schon seit zwei Jahren für den italienischen Verein Atalanta Bergamo.Weil Gosens schon lange denkt, immer nur Fußball sei ihm zu wenig, hat er sich nach dem Training häufiger in eines der vielen Cafés in Bergamo gesetzt, einer 120.000-Einwohner-Stadt nordöstlich von Mailand, um ein Buch zu lesen.


Doch jetzt, wo der Club sich zum ersten Mal für die Champions League qualifiziert hat und aus dem unbekannten deutschen Back-up eine wichtige Stammkraft als Linksverteidiger geworden ist, geht das nicht mehr so einfach: in einem Café sitzen, Espresso trinken und in aller Ruhe lesen. Immer öfter, sagt Gosens in einem Skype-Videotelefonat, werde er von fremden Menschen angesprochen, auf seine Entwicklung und die des Vereins. Natürlich freue er sich darüber, sagt er. Aber seine Bücher, die liest Gosens wieder zu Hause.


Es ist eine Geschichte von vielen, die Gosens erzählt, wenn man ihn fragt, wie sich sein Leben in den vergangenen Monaten verändert habe. Seine Geschichte ist eine, die im modernen Fußball eigentlich nicht mehr vorgesehen ist. In einem Nachwuchsleistungszentrum war Gosens nie, Fußball bedeutete für ihn lange ein Hobby. Training hatte er zweimal die Woche.


Und doch lebt Gosens gerade den Traum von Millionen Kindern und Jugendlichen. In dieser Woche ist Champions League und Atalanta Bergamo spielt gegen Pep Guardiolas Manchester City. Dienstagabend, Flutlicht, 55.000 Zuschauer im Etihad Stadium, die ganz große Fußballbühne. "Wahnsinn", sagt Gosens, der Spätzünder. "Manchmal frage ich mich: Robin, wat machst du hier?"


Ein Nachmittag in Kleve änderte alles

Es ist der vorläufige Höhepunkt in der Erzählung über die Profiwerdung eines jungen Mannes auf dem zweiten Bildungsweg, der diesen Traum gar nie geträumt hatte. Eigentlich hatte der Plan nämlich so ausgesehen: Abitur, dann zur Polizei. Gosens war sechs, als ihm sein Opa eine Polizeimütze aufsetzte und ihm einen Streifenwagen zeigte. "Da war die Sache für mich klar: Ich wollte Polizist werden." Das mit der Polizei wurde nichts, Robin Gosens kam der Fußball dazwischen.


Der Tag, von dem man rückblickend sagen kann, dass er die Fußballerkarriere von Gosens überhaupt erst ermöglicht hat, war ein Samstagnachmittag vor siebeneinhalb Jahren. In Kleve, einem verschlafenen Städtchen an der deutsch-holländischen Grenze, spielte Gosens mit der A-Jugend des VfL Rhede, damals erste Leistungsklasse Niederrhein, gehobener Amateurfußball. Und Gosens spielte gut: Ein Tor schoss er, eins bereitete er vor.


Dann stand plötzlich dieser Mann vor ihm, niederländischer Akzent, ein Scout von Vitesse Arnheim. Eigentlich, sagte der Mann zu Gosens, sei er wegen eines anderen Spielers gekommen, aber nun sei er wirklich begeistert von ihm. Ob er nicht mal zum Probetraining kommen wolle?


"Warum soll ich wie andere Fußballer stundenlang vor der Xbox hocken?"

Mehr als 2.700 Tage später und beinahe 1.000 Kilometer von Kleve entfernt sitzt Gosens in seiner Wohnung in Bergamo. Es ist Samstagabend, Gosens kommt gerade vom Training, die Kapuze seines Hoodies hat er ins Gesicht gezogen. Doch wenn er über das spricht, was ihm in den vergangenen Jahren passiert ist, klingt es, als wäre Kleve um die Ecke und der Fußballplatz einer mit krummen Linien und keine Arena. Gosens sagt nicht "was" und "das", er sagt "wat" und "dat", so wie man das eben sagt am Niederrhein.  


"Dat ist kaum zu glauben, wat alles passiert ist", sagt Gosens und meint, dass er nun sein Geld damit verdient, vor Tausenden Menschen Fußball zu spielen. Dass er in Arnheim überzeugte und bei der U19 bleiben durfte, wo irgendwann Peter Bosz, damals Trainer der ersten Mannschaft und heute in Leverkusen, zuschaute. Dass Bosz sagte, als zentraler Mittelfeldspieler werde er es schwer haben bei Vitesse. Aber er könne Linksverteidiger werden. 


Also wurde Gosens Linksverteidiger, ein ziemlich guter sogar. Erst beim FC Dordrecht, dann bei Heracles Almelo und jetzt eben bei Atalanta. Die Mannschaft wird von der Konkurrenz für ihren tollen Stil gelobt, etwa von Maurizio Sarri, dem Trainer des Dauermeisters Juventus Turin.


Zuletzt hat Gosens eigentlich immer gespielt, und dann schießt er plötzlich auch noch Tore: Drei sind es schon nach acht Spieltagen der Serie A. Nicht schlecht für einen wie ihn, der eigentlich für die Zweikämpfe zuständig ist und manchmal auch für die Dribblings und die Vorlagen.  


Überhaupt sind es gerade aufregende Wochen für Gosens. Da ist einmal die Sache mit dem FC Schalke 04: Gosens ist Schalke-Fan, das war er schon als kleiner Junge. Im Sommer haben sich dann tatsächlich Verantwortliche des Clubs bei ihm gemeldet. Ob er sich vorstellen könne, in Königsblau zu malochen? Natürlich konnte er das. Doch der Wechsel platzte, weil die Vereine sich nicht einigten. Wer weiß, sagt Gosens, vielleicht klappe es ja irgendwann doch noch. 


Er studiert nebenbei

Gerade beschäftigt ihn eine andere Aufgabe mehr. Am Dienstag spielt Gosens in Manchester das vielleicht größte Spiel seiner Karriere. In Zagreb und gegen Donezk hat Bergamo verloren, die Mannschaft müsste nun unbedingt gewinnen. Das wird sehr schwer. "Ich freue mich dennoch riesig auf das Spiel", sagt Gosens, "das wird ein richtiges Ereignis."  

Weil Gosens erkannt hat, dass er sich nicht immer nur mit Fußball beschäftigen möchte, hat er sich irgendwann an einer Fernuni eingeschrieben. Psychologie, irgendwann möchte er den Bachelor machen. Im November steht eine Hausarbeit an, kurz vor Weihnachten eine Klausur in Entwicklungspsychologie.  


Fragt man Gosens, wie das zusammengeht mit dem Fußball und der Psychologie, spricht er darüber, wie privilegiert Fußballer seien und wie viel freie Zeit ihnen zur Verfügung stünde. Er sagt: "Warum soll ich wie andere Fußballer stundenlang vor der Xbox hocken und zocken, wenn ich auch etwas für meinen Kopf und meine Zukunft tun kann? Ich möchte eben nicht immer nur für den Sport leben."

Original