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Deutschlands U21: Wie Achterbahnfahren ohne Sicherheitsgurt

Minimalziel erreicht: Deutschland steht bei der U21-EM im Halbfinale. Dort muss sich die Elf aber steigern. Das gilt auch für Torhüter Alexander Nübel, der beim 1:1 gegen Österreich einen denkwürdigen Abend erlebte.


Im letzten Vorrundenspiel der deutschen U21-Nationalmannschaft gegen Österreich hatte soeben die 90. Minute begonnen, als Torhüter Alexander Nübel ein Abschlag über den Spann rutschte und vor den Füßen eines Österreichers landete. Das kommt vor im Fußball. Doch Nübel, 22, zerrte an seinem Trikot, er schüttelte den Kopf, dann raufte er sich die Haare.


Als der Schiedsrichter kurz darauf das Spiel abpfiff, riss sich Nübel die Torwarthandschuhe von den Händen. Er schleuderte sie von sich, als sei ihm irgendwann an diesem Abend der Spaß am Fußball vergangen.


Es waren nur zwei Szenen eines Fußballspiels, das sich für Nübel mitunter wie eine Achterbahnfahrt ohne Sicherheitsgurt angefühlt haben muss. Beim 1:1, das den Gruppensieg bedeutete und auch die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio, hatte Nübel einen Elfmeter verschuldet, den Kevin Danso verwandelte (24. Minute). Er hatte einige Fehlpässe gespielt, wie man sie von ihm nur ganz selten sieht, und hatte fortan mit sich gehadert.


Dann aber hatte Nübel wieder so famos gehalten, dass es die Österreicher waren, die an ihm verzweifelten. Einmal, es lief bereits die zweite Hälfte, kam Österreichs Mittelstürmer Sasa Kalajdzic aus fünf Metern zum Kopfball, wuchtig und platziert, doch Nübel riss im Fallen noch das linke Knie hoch und wehrte ab. Eine grandiose Parade.


Stresstest bestanden

Der deutsche U21-Trainer Stefan Kuntz erzählte später, wie sich in der Halbzeit erst die beiden Ersatztorhüter Florian Müller und Markus Schubert daran versucht hätten, Nübel aufzumuntern, dann Torwarttrainer Klaus Thomforde und schließlich auch er selbst. Auch nach dem Schlusspfiff redete Kuntz auf Nübel ein. Später sollte er sagen, erst in solchen Spielen zeige sich ja, wie stressresistent ein Spieler sei. Und Nübel, darauf legte Kuntz großen Wert, habe diesen Stresstest bestanden: "Er war dann noch zweimal zu einhundert Prozent da und hat uns gerettet", sagte Kuntz.


Es wäre sicher interessant gewesen, auch mit dem Spieler über seine Leistung zu sprechen, doch Nübel schweigt derzeit lieber. Begonnen hatte das mit einem Interview der "Bild"-Zeitung, die Nübel wenige Tage vor Beginn EM-Endrunde offenbar forsche Worte hatte entlocken können, auch zu einer Zukunft in der A-Nationalmannschaft. "Nübel-Kampfansage an ter Stegen", lautete der Titel. Das kam nicht überall gut an, auch beim DFB soll man nicht begeistert gewesen sein.


Dabei hatte man zuvor über Nübel viele schöne Geschichten lesen können, fast alle erzählten sie vom Aufstieg eines Torhüters, so jung wie talentiert. Bei seinem Klub, dem FC Schalke, hatte er im Winter endgültig die Vereinslegende Ralf Fährmann als Nummer eins abgelöst. Fortan hielt Nübel zumindest solide, oft auch richtig gut. Es ist auch ihm zu verdanken, dass die zwischenzeitlich vom Abstieg bedrohten Schalker auch in der kommenden Saison Bundesliga spielen.


Und was er dort zeigte, diese Mischung aus tollen Reflexen, einer guten Strafraumbeherrschung und fußballerischen Fähigkeiten, hat sich rumgesprochen. Es heißt, die Bayern interessierten sich sehr für Nübel. In einem Jahr läuft sein Vertrag auf Schalke aus, und mit Ex-Schalkern im Tor haben sie in München gute Erfahrungen gemacht.


"Uns hat die Unbekümmertheit gefehlt"

Zunächst aber steht für Nübel und die U21 das Halbfinale bei der EM an. Als Erster der Gruppe B trifft Deutschland am 27. Juni um 21 Uhr in Reggio d'Emilia oder Bologna auf den Zweiten der Gruppe A (Italien) oder den Ersten der Gruppe C (Rumänien oder Frankreich). Und ganz egal, wer dort der Gegner sein wird: Mit einer Leistung wie gegen Österreich dürfte Deutschland Probleme bekommen.


Vor allem in der ersten Hälfte war nämlich Österreich das bessere Team, Deutschland agierte seltsam zurückhaltend. Nach zwei überzeugenden Siegen gegen harmlose Dänen und taktisch schwache Serben war Österreich ein erster Gegner, der diesen Namen auch verdient hatte. Und Deutschland tat sich schwer: "Wir haben heute nicht unser bestes Spiel gezeigt", sagte der Innenverteidiger Timo Baumgartl. Das galt allerdings nicht für die Szene, die zum deutschen 1:0 geführt hatte: Luca Waldschmidt traf aus 30 Metern in den Winkel.


U21-Trainer Kuntz war zwar nicht komplett zufrieden. Er sagte, es habe "die Unbekümmertheit gefehlt". Doch er sei sicher, im Halbfinale werde das anders aussehen, auch wenn dann womöglich der Druck noch größer sein wird. Dann musste Kuntz grinsen, vielleicht weil ihm die Anekdote mit Berti Vogts einfiel. Bei der EM 1996 habe er vor dem Finale mit dem damaligen Bundestrainer Vogts gesprochen, sagte Kuntz: "Trainer, das ist jetzt aber ganz schön viel Druck, habe ich zu ihm gesagt. Und darauf erwiderte der Berti: Je größer der Druck, desto größer die Pokale."


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