Schweden spielt bei der WM ohne Zlatan Ibrahimovic. Ein Vorteil für Deutschland und die anderen Gruppengegner? Eher nicht - die Mannschaft ist vielleicht sogar gefährlicher.
Als sich Schweden und Dänemark kürzlich in einem Vorbereitungsspiel für die WM-Endrunde gegenüberstanden, fiel das Duell der beiden aktuell spannendsten skandinavischen Fußballer aus. Christian Eriksen blieb bei seiner hochschwangeren Frau in Dänemark - und so stand Schwedens Emil Forsberg alleine im Mittelpunkt. Dem Star von RB Leipzig gelang jedoch nicht viel - die Partie endete 0:0. Schwedens Albin Ekdal sagte: "Das Spiel war eine Schlaftablette."
In Panik verfielen die Schweden deshalb nicht. "Ein typisches Testspiel eben", sagte der 26 Jahre alte Forsberg. Die WM in Russland - mit den Gruppengegnern Südkorea (Anpfiff 14 Uhr, Liveticker bei SPIEGEL ONLINE), Deutschland und Mexiko - könnte seine Bühne werden. Etliche Spitzenklubs sind angeblich hinter ihm her. Er ist der Hoffnungsträger der Nation, beim WM-Sonderheft der Zeitung "Aftonbladet" ist Forsberg deshalb auf der Titelseite abgebildet. Mit grimmigem Blick wirkt er entschlossen und zu allem bereit.
Noch bis vor kurzem wäre Forsberg nicht auf Seite eins gewesen. Über Jahre waren Schwedens Titelseiten für Zlatan Ibrahimovic reserviert, den vielleicht besten Fußballer aller Zeiten des Landes. Doch jetzt ist "Ibra" nicht dabei.
Nach der EM 2016 hatte Ibrahimovic, mittlerweile 36 Jahre alt, seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt, nach 15 Jahren und 62 Toren in 112 Länderspielen. Experten prophezeiten, auf die Schweden würden fortan schwere Zeiten zukommen.
Mittlerweile steht fest: Sie haben sich geirrt.
Trainer Janne Andersson arbeitete an der Taktik, stärkte die verbliebenen Spieler. Er entwickelte eine ausgeglichene Mannschaft, die eine beeindruckende Qualifikationsrunde spielte. Das Team wurde in einer schweren Gruppe Zweiter hinter Frankreich, aber vor den Niederlanden und rang in den Playoffs die Italiener nieder.
"Der Erfolg der Mannschaft beruht auf dem Kollektiv", sagt der schwedische Journalist Torbjörn Westlin von der Zeitung "Expressen" dem SPIEGEL. "Die einzelnen Spieler sind nicht unbedingt furchteinflößend, aber zusammen machen sie es sehr gut." Es ist die Paradoxie des schwedischen Fußballs: Kaum ist der beste Spieler zurückgetreten, wachsen die anderen über sich hinaus. Als hätten sie es nach all den Jahren sattgehabt, immer im Schatten des Superstars zu stehen.
Doch Ibrahimovic wäre nicht Ibrahimovic, wenn er nur zusähe, wie andere im Mittelpunkt stehen. Noch am Abend des Playoff-Erfolgs gegen die Squadra Azzurra postete er ein Jubelfoto der schwedischen Nationalmannschaft bei Instagram. Darunter schrieb er: "We are Zweden." Das Z stand natürlich für: Zlatan.
Es war der Auftakt einer Kampagne. Der Superstar machte Werbung - und zwar für sich selbst. Ibrahimovic, inzwischen bei Los Angeles Galaxy unter Vertrag, kokettierte mit dem Rücktritt vom Rücktritt. Anfang April tauchte er in der Late-Night-Show von US-Talkmaster Jimmy Kimmel auf und sagte: "Eine WM ohne mich ist keine WM."
Nur sehen das längst nicht mehr alle Schweden so. In einer Umfrage der Zeitung "Aftonbladet" sprachen sich fast 65 Prozent gegen eine Rückkehr Ibrahimovics aus, 100.000 Menschen haben an dieser Befragung teilgenommen. "Zu Zlatan hat jeder eine Ansicht, er polarisiert wie kein anderer Schwede. Entweder man liebt ihn, oder man ist ganz froh, dass er aktuell nicht mehr zum Team gehört", sagt Journalist Westlin.
Der König ist weg, es lebe das Kollektiv
Irgendwann verlor sogar Nationaltrainer Andersson, der eigentlich als entspannt gilt, die Geduld. Ibrahimovic könne ihn gerne anrufen, dann könne man in Ruhe besprechen, ob eine Rückkehr möglich sei, sagte Andersson. Aber auch solche Sätze: "Wir müssen endlich anfangen, über die großartigen Spieler zu reden, die wir in dieser Mannschaft haben."
Er dürfte unter anderem Forsberg gemeint haben. Auch Albin Ekdal, der in seinen drei Jahren beim Hamburger SV selten andeutete, wozu er fähig ist. Im Nationalteam ist er aber gesetzt. Andersson sagte in einem Interview mit dem "Kicker", Ekdal sei ein unverzichtbarer Stratege und bringe eine "Extradimension" auf den Platz.
Und Ibrahimovic? Der rief offenbar nicht bei Andersson an, er gehört nicht zum Kader der Schweden, die damit zum ersten Mal seit 2002 ein Turnier ohne ihn bestreiten. Die Mannschaft, das lassen die Auftritte der vergangenen zwei Jahre vermuten, wird es verkraften.