Andere erstreiken einen Vereinswechsel, Jonas Hector geht als Nationalspieler mit Köln in die zweite Liga. Jetzt lieben ihn alle.
Es nicht lange her, da schien der Abschied Jonas Hectors aus Köln beschlossen. Der 1. FC Köln hatte gerade ein Spiel gegen die Hertha verloren. Es war eine Begegnung, die man nicht verlieren darf, wenn man den Abstieg vermeiden will. Nach dem Schlusspfiff sah es so aus, als hätten die Kölner diesmal auch gleich die Unterstützung ihrer treuesten Fans verspielt. Hector stand vor der Kurve, redete mit den Aufgebrachten, hob beschwichtigend die Arme, zog sein Trikot aus, warf es in den Block. Sekunden später landete es wieder vor ihm auf dem Boden. Hector verlor den Kampf gegen die Tränen.
Zehn Tage sind seitdem vergangen, die Kölner haben am Sonntag 2:2 gegen Schalke gespielt, der sechste Bundesliga-Abstieg ist kaum noch abzuwenden. Die Spieler weinten nach dem Abpfiff, viele Fans auch, und dann spielte die Stadionregie das Lied Mer sin eins der Gruppe Kasalla. Gemeinsam schwofte man dem Abstieg entgegen. Schöner Kölner Kitsch.
Vielleicht haben diese Bilder im Kopf von Jonas Hector alle schlechten überlagert, jedenfalls tat er einen Tag später das, was kaum einer für möglich gehalten hatte: Er verlängerte seinen Vertrag um zwei Jahre bis 2023. Mehr Bekenntnis geht nicht. Hector, 27, wird im Sommer für Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Russland antreten und sich dann mit Köln auf die zweite Liga vorbereiten.
Warum entscheidet sich ein Spieler, der ein guter Linksverteidiger ist, also einer seltenen und deshalb begehrten Spezies angehört, für diesen Schritt, wenn er doch woanders um Titel hätte spielen können? Man muss wissen, dass Hector über eine Ausstiegsklausel verfügt haben soll, die ihm im Falle des Abstiegs einen Wechsel für sieben bis acht Millionen Euro ermöglicht hätte. Beinahe lächerlich wenig Geld für einen Linksverteidiger von Format. Interessenten gab es angeblich einige, allen voran den BVB und wohl auch die Bayern.
"Es wäre problemlos möglich gewesen, nach dieser Saison zu einem anderen Verein zu wechseln, aber für mich fühlte sich das nicht richtig an", sagte Hector, der seine Heimat Auersmacher, ein saarländisches 2.500-Einwohner Örtchen, erst mit 20 verließ, um nach Köln zu wechseln. Vorher war er mit dem ortsansässigen Dorfclub mit seinem Bruder Lucas bis in die Oberliga aufgestiegen. Gefeiert wurde stilecht auf dem Traktor, mit Freibier und Blaskapelle.
In Köln wurde Hector zunächst in die zweite Mannschaft gesteckt, Regionalliga. Bilder aus dieser Zeit zeigen einen schlaksigen Jüngling, der nicht so aussah, als könnte er dort auch nur einen Zweikampf gewinnen. Von der Bundesliga ganz zu schweigen. Und doch hat er es in kürzester Zeit bis ganz nach oben geschafft. "Der FC hat mir den Weg von der Regionalliga bis in die Nationalmannschaft ermöglicht", sagt Hector. "Ich bin diesem Verein sehr verbunden und fühle mich dort sehr wohl."
Das ist der romantische Teil der Antwort. Hector fühlt sich dem Verein weit über das normale Maß hinaus verbunden, er möchte ihn nach dem wahrscheinlichen Abstieg nicht einfach im Stich lassen, dafür verzichtet er auf eine sportliche Perspektive und Geld. Offensichtlich hörte Hector auf sein Herz.
In Köln werden sich die meisten Fans für diese Version der Geschichte entscheiden. Der Kölner braucht diese Art von Folklore, das Gefühl von Zusammenhalt, Stärke und Humor, gepaart mit einer Prise Dramatik, das macht den Verein aus. Hector könnte zum zweiten Lukas Podolski werden. Wenn der aus Japan für zwei Tage in seine Heimat fliegt, um eine Eisdiele zu eröffnen, warten Hunderte stundenlang, um ein Poldi-Eis zu schlecken.
In diesen Zeiten trifft er einen Nerv
Hector wird das allerdings nicht passieren. Trubel ist ihm unangenehm, zumindest suspekt. Er studiert nebenbei an einer Fernuni BWL, trägt eine dunkle Hornbrille und es kommt vor, dass er ein Buch liest. In Fußballerkreisen fällt man damit auf, Hector bekam in Köln den Spitznamen "Schlaubi" verpasst, nach dem Schlumpf, der immer alles besser weiß. Über ihn sagen manche, er fremdele auch nach 115 Bundesligaspielen und 36 Länderspielen noch mit vielem, was den Zirkus ausmacht. Von Social Media hält Hector sich fern und er fährt einen Ford.Zwar ist, sorry, liebe Kölner, auch eine andere Version der Hector-Erzählung nicht unmöglich. Hector ist ein guter, kein sehr guter Fußballer. In Grund und Boden spielt er seine Gegner nicht, für die absolute Spitzenklasse fehlt es ihm an technischer Finesse und Dynamik. Hector hat noch nie in der Champions League gespielt, er wurde auch noch nie Meister. Beim FC Bayern München und auch in Dortmund wäre sein Status ein ganz anderer als in Köln.
Doch was Besseres als zweite Liga wäre allemal drin für Hector. Und so rührt er nicht nur die Kölner. Der treue Hector trifft in Zeiten der Ich-AGs und der Wechselerzwinger und -erstreiker, Stichworte Aubameyang und Dembelé, einen Nerv. Ein Twitter-User schrieb, es seien Entscheidungen wie die von Hector, die einem das Gefühl geben könnten, dass der Fußball doch noch nicht völlig verloren sei. Und der Trending-Hashtag auf Twitter lautet: #hector.