Zum Glück gibt es den HSV. Wahrscheinlich würde dem sportlichen Absturz von Bayer Leverkusen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wären da nicht die jüngsten Auftritte der Hamburger gegen Darmstadt (0:2) und in Augsburg (0:4) gewesen. Der HSV peile das Relegationstriple an, scherzten manche. Häme, die Bayer erspart bleibt. Dabei steht der Klub seinem Konkurrenten im Abstiegskampf in wenig nach.
Leverkusen, vor der Saison von Hertha-Coach Pál Dárdai zum Titelfavoriten erkoren, droht der Gang in Liga zwei. Wie konnte es dazu kommen?
Als sich Stefan Kießling in dieser Woche den Fragen der Journalisten stellte, hingen dunkle Wolken über der Leverkusener Arena. Die letzte öffentliche Übungseinheit vor der Reise nach Ingolstadt (Samstag, 15.30 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) war gerade zu Ende gegangen, es hatte geregnet und Kießling wirkte unzufrieden.
"Ich habe in den letzten Tagen doch schon alles gesagt. Ich weiß gar nicht, was ich noch Neues erzählen soll", sagte er. Leverkusen war im Abstiegskampf angekommen, und das merkte man der Mannschaft in den vergangenen Partien an. Da versprangen plötzlich die einfachsten Bälle, mancher Torschuss verdiente seinen Namen nicht.
Man muss lange suchen, um eine Leverkusener Mannschaft zu finden, die kurz vor Saisonende ähnlich schlecht dastand wie die aktuelle. Zuletzt war das in der Saison 2002/2003 der Fall. Leverkusen startete als Vize-Meister und Champions-League-Finalist, spielte aber eine katastrophale Saison und rettete sich erst am letzten Spieltag durch einen 1:0-Sieg beim 1. FC Nürnberg (Torschütze: Yildiray Bastürk).
Gegenwehr, Konzept, Leidenschaft - alles fehlt
Auch diesmal begleitet Bayer die Abstiegsangst ins Saisonfinale. Drei Spieltage vor Schluss ist Leverkusen Zwölfter und hat nur drei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz 16. Am Freitag verlor das Team 1:4 gegen Schalke, der Auftritt kam einem Offenbarungseid gleich: keine Gegenwehr, kein Konzept, keine Leidenschaft.
Leverkusens Fans sahen eine Mannschaft, die den Abstiegskampf nicht verstanden hat. Die Spieler sollten sich endlich den "Arsch aufreißen", hatten die Fans vor dem Spiel gefordert. Die Partie lief noch, als sie das Transparent enttäuscht wieder abhingen.
Nach dem Spiel stellten 150 aufgebrachte Anhänger die Mannschaft zur Rede. Es war Kießling, der als Leverkusener Wortführer auf die Fans zuging, andere hatten sich da längst aus dem Staub gemacht. Er werde dafür sorgen, dass sich auch der letzte Spieler mit dem Abstiegskampf beschäftigt, sagte Kießling. Und dann versprach er, im Derby am vorletzten Spieltag die "Scheiß-Kölner" wegzuhauen. Die Fans waren vorerst beschwichtigt, Leverkusens Probleme aber bleiben. Eines davon heißt Ingolstadt.
Bayer mag einen der besten Kader der Klubgeschichte beisammen haben, trotzdem fährt der Klub mit schlotternden Knien zum Vorletzten. Denn Ingolstadt zeichnet aus, was Leverkusen fehlt: Eine taktische Marschroute, der alle Spieler bedingungslos folgen. Und der Wille, das eigene Ego dem Erfolg des Teams unterzuordnen.
"Wird ein Drecksspiel"
Denn nicht nur Kießling scheint Zweifel daran zu haben, ob das inzwischen alle Spieler verstanden haben. "Wir müssen gucken, dass wir den Kampf annehmen. Das wird ein Drecksspiel werden, da wird um jeden Zentimeter gefightet", sagte Kießling. "Wir können nicht mit unserer Schönspielerei anfangen."
Doch nicht alle Probleme sind allein der Mannschaft anzulasten. Sportchef Rudi Völler hielt womöglich zu lange an Ex-Trainer Roger Schmidt fest. Der hatte Leverkusen zwar zweimal in die Champions League geführt, erlebte in dieser Saison jedoch den Absturz ins Niemandsland der Tabelle. Als Bayer im März auf Platz zehn stand, verlor dann auch Völler die Geduld und Schmidt musste gehen.
Als Trainer auf Zeit holte Leverkusen Tayfun Korkut, er sollte die Mannschaft stabilisieren, doch es wurde alles immer schlimmer. Seine Bilanz: Sechs Punkte aus acht Spielen. Nur Mainz holte seit Korkuts Amtsantritt weniger Punkte als Bayer. Eine Zukunft hat der Coach in Leverkusen nicht.
Nun muss er das Team auf der Zielgeraden der Saison aufwecken. Leicht wird das nicht. Gegen Ingolstadt muss Korkut nun auch noch auf die verletzten Julian Brandt, Lars Bender und wahrscheinlich auch auf die Innenverteidiger Ömer Toprak und Jonathan Tah verzichten. Für Leverkusen geht es nur noch um Schadensbegrenzung.