Rückblende: Mehrere Tausend Menschen schauen in einer großen Halle live dabei zu, wie das chinesische Team FPS bei League of Legends gegen die Europäer von G2 gewinnt. Mehr als eine Stunde lang haben die Teams sich in dem Online-Rollenspiel bekämpft - in einer bunt animierten Fantasiewelt. Riesige Leinwände hängen über den Köpfen der Gamer. Die Zuschauer klatschen, grölen, liegen sich in den Armen. Das war noch vor Corona.
Das Verlockende: Es braucht keine Stadien, keine teuren Sportgeräte und keine Vereinsgebühren. Ein Computer oder eine Spielekonsole reichen aus. Und genau deshalb sind eSports für Jugendliche im Nahen und Mittleren Osten eine große Chance. Und sie wecken große Hoffnungen: Profis verdienen Millionen. Die Gaming-Events haben teilweise den Charakter einer Partie der Fußball-Champions League. Und auch die Preisgelder sind vergleichbar: Sie können je nach Spiel zwischen fünf und 40 Millionen Dollar liegen.
Erster Gewinn: ein KassettenrecorderAls Saeed vor etwa 25 Jahren zum ersten Mal mit eSports etwas gewonnen hat, sah das noch ganz anders aus. Seine erste große Errungenschaft war ein Kassettenrecorder. "Es war wohl die größte Überraschung in meinem Leben", erinnert er sich. "Und endlich hatte ich etwas, dass ich meinen Eltern zeigen konnte. Nach dem Motto: Schaut mal! Das habe ich beim Computerspielen gewonnen." Aber so richtig geglaubt hätten seine Eltern ihm nicht: "Sie dachten, ich hätte es gekauft, nur damit ich noch mehr zocken darf."
Viel hat sich seitdem geändert, erzählt der 36-Jährige, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt. "Wenn man den Kids heute sagen würde, dass der Gewinn ein Hundert-Dollar-Audiosystem ist - die würden sofort absagen. Die sind viel zu verwöhnt!"
2014 hat Saeed mit ein paar Freunden die Plattform "eSport Middle East" gegründet - das erste und nach eigenen Angaben immer noch einzige Unternehmen, das sich auf Gaming in der arabischen Welt spezialisiert hat. Sie veranstalten Wettkämpfe, sponsern Teams und trainieren Spieler und Spielerinnen. Das Potenzial sei riesig, sagt Saeed. "Wir schätzen, dass es etwa 70 Millionen Leute in der Region gibt, die gerne zocken. Sechs Millionen davon - glauben wir - verfolgen eSport mit Leidenschaft."
Auch Frauen und Mädchen zocken mit ErfolgEine davon ist Madiha Naz. Mit acht Jahren hat sie angefangen zu zocken. Wie die meisten Kinder musste auch sie den strengen Augen ihrer Mutter entkommen. "Wenn sie im Sommer weggefahren ist und mein Bruder auf uns aufgepasst hat, da habe ich ihn immer bestochen", erzählt Mahida. "Der Deal war: Ich mache den Abwasch und dafür darf ich die Nacht durchspielen."
Madiha lebt wie Saeed in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Spätestens seit sie den Titel "Girls Gamers Champion" für die arabische Welt gewonnen hat, ist sie eine etablierte Größe im eSport. Von ihrem Einkommen kann sie gut leben, wie sie selbst erzählt. Doch der Einstieg war alles andere als leicht. "Als ich angefangen habe, wurde ich so sehr dafür verurteilt, dass ich ein Mädchen bin", erinnert sie sich. "Deshalb habe ich am Anfang auf Wettkämpfen immer Kapuzenpullis getragen, um nicht aufzufallen."
Hürden gibt es nicht nur im SpielStereotypen und Frauenfeindlichkeit sind auch im eSport ein Problem. Doch in der arabischen Welt gibt es nicht nur diese gesellschaftlichen Hürden zu überwinden. Auch technische Faktoren machen den Gamern im Nahen und Mittleren Osten zu schaffen. Profis sitzen bei Wettkämpfen immer in einem Raum. So wird sichergestellt, dass eine langsame Internetverbindung einem Sieg nicht im Weg steht. Immerhin kommt es bei ihnen auf Millisekunden an.
Hinzu kommt das politische Moment. "Ich kenne viele, die unbedingt zu Wettkämpfen wollten, aber keine Visa bekommen haben", erzählt Saeed. "Am Ende ist es die Entscheidung der einzelnen Außenministerien, so etwas zuzulassen - oder eben nicht." So könnten sich Spieler und Spielerinnen mit Potenzial nicht weiterentwickeln, erklärt Saeed, und hinkten im internationalen Vergleich hinterher.
Eine Spaltung gibt es zudem regional, zwischen dem Nahen und dem Mittleren Osten, und zwar durch den Faktor Geld. In den traditionell reichen Golfstaaten können sich Jugendliche eher eine der neuen und teuren Konsolen leisten. In den nordafrikanischen Ländern wie zum Beispiel Ägypten, Tunesien oder Marokko sind klassische PCs immer noch die erste Wahl. Denn viele PC-Games können umsonst aus dem Internet gezogen werden.
Viel Geld, viel HoffnungIn eSports steckt jede Menge Geld. Saeed würde am liebsten expandieren: mehr Veranstaltungen, mehr Sponsoringverträge. Doch es fehlt vor allem an einem: Mitarbeitern. "Wir brauchen Audioingenineure, Kameraleute, Cutter, Video Spezialisten, einen Buchhalter, einen Anwalt", zählt der eSportler auf. Die Liste ist lang. Doch bis jetzt fehlt es an Fachkräften.
Egal, wie die Rahmenbedingungen sind: Online-Games bieten jungen Menschen im Nahen und Mittleren Osten eine Perspektive - auch denen, die selbst nicht zocken. Die Hoffnung der Jugend ist groß, dass sie es zumindest im Internet schaffen, Grenzen aufzuweichen und mehr Freiheit zu erlangen.