Jack Ryan sitzt mit zittrigen Händen auf einer Bank, irgendwo in Moskau. Sein Blick schweift ins Leere, er hat vor wenigen Minuten seinen ersten Menschen mit bloßen Händen getötet. Dies ist einer der innovativeren, aber auch seltenen Momente des neuen Agententhrillers "Jack Ryan: Shadow Recruit".
Vor 30 Jahren erschuf der 2013 verstorbene US-Schriftsteller Tom Clancy in seinem Debüt-Roman "Jagd auf Roter Oktober" (1990 mit Alec Baldwin verfilmt) den CIA-Analysten Jack Ryan. Clancy legte mit der Geschichte um Atom-U-Boot-Kapitän Marko Ramius den Grundstein seiner erfolgreichen Karriere. In neun Büchern war Ryan Clancys Held. Mit "Die Stunde der Patrioten" (1992) und "Das Kartell" (1994) folgten zwei ebenso gelungene filmische Fortsetzungen. Eine zu hohe Gagenforderung wurde Baldwin zum Verhängnis und er wurde im Part des Dr. Jack Ryan durch "Star Wars"-Legende Harrison Ford ersetzt.
Baldwins und Fords Darstellungen des CIA-Analysten Ryan sind durch eine fast väterliche Ruhe geprägt. Bei ihnen ist Jacks schlagkräftigste Waffe der Verstand. Tom Clancy gibt seinem Geheimagenten die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und die daraus resultierende Information treffsicher zu ermitteln. Dies auf die Leinwand zu übertragen, hat zwar weniger Explosionen zur Folge, macht aber in den ersten drei Verfilmungen den Reiz der Serie aus.
Als Ben Affleck im Jahr 2002 Jack Ryan verkörperte, wurde der CIA-Analyst vom Verjüngungswahn Hollywoods getroffen. In "Der Anschlag" wird aus dem Ehemann und Vater ein kinderloser Single. Afflecks Performance und der Film waren solide, schlugen in Ryans filmisches Denkmal aber einige Dellen. "Jack Ryan: Shadow Recruit" setzt diesen Abwärtstrend nun fort - und startet, wie es im Filmwunderland USA ja langsam üblich ist, gleich mit einem Reboot. Dass der Film nur noch lose auf Tom Clancys Romanen beruht und dass dem nunmehr vierten Jack-Ryan-Gesicht, Chris Pine, mit Keira Knightley - als zukünftige Mrs. Ryan - eine geheimdienstaffine Partnerin zur Seite gestellt wird, kann einem nur noch ein müdes Grinsen entlocken.
Bourne oder Bond, das ist hier die Frage
James Bond hat Raffinesse und (Q sei Dank) technische Spielereien, Jason Bourne hat eine knallharte Ausbildung und ist durch die Tötung seines individuellen Willens die perfekte Killer-Maschine. Ethan Hunt hat ..., nun ja: einfach Ethan Hunt - und Jack Ryan ist nun mal von seinem Schöpfer Tom Clancy mit einem messerscharfen Verstand und analytischen Fähigkeiten ausgestattet. Doch Kenneth Branagh, Regisseur von "Jack Ryan: Shadow Recruit", und Drehbuchautor David Koepp gelingt es mühelos, diesen Sachverhalt im Keim zu ersticken. Sie können sich in der nunmehr fünften, hauchdünn auf Clancys Ryan-Zeitlinie basierenden, Adaption einfach nicht entscheiden, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Ist ihr Protagonist nun Jack Bourne oder doch eher Jack Hunt?
Nachdem der junge Jack Ryan durch den Anschlag auf das World Trade Center sein Wirtschaftsstudium an den Nagel hängt, um sich als Marine mit den Mudschahidin in Afghanistan anzulegen, wird sein Hubschrauber in einem Kampfeinsatz vom Himmel geholt. Kaputter Rücken, Rehaklinik, leicht angeschlagene Psyche, CIA-Rekrutierung - fertig ist der Geheimagent. Danach geht's in Banker-Tarnung undercover an die Wall Street, um dubiose Geldtransfers aufzuspüren. Zehn Jahre später geschieht, was geschehen muss: Der kleine Jacki entdeckt, wie sollte es auch anders sein, einen "dubiosen Geldtransfer". Sein CIA-Mentor Thomas Harper (Kevin Costner) schickt den Analytiker deswegen ungefragt gleich mal nach Moskau, mit der Begründung: Nur Ryan könne die Zusammenhänge verstehen. An seinem Reiseziel angekommen, sieht sich der genötigte Feldagent mit dem russischen Oligarchen Viktor Cherevin (dargestellt von Regisseur Kenneth Branagh) konfrontiert. Jack Ryans erster Fall kann beginnen.
Rechts ein Drehbuch, links ein Ryan: Passt schon irgendwie
Das Drehbuch von "Jack Ryan: Shadow Recruit" war ursprünglich nicht im Ryan-Universum angesiedelt, und diese Tatsache steht dem Film an allen Ecken und Kanten im Wege: Zu konstruiert wirkt die Geschichte, zu zusammengeschnipselt ihre Szenen. Wenn Ryan seinem Widersacher in Mission-Impossible-mäßiger Manier brisante Daten aus dem topgesicherten Büro abluchst, er dabei von seiner nach Moskau hinterhergereisten Ärztin-Freundin Cathy Muller (gespielt von Keira Knightley) spontan unterstützt wird, und sich Bösewicht Viktor sein Geheimzeugs wegnehmen lässt, als wäre er ein Zehnjähriger auf dem Schulhof, dem das Pausenbrot aus den Fingern gerissen wird, sucht man als Kinozuschauer unweigerlich nach dem Ausgangsschild.
Logiklöcher und fragwürdige Dialoge erstrecken sich über den ganzen Film. Dabei hat Regisseur Branagh (der trotz russischer Sprachprobleme durchaus einen gelungenen Schurken abgibt) vor und hinter der Kamera versucht, die richtigen Töne zu treffen. Die sonst übliche Hau-Drauf-Action kommt in wohldosiertem Tempo daher, sie funktioniert, und mutiert nie zum Selbstzweck. Auch seinen Akteuren räumt der Filmemacher genügend Raum ein. Nur gelingt es diesen Faktoren nicht, den Film zu tragen. Die belanglose Geschichte, die irgendetwas mit Wirtschafts-Terrorismus darstellen will, erschlägt den Film mit Nichtigkeiten und Althergebrachtem.
Facebook, der Mond und der Geschmack von Wasser
Wenn Adlerauge Jack einen vermeintlichen Top-Terroristen nur deswegen erwischt, weil dieser sein Flucht- beziehungsweise Tarnfahrzeug am Tag des langgeplanten Anschlags nur wenige Stunden vorher frisch bepinselt, dann liegt die Spannung am Boden und ringt nach Luft. Und wenn Ryan in einem Flugzeug, mit integrierter CIA-Zentrale, sinnlose Befehle bellt und der Zuschauer das Gefühl bekommt, er würde seine Schlussfolgerungen aus einem Facebook-Account, dem Stand des Mondes und dem Geschmack von Wasser ziehen, dann hat das nichts mehr mit Tom Clancys Romanreihe zu tun. Bei solch komplizierten Ermittlungsarbeiten braucht die Welt wirklich einen Jack Ryan im Stile des Reboot-gierigen Hollywoods.
Pines Darbietung ist dennoch recht passabel ausgefallen und wirkt mit kleinen Abstrichen erfrischend. Auch wenn er nicht an die Würde eines Harrison Fords heranreicht, so ist sein Jack Ryan zeitgemäß und mit einer gelegentlich durchblitzenden, Genre-unüblichen Vielschichtigkeit dargestellt. Leider kommt dem Schauspieler - wie auch seinen Kollegen - immer wieder das Drehbuch in die Quere. Auch der als Filmemacher und Akteur oft überzeugende Kenneth Branagh (der 2011 noch mit der Marvel-Verfilmung Thor geglänzt hat), kann dem flachen und uninspirierenden Skript mit seiner filmisch soliden Handwerkskunst nichts entgegensetzen.
Das fünfte Kinoabenteuer des einstigen Wunder-Analytikers entlässt den Zuschauer ohne Aha-Effekt und macht auch nicht unbedingt Lust auf mehr.
"Jack Ryan: Shadow Recruit" startet am 27. Februar in den deutschen Kinos.