Mit der "Blechtrommel" setzte Volker Schlöndorff 1979 den deutschen Film wieder auf die Landkarte des internationalen Kinos. Anfang der 90er rettete er die deutsche Film-Wiege Babelsberg vor der Schließung. Nun wird der Literatur-Regisseur 75 Jahre alt.
Hätte sich Volker Schlöndorffs Vater bei der Berufswahl seines Sohnes durchgesetzt, so wäre aus einem der bedeutendsten deutschen Filmemacher ein Arzt oder Anwalt geworden. Nicht, dass der Beruf eines Mediziners oder Rechtsgelehrten nicht erstrebenswert ist, aber diese Entscheidung hätte für den deutschen Film einen enormen kulturellen Verlust bedeutet. Denn Schlöndorff ist weltweit nicht nur einer der angesehensten deutschen Regisseure, sondern auch ein Meister der Verfilmung von literarischen Werken.
Der am 31. März 1939 in Wiesbaden geborene Filmemacher fand seinen Einstieg ins Medium der bewegten Bilder über den französischen Film. Während seines Studiums der Politikwissenschaft in Paris bekommt er in den 1960er Jahren Kontakt zur "Nouvelle Vague", Frankreichs neuer Filmrichtung, die sich gegen den zeitgenössischen Strom des kommerziellen Kinos stemmte. Der Anfang 20-jährige Schlöndorff ist Feuer und Flamme. Der Film wird seine Leidenschaft und seine Berufung.
Nachdem er als Regieassistent unter großen Regisseuren wie Louis Malle, Ludwig Berger und Jean-Pierre Melville gelernt und gearbeitet hat, verfilmt er nach eigenem Drehbuch 1965 den Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" des österreichischen Schriftstellers Robert Musil. Der unter dem Titel "Der junge Törless" veröffentlichte Film gilt als der erste internationale Erfolg des "Neuen Deutschen Films".
Im Laufe seiner Karriere erarbeitet sich Schlöndorff den Ruf, schwierige Literatur in verständlicher Bildsprache auf die Leinwand zu bringen. Nach Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) gipfelte dieses Talent 1980, als seine Filmadaption von "Die Blechtrommel" von Günter Grass, den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Schlöndorff schaffte mit seiner gelungenen Interpretation des literarischen Stoffes um den kleinen Oskar Matzerath (David Bennent), der im Alter von drei Jahren beschließt, sein Wachstum einzustellen, den deutschen Film wieder in den Blickpunkt der Welt zu rücken.
Der unbequeme Geist mit dem Oscar im Gepäck
Schlöndorff blieb auch nach seinem Oscar-Erfolg seinen filmischen Stilmitteln treu. Anders als etwa seine Regiekollegen Wolfgang Petersen oder Roland Emmerich war ihm nie am großen Hollywood-Mainstream-Kino gelegen. An leichter Kost war und ist der Wiesbadener nicht interessiert. Für Schlöndorff ist Film auch immer Kunst. Das Kino soll selbstverständlich unterhalten, aber das Gesehene sollte nie einem sinnfreien Selbstzweck dienen. Die Geschichten sollen Informationen und Erfahrungen vermitteln, ihre Protagonisten müssen eine nachvollziehbare charakterliche Entwicklung durchlaufen. Dieses Festhalten an bestimmten filmischen Elementen kann mitunter sperrig daherkommen, ist für Schlöndorff aber uneingeschränkter Rhythmus, der seine Arbeit in die für ihn spezifische Form bringt.
Auch wenn dies die Massentauglichkeit seiner Filme nicht fördert, so ist aus cineastischer Sicht die Struktur seiner Arbeit klar, verständlich und von hoher Qualität. In "Die Fälschung" (1981), "Eine Liebe von Swann" (1984), "Der Unhold" (1996) und "Die Stille nach dem Schuss" (2000) stellte er dies eindrucksvoll unter Beweis.
Für Schlöndorff ist Kino aber auch immer die Kunst des Erzählens, er will, dass der Zuschauer auf eine Reise geht, sich Fragen stellt und selbständig nach Antworten sucht. Dass er seine filmischen Stoffe oft in literarischen Vorlagen findet, ist den immer wiederkehrenden Fragen der menschlichen Existenz geschuldet. Der Filmemacher und Leser Schlöndorff kann das Rad nicht neu erfinden, er lässt in seinem künstlerischen Schaffen aber Interpretationen zu und öffnet dem Bekannten neue Pforten.
Viele seiner Werke stellen auch gesellschaftliche Normen und Ansichten in Frage, was ihm in einigen politischen Strömungen und Medienwelten nicht nur Sympathien einbrachte. Einige seiner Buch-Verfilmungen, wie etwa die filmische Adaption von "Homo Faber" (1991), des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, spalten die Kritiker. Während viele in dem Film eine missratene Arbeit sehen, überhäufen andere Schlöndorffs Interpretation mit Lob.
Rückkehr in die Wiege des deutschen Films
Nach fast einem Jahrzehnt in den USA kehrt Schlöndorff Anfang der 90er, nach dem Fall der Mauer, zurück nach Deutschland. In Berlin und Potsdam findet er sein neues Arbeitsumfeld. Der Umstand, dass das historische Filmstudio Babelsberg abgerissen werden sollte, und ferner inspiriert durch den Filmregisseur Peter Fleischmann, kämpft Schlöndorff um den Erhalt der Wiege des deutschen Kinos.
Fleischmann und Schlöndorff gelingt in den Folgejahren die Rettung der geschichtsträchtigen Filmstätte. Fünf Jahre hat der Blechtrommel-Regisseur den Posten des Geschäftsführers inne und prägt die kleine Filmstadt nachhaltig, auch wenn die Früchte seiner Arbeit erst viel später reifen sollten. Heute ist das Filmstudio Babelsberg ein gefragter Standort bei nationalen und internationalen Produktionen und das größte Filmstudio Europas. Als Vorreiter des "Neuen Deutschen Films" hat Schlöndorff nie die Wurzeln zur Geschichte des deutschen Kinos verloren und sich stets um ihr Andenken und ihre prägende Rolle bemüht.
2007 wollte der Regisseur sein jahrelang geplantes Projekt "Die Päpstin", ein Roman der US-Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross, realisieren. Ein Eklat, bei dem Schlöndorff die "unheilige Allianz" von Film- und Fernsehproduktionen kritisierte, beendete die Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem geldgebenden Filmunternehmen Constantin Film. Schlöndorff, der in der marktrechtlichen Vermischung sogenannter Amphibienfilme eine Verwässerung des Kinos sieht, wurde durch Sönke Wortmann ersetzt. Für den Oscar-Preisträger war dieser Umstand ein harter persönlicher Schlag.
Ein Buch als Antwort auf den Film und ein GeburtstagswunschSchlöndorff nahm die Gelegenheit wahr, um sich seinen Memoiren zu widmen. In seinem Buch "Licht, Schatten und Bewegung" schildert er sein Leben auf dieselbe Art, wie er Filme verwirklicht. Sensibel, ehrlich und ohne unnötige Kostümierung. Der Literatur-Regisseur, dem oft vorgeworfen wurde, er würde sich mit seinen Filmen hinter großen Büchern verstecken, antwortete seinen Kritikern mit einem Buch. Der Geschichtenerzähler Schlöndorff schickt den Leser auf die Reise durch ein vom Film bestimmtes Leben: Entbehrungen, Opfer, Verlust und Anerkennung.
Schlöndorff ist sich bis ins hohe Alter treu geblieben. Künstlerisch ging er selten den einfachen Weg. In seiner Vision von Film und Kunst geht er keine störenden Kompromisse ein. Heute wird der Mann, der deutsche Filmgeschichte wie kaum ein anderer verkörpert, 75 Jahre alt.
Als Geburtstagswunsch appellierte der Regisseur jüngst an die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, sich doch bitte mehr um den Erhalt des deutschen Filmerbes zu bemühen, weil diese - sich selbst gern mit dem Kulturauftrag schmückenden Häuser - nach und nach alle Rechte an den Werken des "Neuen Deutschen Films" auslaufen lassen. An Finanzierungsmöglichkeiten dürfte es ihnen ja eigentlich nicht mangeln.