Christian Bale und Casey Affleck spielen die Gebrüder Baze, die in einer sterbenden US-Stahlmetropole ums gesellschaftliche Überleben kämpfen. Ein filmisches Loblied auf die Schauspielkunst und eine Rückbesinnung auf das cineastische Erzählen.
Die Stahlstadt Braddock im US-Bundesstaat Pennsylvania ist kein Ort, den man sich zum Leben aussucht. Zugenagelte traurige Häuser, mit Unrat vollgemüllte Straßen und dampfende Industrie-Schornsteine bestimmen die Szenerie. Wer diesen Ort sein Zuhause nennt, ist hier geboren.
Die Brüder Russell (Christian Bale) und Rodney Baze, Jr. (Casey Affleck) haben ihr ganzes Leben im sogenannten amerikanischen "Heartland" verbracht. Ihre Art zu Denken und zu Fühlen ist in der sterbenden Stadt und in ihrem Umland verwurzelt. Doch die Wirtschaftskrise trifft Braddock mit voller Wucht und die alten Ideale geraten ins Wanken. Während Russell im Stahlwerk Doppelschichten schiebt, um seiner Freundin Lena (Zoë Saldana) eine Zukunft zu ermöglichen und sich nebenher um den im Sterben liegenden Vater kümmert, will sein jüngerer Bruder Rodney mit der Arbeit am Schmelzofen nichts zu tun haben.
Rodney meldet sich freiwillig zum Einsatz im Irak. Gezeichnet vom Krieg, kehrt er in eine Welt zurück, die ihm keine Orientierung mehr bietet. Illegale Straßenkämpfe und das örtliche Wettbüro werden sein Alltag. Als der skrupellose und brutale Bandenchef Harlan DeGroat (beängstigend von Woody Harrelson verkörpert) auf der Szenerie erscheint und Bales Charakter Russell auch noch in einen tragischen Verkehrsunfall verwickelt wird, nimmt die Spirale des Unheils ihren Lauf.
Verlebte Gesichter mit zerbrochenen Seelen
"Out of the Furnace" (so der Originaltitel) ist eine Milieu-Studie auf extrem hohem schauspielerischem Niveau, die im Gewand eines Rache-Thrillers eingebettet ist. Bales Darbietung des Stahlarbeiters Russell Baze ist von solcher Intensität, dass es den Zuschauer emotional berührt. Die charakterliche Tiefe, die er seinem Part beim Trudeln aus seiner gewohnten Lebenssituation verleiht, ist eine geniale, wenn nicht gar die beste Performance seiner bisherigen Karriere.
Die Leistung des kleinen Bruders von Ben Affleck, Casey, der schon in dessen Regie-Debüt "Gone Baby Gone" (2007) brillierte, ist nicht minder beeindruckend. Die Verletzlichkeit und Rohheit, die er seiner Rolle als Rodney Baze verleiht, ist formvollendet. Weder Christian Bale noch Casey Affleck haben je eine Schauspielschule besucht - ein Umstand, der ihre Leistung umso beeindruckender macht.
Die Fugen und Kerben in den Gesichtern der Schauspieler erfüllen den Raum mit einer Realität, wie man sie selten in einem Kinosaal spürt. Auch die Nebenrollen sind bis in den letzten Winkel exzellent besetzt. Neben dem Charakterdarsteller Forest Whitaker als Sheriff und dem US-Kulturgut Sam Shepard als Onkel der Baze-Brüder sind es vor allem Willem Dafoe als Buchmacher John Petty und Woody Harrelson als DeGroat, die in ihrer Charles-Bukowski'schen hässlichen Ehrlichkeit und Härte eine aus jeder Pore nach Gewalt, Schmutz und Verzweiflung riechende Leinwandpräsenz beschwören, die sich beim Zuschauer in purer Gänsehaut entlädt. Ein Fest der Schauspielkunst.
Regisseur Scott Cooper, selbst Schauspieler, versteht das Filmemachen als organischen Fluss. Kommunikation ist bei ihm nicht nur erwünscht, sondern Teil des Arbeitsprozesses. Wie schon in seinem Erstlingswerk "Crazy Heart" (2009), mit dem er Hollywood-Altmeister Jeff Bridges einen Oscar als Bester Hauptdarsteller bescherte, lässt er seine Akteure gewähren. Improvisationen und eigene Ideen der Darsteller werden von ihm gefördert. Dies kommt seinen Filmen in ihrer Gesamtheit künstlerisch zugute. Die Dialoge und Gesten der Protagonisten wirken nie künstlich, kein Satz, kein Blick ist überflüssig. Die Dosierung der Bilder, Farben und Szenen wirken wie aus einem Guss.
Keine Kompromisse: Authentizität vor Dramaturgie
Man kann Cooper durchaus vorwerfen, in seiner erzählerischen Struktur den Showdown seiner zweiten Regiearbeit zu weit nach hinten verlegt zu haben. Aber sein Augenmerk liegt auf der seelischen Verfassung und der daraus resultierenden Entwicklung seiner Protagonisten und nicht darin, einen Rachefeldzug und die damit verbundene Gewalt zu zelebrieren.
Das Drehbuch von "Auge um Auge" basiert auf einem älteren Skript mit dem Titel "The Low Dweller", das ursprünglich mit Leonardo DiCaprio und unter Ridley Scott verfilmt werden sollte. Beide blieben dem Projekt als Produzenten verbunden. Regisseur Coopers umgearbeitete Fassung verlegt den Plot in die heruntergewirtschaftete Stadt Braddock, die er bei der Promotion-Tour für "Crazy Heart" kennenlernte. Geprägt von den Eindrücken der Stadt und ihrer Bewohner, entwickelte der Filmemacher in seiner Adaption die Story der ungleichen Baze-Brüder, die, gefangen in ihren Wertsystemen, allmählich zerbrechen.
Der Erzählfluss von "Auge um Auge" hält sich nie mit unnötigen Erklärungen auf. Der Regisseur und sein Kameramann Masanobu Takayanagi (der schon 2011 "Warrior" hervorragend fotografierte) lassen Bilder und Gesichter für sich sprechen. Diese Form der cineastischen Erzählung wirkt mitunter ruhig und schwerfällig, man könnte sie sogar langatmig nennen, aber sie ist der Authentizität einer Entwicklung geschuldet, die ihre Glaubwürdigkeit nicht zugunsten der genreüblichen Muster opfern will. Kleine Parallelen zu "Die durch die Hölle gehen" (The Deer Hunter) sind zwar erkennbar, gehen aber als Hommage an den Klassiker von Regisseur Michael Cimino aus dem Jahr 1978 durch.
Im effekteüberfrachteten und pseudokünstlerischen Dschungel der modernen Filmwelt ist es ein Genuss, eine Erzählung zu verfolgen, die durch Ruhe und klaren Bezug zur Realität ihre Krallen tief in die grellbepinselte Oberfläche der Kino-Landschaft schlägt.
Das Ende des Erträglichen
In den USA kam die Geschichte um die Baze-Brüder an der Kinokasse nicht sonderlich gut weg. Obwohl sie von uramerikanischen Werten förmlich durchsetzt ist, was schlussendlich in "Auge um Auge" und Zahn um Zahn mündet, war der Streifen dort kein Publikumsmagnet. Das Wort Flop machte die Runde.
Das Kernstück des Films konzentriert sich vollkommen auf Russell Baze (Bale), dessen emotionales Zentrum sich auf traditionelle Familienwerte stützt und der im Laufe der Handlung mit seinen psychischen und physischen Grenzen konfrontiert wird. Dem Monster DeGroat (Harrelson) hat er nichts als reinen Schmerz und stumme Wut entgegenzusetzen. Dabei bricht Regisseur Cooper alle herkömmlichen Erzählmuster, was zwar dem Film, nicht aber seinem Einspielergebnis zugute kommt.
Wer einen Rache-Thriller im Stile von "Ein Mann sieht rot" mit Charles Bronson erwartet, wird bei seinem Kinobesuch hierzulande ebenso bitter enttäuscht. Denn auch wenn der deutsche Titel von "Out of the Furnace" dies suggeriert, so ist der Aspekt der Rache nur der lose Rahmen, der die Menschen in der Welt von "Auge um Auge" an den Rand ihrer Belastbarkeit führt. Wer aber schauspielerische Glanzleistungen schätzt, sich an einem ruhigen Erzählstil und einem unüblichen Showdown nicht stört, der wird bei Regisseur Coopers filmischer Arbeiter-Sinfonie Kino in seiner reinsten Form finden.