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Woodstock-Legende Joe Cocker wird 70: Gasinstallateur mit Reibeisen-Stimme

Eine Stimme die am Trommelfell kratzt, zappelige Armbewegungen, die nach Alarmierung eines Arztes schreien und die Optik eines Vorstadt-Kneipenbesuchers machen Joe Cocker im Rockmusik-Geschäft zu einem erfolgreichen Unikum.


Steht man dem 1,74 m großen Joe Cocker gegenüber, so reißt seine imposante Optik einen nicht sofort vom Hocker. Dieser Umstand ist nicht seinem Alter geschuldet, denn der am 20. Mai 1944 in Sheffield geborene Engländer war auch in seinen jungen Jahren nicht unbedingt ein Adonis.

Cocker, der so selbstverständlich auf die Bühne tritt wie ein Saufkumpan in der Eckkneipe sich neben einen stellt, war das optische Gegenstück zu den sexy Rockgrößen seiner Zeit wie etwa ein Mick Jagger oder ein Jim Morrison. Die Gründe, warum der britische Rock- und Blues-Sänger sich bis heute ins kollektive Bewusstsein der weltweiten Musikliebhaber eingeprägt hat, sind seine unverwechselbar kratzende Stimme und die gelegentlich absurd wirkende Art wie er seine Arme beim Singen verrenkt.


Wenn Cocker seine Stimmbänder zum Schwingen bringt, erzeugt er dabei einen rauchigen Sound, der sich tief in den Gehörgang gräbt und das Innenohr vibrieren lässt. Gepaart mit seiner wirren Gliederakrobatik, die er nach und nach in seine Auftritte einfließen ließ, erschuf der Sänger die eigentümliche und erfolgreiche Marke Joe Cocker.

Heute gehört der musikalische Haudegen zu den letzten Vertretern seiner Art. Cocker hat Sex, Drugs and Rock 'n' Roll nicht nur erlebt, sondern mit geprägt. Er hat die Luft der Hippie-Bewegung, die mit Gerüchen von Sexorgien und harten Drogenkonsum durchsetzt war, selbst inhaliert. Er war Teil einer Bewegung, die gesellschaftliche Krusten aufbrechen wollte, um die Menschen in ein besseres Leben zu führen. Auf diesem bunten Pfad waren Cocker und seine Weggefährten bereit, sich in jeder Hinsicht mit dem Universum zu vereinen. Wie viele andere seiner Zeitgenossen wäre er dabei fast vor die Hunde gegangen und hätte sein Grab mit einer Nadel im Arm in irgendeinem Hinterzimmer eines schäbigen Hotels gefunden.


"With A Little Help From My Friends"


Im Alter von 15 Jahren beschließt Joe im Jahre 1959 eine Karriere als Musiker zu starten. Da die Bezahlung der spärlichen Auftritte wenig Geld einbringt und im Idealfall ein kostenloses Bier über den Tresen rutscht, absolviert er nebenher eine Ausbildung zum Gasinstallateur. Seine erste eigene Band "Vance Arnold and the Avengers" kann aber schon einen Auftritt als Vorband der "Rolling Stones" vorweisen.


Als Cocker erkennt, dass seine Musik mehr Platz braucht, hängt er seinen Installateur-Job an den nächsten Gashahn. 1968 gelingt ihm mit seiner Adaption des "Beatles"-Songs "With a Little Help from My Friends" in Großbritannien der Durchbruch. Joe tingelt über zahlreiche Musikfestivals um seinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Im August 1969 ist er einer der Stars des legendären Woodstock-Festivals. Der dort von ihm absolvierte Live-Auftritt seines "Beatles"-Covers avanciert zum musikalischen Kult. Seine sanft zuckenden Armbewegungen und die Begleitung des Gitarrensolos als Luftspiel wurden spätestens beim musikalischen Höhepunkt der Hippie-Bewegung sein festes Markenzeichen.


Cocker macht sich einen Namen mit weiteren Interpretationen bekannter Songs, kann aber auch ein breites Repertoire an eigenen Kompositionen vorweisen. Anfang der 1970er rollt der Erfolg wie eine Welle über ihn hinweg, er lebt das extreme Leben eines Rockstars. "Ich wusste nie, was der nächste Tag bringen würde, aber es war toll. Ich tourte mit Hendrix und Joplin durch die USA", sagte er 2013 in der britischen Zeitung "Daily Mail".


1972 ist der Ritt auf Rockmusik, Sex-, und Drogenexzessen für Joe Cocker aber schon zu Ende. "Wenn ich mental stärker gewesen wäre, hätte ich der Versuchung vielleicht widerstanden. Doch Drogen gab es überall und ich stürzte mich darauf. Und wenn du erst mal in dieser Abwärtsspirale bist, dann ist es schwierig, da wieder rauszukommen. Es kostete mich Jahre, das zu schaffen", so die Rocklegende über diese Zeit.

Cockers heutige Ehefrau Pam Baker durchbricht den Kreis aus Zweifel, Drogenrausch und Selbstaufgabe. Ende der 1970er gelingt es ihr, den Sänger wieder in die Bahn zu bringen und sein Leben neu auszurichten.


 "Love lift us up where we belong"


Die Liebe seiner Frau brachte den gefallenen Joe Cocker Anfang der 1980er zurück auf die musikalische Bühne. Mit "Up Where We Belong" im Duett mit Jennifer Warnes und dem "9½ Wochen"-Hit "You Can Leave Your Hat On" gewann die Woodstock-Legende ein neues Publikum. 1987 drückte Cocker einem alten Song von Ray Charles seinen unverkennbaren Stempel auf. Mit "Unchain My Heart" zeigte der Meister der Coverversionen erneut, dass ein Song seinen Sound manchmal erst finden kann, wenn Cocker ihn singt.


In den letzten drei Jahrzehnten ist Joe Cockers Erfolg ungebrochen. Regelmäßig veröffentlicht der Wahl-Amerikaner Musikalben, wobei "Hard Knocks" (2010) und "Fire It Up" (2012) bis in die Spitze der deutschen Charts aufstiegen. Die Lederkluft der alten Tage ist einem lässigen Anzug gewichen und der Blues-, und Rocksound einer vergangenen Ära hüllt sich Jahr für Jahr mehr ins Gewand der Popmusik. Doch der Klang seiner Reibeisen-Stimme bleibt unverkennbar und durchtränkt jeden Musikstil mit seinem ganz eigenen Charme.


Joe Cocker lebt mit seiner Frau Pam zurückgezogen im US-Bundesstaat Colorado auf einer Ranch mit dem vielschichtigen Namen "Mad Dog". Der "Junge Wilde" von einst ist "glücklich in der Isolation". Das "Anstrengendste was mir auf meinem Anwesen passiert, ist Fischen und mit den Hunden spazierengehen."


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