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Gegen Goethe und Gezi

Thomas Seibert Die türkische Regierung versucht, Theater zu zensieren, das nicht ihren konservatischen Wertvorstellungen entspricht - oder das die Gezi-Proteste thematisiert. Auch Deutschlands Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe kommt nicht ungeschoren davon.

Kazim Aksar will sich sein Werk nicht zerreden lassen. „So leicht beuge ich mich nicht", sagte der türkische Autor und Regisseur. Für das Staatstheater in Istanbul hat er ein Stück über Johann Wolfgang von Goethe geschrieben: „Sogar beim Untergehen ist die Sonne groß". Premiere war diese Woche. Doch kurz vor der Uraufführung wollte das Kulturministerium angeblich anstößige Passagen aus dem Stück gestrichen sehen - unter anderem den Satz „Ich werde stöhnen wie ein Hase".

Die Opposition spricht von einem weiteren Beispiel für die Versuche der islamisch-konservativen Regierung, der Gesellschaft ihre Wertvorstellungen aufzuzwingen.

Ercan Karakas, Vizechef der säkularistischen Partei CHP, warf der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu vor, den Künsten gegenüber „eine Haltung von Zensur und Druck" an den Tag zu legen. „Die beanstandeten Textzeilen sind Zitate von Goethe selbst", erklärt Aksar. Das Stück handelt von der Ehe des Dichters mit Christiane Vulpius und der französischen Besetzung Weimars, es endet mit Goethes Tod. Natürlich gebe es erotische Anspielungen in dem Schauspiel, „doch das ist für das Kulturministerium nur ein Vorwand. Mein Stück befasst sich mit der Ausbeutung der Religion für andere Zwecke, nimmt Stellung gegen den Krieg und gegen den Druck der Regierungen auf die Künste", so Aksar. Botschaften, die der Regierung nicht passen würden.

Beschneidet die AKP-Regierung die Freiheit der Kunst?

Der Text des Goethe-Dramas war zunächst von einem Literaturausschuss des Staatstheaters durchgewinkt worden. Vertreter des Kulturministeriums in diesem Gremium haben keine Bedenken geäußert. Erst nach der Prüfung durch den Ausschuss hat das Ministerium einige Textpassagen moniert - die Beamten rügen, dass einige Passagen für ihren Geschmack „etwas offen" seien. Aksar, der drei Jahre an dem Stück gearbeitet hat, besteht dennoch auf der Aufführung der ursprünglichen Version. Das Ministerium habe keine rechtliche Befugnis zu nachträglichen Änderungen, sagt er.

Krach gibt es auch um ein anderes Stück, das vom Kampf einer Schauspieltruppe im Kosovo gegen Bürokratie und Korruption handelt. Die Oppositionszeitung „Cumhuriyet" meldet, das türkische Kulturministerium sei den beiden Produktionen gegenüber so misstrauisch gewesen, dass es die Theatermacher verpflichtet habe, Videoaufnahmen der Generalproben zur Überprüfung nach Ankara zu schicken.

Es ist nicht das erste Mal, dass die AKP-Regierung sich den Vorwurf einhandelt, die Freiheit der Kunst im Land beschneiden zu wollen. In seiner Zeit als Ministerpräsident kritisierte d er heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine riesige Skulptur des Bildhauers Mehmet Aksoy in Nordostanatolien als „monströs", worauf die dortigen Behörden den Abriss des Kunstwerkes beschlossen.

Ein weiterer Fall von Zensur: Erdogan fühlte sich von Doku über Gezi-Proteste beleidigt

Erst vergangene Woche löste ein anderer Zensurvorwurf beim Filmfestival in Antalya einen Skandal aus. Die Festivalleitung hatte eine Dokumentation über die Gezi-Proteste 2013 aus dem Wettbewerb genommen, weil sie angeblich Erdogan beleidige. Daraufhin zogen rund ein Dutzend Dokumentarfilmer ihre Beiträge zurück. Der Dokumentarfilmwettbewerb wurde deshalb komplett aus dem Festival gestrichen.

Bei Aksars Goethe-Stück verlangt das Kulturministerium eine Verschiebung der Premiere und eine Streichung der beanstandeten Passagen. Aus Protest gegen diese Forderungen trat der Generaldirektor der türkischen Staatstheater, Mustafa Kurt, von seinem Posten zurück. Ankara wirft Kurt vor, er habe wegen eines Disziplinarverfahrens ohnehin kurz vor dem Rausschmiss gestanden, mit seinem Rücktritt wolle er sich nur zum Helden stilisieren. Das Stück wurde trotz der Einwände des Ministeriums in der ursprünglichen Fassung aufgeführt und steht bis 25. Oktober auf dem Spielplan. Aksar selbst glaubt nicht, dass das letzte Wort gesprochen ist. „Das Ministerium schickt wahrscheinlich Spitzel zu den Istanbuler Aufführungen." Er befürchtet, dass das Stück doch noch abgesetzt wird.

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