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Mehr als ein Buchhalter

Kommende Woche wird der neue Bertelsmann-Chef Thomas Rabe erklären müssen, was er anders machen will als sein Vorgänger._____


Von Thomas Schuler_____


Manchmal knüpft Bertelsmann im Jahr 2012 unverhofft und still an alte Zeiten und Erfolge an. Reinhard Mohn hat Bertelsmann in den Nachkriegsjahren mit einem Steuertrick aufgebaut. Er verschenkte seinen Gewinn den Mitarbeitern und musste ihn deshalb nicht versteuern. Er zahlte den Gewinn aber nicht aus, sondern lieh sich das Geld als Darlehen für den Ausbau seines Leseringes. Für Mohn hatte das den Vorteil, dass er den Gewinn für die Expansion des Unternehmens nutzen konnte. Ein Steuerexperte des Finanzministeriums hatte ihm dazu geraten und Mohn hat diesen Experten - Manfred Köhnlechner - später zu seinem Generalbevollmächtigten ernannt.


Köhnlechners Position an der Spitze des Unternehmens hat heute Thomas Rabe inne. Er führt Bertelsmann seit Januar; nächste Woche wird er in dieser Position erstmals auf der Bilanzpressekonferenz Fragen beantworten müssen, was er anders machen will als sein Vorgänger Hartmut Ostrowski. Rabe kam nicht an die Spitze, weil die Zahlen schlecht waren: Bertelsmann erzielte 2010 einen Umsatz von 15,8 Milliarden Euro und erreichte eine Umsatzrendite von 11,7 Prozent. Was seinem Vorgänger fehlte, das war die Vision.


Vermutlich wird Rabe betonen, dass der Fernsehsender RTL wieder ein gutes Ergebnis erzielt hat. Und da sind wir bei den alten Zeiten, denn RTL ließ mit einer Nachricht aufhorchen, die an Köhnlechner erinnert. Europas größte Senderkette habe 2011 einen Gewinn von 696 Millionen Euro (eine Steigerung um 13,9 Prozent) erwirtschaftet, der Umsatz um 4,2 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro zugelegt. Fast die Hälfte des Erlöses kommt aus Deutschland - davon sollen die Mitarbeiter aller Unternehmen profitieren, die zu 100 Prozent zur RTL-Gruppe gehören, also die Sender RTL, Vox und n-tv. 14,7 Millionen Euro werden bei RTL Deutschland für 2011 an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Das Geld werde allerdings nicht jetzt ausbezahlt, sondern verzinst und angelegt, um als Altersvorsorge zu dienen. Entscheidend für die Bertelsmann-Philosophie ist, dass es nicht auf dem Sperrkonto einer Bank liegt. Tatsächlich erklärt auf Rückfrage ein RTL-Sprecher, das Geld werde vom Unternehmen selbst verzinst. Es kann also wie früher als Darlehen genutzt werden.


Bertelsmann hat in den Tochterunternehmen eine ganze Reihe solcher Konstruktionen durch eigene Pensionskassen geschaffen. Selbst die Bertelsmann-Stiftung, die 80 Prozent des Kapitals des Unternehmens besitzt (den Rest hält Familie Mohn), hat eine ähnliche Funktion. Doch so schön der Buchhaltungstrick funktioniert und die Firma Millionen nutzen kann, im Jahr 2012 reichen 15 Millionen für Bertelsmann nicht, um Wachstum herbeizuzaubern. Thomas Rabe leitet ein Unternehmen, das immer noch von einer Schuldenlast von mehreren Milliarden Euro gedrückt wird. Schuld ist die Entscheidung von Liz Mohn und Gunter Thielen, 2006 vom damaligen Teilhaber Albert Frere dessen Anteil von 25,1 Prozent für 4,5 Milliarden Euro zurück zu kaufen.


Nach wie vor ist es die Fernsehsendergruppe RTL, von deren Gewinnen Bertelsmann lebt. Das verdankt Bertelsmann Zukäufen, die noch der ehemalige Vorstandschef Thomas Middelhoff tätigte. Lange her. Das Manager Magazin schrieb, in Gütersloh nenne man Rabe wegen seines Selbstbewusstseins „Thomas Reloaded" - in Anspielung auf Middelhoff, der ihn einst von RTL in die Konzernzentrale holte.


Für Rabe spricht, wie er versucht, die Mitarbeiter durch Neuerungen zu motivieren. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte er, traditionelle Größenmerkmale wie Umsatz oder Bilanzsumme werden unwichtiger. „Es geht heute viel eher um Dynamik und darum, wie die Märkte ein Unternehmen bewerten." Rabe gibt sich dynamisch. Er hat ein so genanntes Corporate Center in Indien eröffnet, die Dienstleistungssparte Arvato neu strukturiert, RTL-Chefin Anke Schäferkordt befördert und in ein Gremium an seine Seite geholt. In all diesen Dingen steckt die Botschaft: Aufbruch, Erneuerung! Allerdings hat er den RTL-Chef Gerhard Zeiler verloren. Um nicht als übereifriger Revolutionär zu gelten, hat er die einstigen Vorstandsmanager Bernd Kundrun und Rolf Schmidt-Holtz in den Aufsichtsrat von RTL geholt.


Rabe war noch nicht angetreten, da war scheinbar schon alles über ihn gesagt. „Meister der Effizienz" nennt ihn das Manager Magazin, „der scharf rechnende Musiker" die FAZ, „Visionär mit der Bassgitarre" das Handelsblatt. Der gebürtige Luxemburger, der als Jugendlicher in einer Punkband spielte, hat Wirtschaftswissenschaften studiert und für die EU, die Treuhand und die RTL-Gruppe gearbeitet. Seit 2006 ist der heute 46-Jährige bei Bertelsmann für Finanzen zuständig.


Rabe wollte allerdings immer mehr sein als ein Buchhalter; er machte Schlagzeilen, weil ihn Konkurrenten abwerben wollten. Er spricht mehrere Sprachen, wirkt weltgewandt und lebt in Gütersloh und in Berlin. Rabe will nicht nur Ausgaben kontrollieren, sondern gestalten. Er will Bertelsmann internationaler und in den Geschäftsfeldern breiter machen. Was das konkret bedeutet, sagte er noch nicht - sieht man davon ab, dass er trotz des Verkaufs der Musiksparte an den Musikrechtehandel glaubt und mit Musikrechten ein neues Geschäft aufbaut. Einem Verkauf der Zeitschriftensparte Gruner + Jahr hat er eine Absage erteilt. Aber er habe auch gelernt: „Man kann alles verkaufen."


Rabe ist seit den siebziger Jahren der erste Manager, der es ohne den Stallgeruch von Druckereien und Dienstleistungsgeschäft an die Spitze von Bertelsmann geschafft hat. Mit Ausnahme der ersten beiden Vorstandsvorsitzenden Manfred Köhnlechner (der damals noch Generalbevollmächtigter hieß) und Manfred Fischer kamen alle weiteren Vorstandsvorsitzenden aus dem Druck- und Dienstleistungsbereich - ob Mark Wössner oder Thomas Middelhoff, ob Gunter Thielen oder Hartmut Ostrowski.


Er will seinen Einfluss stärken


Die beherrschende Stellung der Druckereien und Dienstleistungsgeschäfte am Firmenort lässt Rabe unbeeindruckt. Arvato sorgt zwar nach RTL für den größter Umsatz, bringe aber zu wenig Erlös. Rabe will das ändern und hat die Tochterfirma zunächst umstrukturiert, um sie effizienter zu machen. Rabe nimmt überhaupt teilweise Abschied vom Gebot der dezentralen Führung. Er will seinen Einfluss stärken, ist aber vorsichtig genug, das nicht als Chef, sondern mittels eines Gremiums zu versuchen.


Rabe hat keine der Hypotheken der Vorgänger. Ostrowski gab zu seinem Amtsantritt das Motto „Wachstum, Wachstum, Wachstum" aus, um dann von selbstgemachten Schulden und der Finanzkrise in Schach gehalten zu werden. Ostrowski hoffte auf die Privatisierung öffentlicher Verwal- tungen. Damit macht Bertelsmann gute Geschäfte in England. Doch ein Pilotprojekt in Würzburg, das den deutschen Markt erschließen sollte, scheiterte.


Ostrowski sprach von Wachstumschancen im Bereich Bildung, sein Nachfolger setzt den Gedanken in die Tat um und hat in den USA einen Fond gegründet, der weltweit eine dreistellige Millionensumme investieren will. Das Geschäft mit Online-Universitäten ist ein Milliarden-Markt. Doch es hat auch seine Tücken. Das zeigt das Beispiel des Medienunternehmens der Washington Post, deren Bildungssparte Kaplan Millionengewinne einfuhr. Manager blickten jahrelang mit einer Mischung aus Neid und Staunen auf die Washington Post. Kaplan wuchs dank staatlichen Fördergelder, die teilweise mit fragwürdigen Methoden erschlichen wurden. Seit Fördergelder gekürzt wurden, ist der Gewinn eingebrochen.


Für Bertelsmann ist die Investition in den Bereich Bildung verlockend, birgt aber auch Interessenkonflikte mit der Stiftung, die eigentlich unabhängig agieren sollte. So war es die Bildungspolitik, wegen der Bertelsmann und seine Stiftung vor Jahren in die Kritik geraten waren. Einst besetzten Studenten sogar die Repräsentanz in Berlin, in der Rabe kommende Woche seine Zahlen präsentieren wird.

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