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Besuch bei Ewald Kleist, dem (vermutlich) letzten lebenden Mitverschwörer Stauffenbergs //

Berliner Zeitung; 26.1.2009 /


Ein scheuer Held /

Im Kino wird die "Operation Walküre" nachgespielt, Ewald von Kleist war wirklich dabei. Er ist der letzte lebende Mitverschwörer vom 20. Juli 1944 / 

Von Thomas Schuler /

MÜNCHEN. / 


Eigentlich wollte Ewald Heinrich von Kleist gar nichts mehr über den Widerstand sagen. Manchmal behauptet er gar, er habe seit dem 20. Juli 1944 nie wieder an das gescheiterte Attentat, das Deutschland beschäftigt wie wenige andere Ereignisse, gedacht. Es klingt mehr wie ein Wunsch.


Von Kleist kannte und schätzte Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dessen Adjutanten Werner von Haeften und die anderen Offiziere, die noch in der Nacht der Verschwörung im Bendlerblock hingerichtet wurden. Von Kleist war damals mit dabei. Dort, wo der Film "Operation Walküre" spielt, der nun in den Kinos läuft.


Von Kleist war kein unbeteiligter Beobachter. Er war einer der Verschwörer. Er ist der letzte Zeuge, der noch lebt. Bereits ein halbes Jahr vor dem Staatsstreich hatte ihm Stauffenberg die Pläne zur "Operation Walküre" in einem sechsstündigen Gespräch erläutert und ihn gebeten, das Attentat auszuführen. Kleist sollte sich mit Hitler bei einer Uniformvorführung in die Luft sprengen. Ob er dazu bereit sei? Er erbat sich einen Tag Bedenkzeit, dann sagte er zu. Aber es kam nie dazu.


Nachdem Stauffenberg dann am 20. Juli das Attentat selbst verübt hatte, erwartete von Kleist seine Rückkehr in Berlin. Stauffenberg kam, um den Staatsstreich umzusetzen. Ein Vorgesetzter wollte ihn hindern, und ging mit Fäusten auf ihn los. Kleist verteidigte Stauffenberg mit der Pistole.


Heute spielt Ewald von Kleist das als "so kleine, dumme Revolvergeschichten" herunter. Er hat sich dann doch zu einem Gespräch in seiner Wohnung im feinen Münchner Stadtteil Grünwald überreden lassen. Von Kleist ist 86 Jahre alt. Er sitzt aufrecht da, mit Krawatte und Jackett. Die Stimme ist schneidig und verrät den Ex-Offizier. Einen Fotografen wollte er nicht dabei haben, er geht nur selten in die Öffentlichkeit. Am 15. November 2007 beispielsweise hielt er zum 100. Geburtstag von Stauffenberg eine Rede in Berlin. "Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr wundere ich mich eigentlich, wie es einem Mann wie dem Grafen Stauffenberg möglich war, gegen einen Machtblock des Bösen anzugehen und ihn - fast - umzustürzen," sagte er damals. "Es waren die menschlichen Fähigkeiten, die ihn wohl dazu befähigten."

Widerstand. War das nicht immer schon eine Kette von Missverständnissen? Widerstand handelt von mutiger Haltung und schlechtem Gewissen, von Verrat und falschen Beteuerungen. Das Wort erhält aus von Kleists Mund manchmal einen ironischen Unterton, so als wollte er sich davon distanzieren. Das mag daran liegen, dass heute vieles dazu zählt, was für ihn nicht dazu gehört. Die Kommunisten etwa, die unter dem Namen rote Kapelle gegen Hitler kämpften. Ihre Motivation stellt er in Frage.


Ewald von Kleist lässt sich ungerne vereinnahmen. Es muss im September 1945 gewesen sein, damals gaben sich plötzlich alle Offiziere als Widerständige, als Kleist in München einem amerikanischen Major begegnete. Der Amerikaner sagte ihm, sie seien nun schon seit Monaten in Deutschland und hätten noch keinen einzigen Nazi getroffen. Von Kleist entgegnete ihm: "Jetzt haben Sie einen. Ich bin einer." Er erwartete, dass ihn die Amerikaner festnehmen und verhören würden. Statt dessen öffnete der Major eine Flasche Wein und forderte ihn auf, zu erzählen. Am Ende wurden es zwölf. Ewald von Kleist erzählte viele Stunden über seine Erlebnisse an der Front.


Von Kleist sagt, er halte das Gedenken an die Kämpfer des militärischen Widerstandes für wichtig. "Aber ich beteilige mich nicht daran. Menschen neigen dazu, sich und ihre Taten auf Kosten der Wahrheit zu verklären." Von Kleist wollte kein Held sein.


Das erklärt, warum Zeitungen und Fernsehen im Mai 2008 meldeten, mit Freiherr Philipp von Boeselager sei der letzte lebende Mitverschwörer gestorben. Eine Falschmeldung, die alle druckten, von der FAZ über den Spiegel bis hin zur New York Times. Von Kleist hätte sie dementieren können. Er tat es nicht. Ein Verlag brachte nach Boeselagers Tod sogar ein Buch über ihn heraus mit dem Titel "Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944". Von Kleist sagt, er habe es nicht gelesen, es interessiere ihn nicht. Boeselager hatte den Sprengstoff für Stauffenberg geliefert.


Erstmals war Ewald von Kleist Stauffenberg Anfang 1944 begegnet, ein Freund hatte sie einander vorgestellt. Stauffenberg schilderte die Planung und sprach über den komplizierten Ablauf der "Operation Walküre", der dem Attentat folgen sollte. Stauffenberg plante einen Staatsstreich, indem er vorgab, einen Staatsstreich abzuwehren. Von Kleist war skeptisch gewesen, erinnert er sich, ob sie sich auf das Wachbataillon verlassen könnten. Stauffenberg antwortete: "Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen beim Militär darauf vertrauen, dass Befehle ausgeführt werden."


Von Kleist war damals 22 Jahre alt und erbat sich Bedenkzeit. Er wollte mit seinem Vater sprechen und hoffte, er würde ihm abraten. Ewald war der älteste Sohn, der einmal das Gut übernehmen sollte. Dazu war er ausgebildet worden. Sollte er sich opfern, um Hitler zu töten? Der Vater sagte damals: "Ja, das musst du tun. Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben." Es klingt hart, passt aber zur Auffassung von Widerstand und Einsatz, das in der Familie kultiviert wurde. Sein Vater, der auch Ewald hieß, war politisch engagiert. Er lehnte die Republik ab, war von Beginn an gegen Hitler und warnte bereits im Jahr vor der Machtergreifung öffentlich vor den Nationalsozialisten.


Am gleichen Tag war Sohn Ewald zurück nach Potsdam gefahren, um Stauffenberg mitzuteilen, dass er zum Anschlag bereit sei. Er sollte Hitler bei einer Uniformvorführung töten und erhielt dazu später zwei Granaten. Doch der Termin verstrich, ohne dass von Kleist gerufen wurde. SS-Chef Himmler war nicht anwesend. Ohne ihn auszuschalten, schien ein Attentat sinnlos.


Für Ewald von Kleist ist Widerstand Familiensache. Als Kind saß er oft im elterlichen Gutshof in Pommern auf dem Boden und hörte zu, wenn die Erwachsenen über Politik sprachen. Als Junge nimmt er den Röhm-Putsch 1934 wahr, als Hitler 85 missliebige Parteigenossen ohne Urteil hinrichten ließ.


Den von Kleists war klar, dass Hitler nur seine Gegner ausschalten wollte. Wer den Rechtsstaat auf diese Art und Weise beuge und Gegner ermordete, dem könne man keine guten Absichten unterstellen, war die Überzeugung. Dass das Militär das so hinnehme, sei ein großes Versagen, wie von Kleist findet. Nach dem Röhm-Putsch 1934 wurde der Vater verfolgt und musste zeitweise untertauchen. Heimlich flog der 1938 nach England und traf sich mit führenden Politikern, darunter Winston Churchill, um sie zu einem Eingreifen gegen Hitler zu überreden. Vergeblich.


Was die Verschwörer 1944 zum Aufstand trieb, das habe den Vater bereits seit Hitlers Machtantritt bewegt, schrieb sein Biograf Bodo Scheurig: "Wenn jene, die er von Anfang an beschwor zu handeln, gehandelt hätten, wäre der Zweite Weltkrieg vermieden worden," betont der Historiker. So war es kein Wunder, dass der Sohn zum Mitverschwörer wurde.

Nach dem fehlgeschlagenen Staatsstreich 1944 wurde von Kleist verhaftet und verhört. Er landete im KZ. In der Haft traf er einmal seinen Vater, der ebenfalls festgenommen worden war. Schweigend standen sie nebeneinander an der Wand. Der Vater sah ihn an. Der Sohn glaubte in seinem Blick die Frage zu spüren: "Du hast doch sicher niemand verraten?" Es war die letzte Begegnung. Der Vater wurde zum Tode verurteilt und kurz vor Kriegsende hingerichtet. Der Sohn dagegen kam frei, damit er - wie er später erfuhr - Kontakt zu anderen Verschwörern aufnehmen sollte. Doch er war vorsichtig.


Nach dem Krieg wurde Ewald von Kleist Verleger. Das ist naheliegend für einen entfernten Verwandten des Schriftstellers Heinrich von Kleist. Sein nach ihm benannter Verlag residiert bis heute in Berlin und bietet Fachbücher für Juristen, Betriebs- und Volkswirte. Sein erfolgreichster Band heißt "BGB - leicht gemacht" und verkaufte in dreißig Auflagen mehr als eine Million Exemplare. 1962 erfand von Kleist die Internationale Wehrkundetagung in München, zu der Jahr für Jahr Regierungschefs und die mächtigsten Politiker und Militärs aus Ost und West anreisen, um offen miteinander zu sprechen.


Nach dem Krieg erzählte er dem Historiker Peter Hoffmann von seiner Beteiligung am Widerstand. Hoffmann vermutet, dass von Kleist wegen seiner tragischem Familiengeschichte ungern darüber spricht. Dennoch wurde von Kleist vorgezeigt. Helmut Kohl, dem er nahe steht, nahm ihn mit auf einen Staatsbesuch nach Frankreich.

Von Kleist selbst empfindet allerdings nicht sein Mitwirken am 20. Juli 1944, sondern seine Wehrkundetagung als sein eigentliches Verdienst. Damit habe er geholfen, einen Konflikt zwischen Ost und West zu vermeiden, sagt er. Er moderierte die Tagung, die inzwischen Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik heißt, bis 1998.


Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass gegen diese Konferenz heute Tausende demonstrieren und sie bei vielen Leuten nicht als Symbol des Friedens, sondern der Militärs und des Krieges gesehen wird. Aber Demonstrationen und die Ansichten, der die Mehrheit folgt, haben von Kleist nie sonderlich beeindruckt.

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