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Vor acht Jahren enthüllte der amerikanische Journalist Gary Webb die "dunkle Verbindung" zwischen CIA und Drogendealern. Er starb im Dezember - durch zwei Schüsse in den Kopf

MÜNCHEN, im Januar 2005. Als man Gary Webb am Morgen des 10. Dezember 2004, einem Freitag, in seinem Haus im kalifornischen Sacramento fand, hatte er zwei Schusswunden am Kopf. Die Pistole seines Vaters und ein Abschiedsbrief lagen neben dem 49-jährigen Journalisten. Er hatte seine ehemalige Frau als Erbin eingesetzt und die Verbrennung seiner Leiche im Voraus bezahlt. Seine Ex-Frau sagte, er sei depressiv gewesen, weil er keinen Job mehr finden konnte. Seiner Familie schrieb er, dass er in der Woche zuvor sein Haus verkaufen musste, weil er die Raten nicht mehr zahlen konnte. Alles deutete auf Selbstmord hin. Oder steckt doch etwas anderes dahinter? 


Klar ist, dass seit ein paar Jahren vieles nicht mehr stimmte im Leben des Gary Webb. Er wurde gefeiert als einer der besten investigativen Journalisten Amerikas. Und er wurde beschimpft als Erfinder von Verschwörungstheorien.Wenn man so will, begann Webbs Abstieg mit seiner größten Story. Im August 1996 druckte seine Zeitung, die "San Jose Mercury News", unter dem Titel "Dark Alliance" ("dunkle Verbindung") eine dreiteilige Serie, in der Webb erzählte, wie Exilanten aus Nicaragua in den 80er-Jahren Kokain nach Kalifornien importierten, die Region um Los Angeles mit billigem Crack versorgte und die Millionen-Gewinne zur Finanzierung der von der CIA gesteuerten Contraarmee in Nicaragua benutzten. Dass die Spitze des Geheimdienstes Kenntnis von den Drogendealern hatte, konnte Webb nicht beweisen. Deutlich wurde, dass einzelne Mitarbeiter involviert waren.


Die Serie des Jahrzehnts 


Vor allem farbige Amerikaner waren von der Enthüllung beeindruckt. Lieferte sie nicht den Beweis, dass die eigene Regierung, die öffentlich den Krieg gegen Drogen predigte, insgeheim mit Schuld war an einer der größten Plagen in der armen Bevölkerung Amerikas? Es klang unglaublich und für viele Leser spielte keine Rolle, dass Webb den CIA-Oberen die regelrechte Planung nicht nachweisen konnte. Webb betonte auch stets, Beweise für eine Koordinierung an der Spitze der CIA habe er nicht. Er sprach vielmehr davon, dass der Geheimdienst weggesehen habe und offenbar nicht wissen wollte, woher das Geld zur Finanzierung der Armee kam. 


Doch viele Leser nahmen den feinen Unterschied nicht wahr. Seine Serie schlug ein. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender diskutierten seine Recherchen, Leser demonstrierten, Politiker verlangten Aufklärung. Auf dem Höhepunkt war CIA-Direktor John Deutsch persönlich nach South Central Los Angeles geeilt, um 1 500 aufgebrachte Bürger zu beruhigen, die Vorwürfe seien völlig aus der Luft gegriffen. 


Aber Webb belegte die "dunkle Verbindung" mit vielen Interviews von Beteiligten, Protokollen und Akten von Ermittlern. Das Fachblatt "Columbia Journalism Review" bescheinigte Webb nicht nur, die meistdiskutierte Geschichte des Jahres 1996 und "die berühmteste Serie des Jahrzehnts" geschrieben zu haben. Es erinnerte daran, dass andere Reporter bereits zehn Jahre davor über die Verbindung des CIA ins Drogenmilieu geschrieben hätten, sich außer einem Untersuchungsausschuss jedoch niemand dafür interessiert habe. Webb habe wichtige Aspekte neu recherchiert und alles so zusammengestellt, dass er Leben brachte in eine Diskussion, die Jahre zuvor einfach eingeschlafen war.


Gary Webb galt als renommierter Journalist. Er gewann zahlreiche Preise, darunter einen Pulitzerpreis für seine Berichte über ein Erdbeben in San Francisco. An der Serie "Dark Alliance" hatte er ein ganzes Jahr recherchiert, war mehrfach nach Mittelamerika gereist und hatte Unmengen von Akten beschafft. Weniger erfreut waren die New York Times, die Washington Post und die Los Angeles Times, die bis dahin die nationale Agenda bestimmten. Alle drei publizierten Artikel, die Webbs Geschichte als altbekannt und voller Fehler hinstellten. Vor allem warfen sie ihm vor, dass er die Mitwirkung der CIA-Spitze nicht hinreichend belege. 


Insbesondere die Los Angeles Times wollte nicht akzeptieren, dass sie von einem Regionalblatt aus der Nachbarschaft mit einer Story geschlagen wurde. Statt Webbs Geschichte zu erweitern, suchte ein Rechercheteam nach Fehlern. Man wollte verhindern, dass Webb ausgerechnet mit dieser Geschichte einen zweiten Pulitzerpreis gewinnt. Hatte ein Reporter der Los Angeles Times den Dealer Rick Ross 1994 noch als einflussreichsten Crack-Dealer des Jahrzehnts und "König des Crack" hingestellt, so schrieb derselbe Journalist 1996 plötzlich, seine Rolle sei unbedeutend gewesen. Webb überschätze ihn.


Immerhin war Hollywood interessiert und wollte Webbs Stoff verfilmen. Verlage drängten ihn, ein Buch zu schreiben. Webb lehnte ab, weil er den Kritikern jetzt mit Folgegeschichten antworten wollte. Doch war die eigene Redaktion unmittelbar nach Erscheinen der Geschichte von seiner noch Arbeit begeistert, so begannen jetzt die Zweifel. Statt ihm den Rücken zu stärken, gestand der Chefredakteur schließlich auf der Titelseite ein, man habe Fehler gemacht. 


Webb wurde 1997 in eine abgelegene Lokalredaktion verbannt. Er kündigte einige Zeit später und ging in den Staatsdienst als Berater für eine Kontrollbehörde. Glücklich wurde er damit nicht. Webb schrieb ein Buch über "Dark Alliance", das nun niemand mehr haben wollte und das er erst nach 25 Absagen unterbrachte. Seine Ehe scheiterte. Aufträge fand er kaum noch.


Die Rache des Geheimdienstes?


Es ist eine Ironie, dass sich um den Tod des Mannes, der mit Verschwörungstheoretikern nie etwas am Hut hatte, nun entsprechende Theorien breiten: Immerhin wurde er nicht mit einer, sondern mit zwei Schusswunden aufgefunden. Aber kann sich ein Selbstmörder zweimal in den Kopf schießen? Bewunderer seiner Serie fragen, ob die CIA oder die Contras sich gerächt haben. Der zuständige Richter erhielt derart viele Anrufe, dass er vor Abschluss der Obduktion an die Öffentlichkeit trat und betonte, zwei Schüsse seien zwar ungewöhnlich, aber durchaus möglich. In einigen Wochen soll nun das Ergebnis vorliegen.



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