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Unbestellte Wahrheiten / 2012

Ein Spiegel-Journalist schrieb das Leben von Berthold Beitz gleich zweimal auf - ein Lehrstück über Recherche


Von Thomas Schuler //


Heute weiß Norbert F. Pötzl, dass er Unmögliches versucht hat. Der Journalist war fasziniert von Berthold Beitz und wollte eine unabhängige Biografie schreiben, obwohl „Beitz eine Heldendarstellung wollte", wie Pötzl sagt. Er hätte gewarnt sein müssen, schließlich hatte er einmal selbst erlebt, wie Beitz im Interview farbig über Jagdausflüge mit dem DDR-Staatschef Erich Honecker erzählte, aber hinterher nur „blutleere Floskeln" zum Abdruck genehmigte.


Beitz, der am 26. September seinen 99. Geburtstag feierte, ist eine Legende. Während der Nazi-Zeit hat er im besetzten Polen Hunderte Juden gerettet. Wie kommt ausgerechnet er dazu, die Leitung des Kanonenbauers der Nazis zu übernehmen und den Krupp-Konzern wieder aufzubauen? Es gab keine Darstellung, die alles vereinte: die Erfahrungen im Krieg mit dem Aufbau von Krupp, den Einsatz für eine neue Ost-Politik mit seinem Einfluss auf die deutsche und internationale Politik. 2002 habe er Beitz vorgeschlagen, als Ghostwriter seine Memoiren zu schreiben, sagt Pötzl. Beitz war einverstanden. Doch bald änderte er seine Meinung: Pötzl sollte keine Autobiografie, sondern eine Biografie schreiben, deren Erscheinen allerdings von seiner Zustimmung abhängig sein sollte. Beitz wollte die Glaubwürdigkeit von Pötzl, der sich beim Spiegel seit 1972 einen Namen gemacht hat, - und zugleich die vollständige Kontrolle über das Skript.


Den Druck nicht genehmigt

Pötzl willigte dennoch ein. Beitz erzählte „sehr freimütig" aus seinem Leben und vermittelte Informanten. Pötzl akzeptierte Einschränkungen: „Beitz wachte darüber, dass ich nur mit von ihm vermittelten Weggefährten sprach und nur Dokumente aus dem Krupp-Archiv verwendete". Anfang 2004 gab Pötzl sein fast fertiges Manuskript ab. Im Mai des Jahres ließ Beitz überraschend mitteilen, dass er den Druck nicht genehmige. Gründe nannte er nicht. In der Kündigung schrieb er von „übergeordneten Gesichtspunkten". Auf Nachfrage heißt es in seinem Büro in der Krupp-Stiftung, Beitz wolle seine Entscheidung nicht begründen.


Pötzl sollte „bestellte Wahrheiten" liefern, wie er es heute formuliert. Er hatte sich vertraglich gebunden, dass er im Falle der Nichtveröffentlichung aus den Gesprächen mit Beitz keine Zitate verwenden würde und keine Dokumente oder Quellen und Gesprächspartner, die Beitz ihm zugänglich gemacht hat. Normalerweise bedeutet eine Absage bei so einer Abmachung das Ende eines Buchprojekts: Zumindest gingen Beitz und seine Berater in Essen davon aus. Und tatsächlich schickte Pötzl sein ganzes Material in einer Kiste zurück.

Ein Jahr später entschloss Pötzl sich, weiter zu recherchieren, und suchte nun in Archiven nach Dingen, die Beitz nicht zugelassen hatte. „Ich wusste anfangs nicht, ob ich eine Biografie würde schreiben können ohne die mir von Beitz zugänglich gemachten Quellen, die ich nicht verwenden durfte. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet, je länger ich recherchierte."


Umgang mit alten Nazis

Plötzlich erschien ihm vieles in einem neuen Licht: Es sei eine Legende, dass Beitz ein überaus erfolgreicher Wirtschaftsführer gewesen sei. Tatsächlich habe er den Weltkonzern Krupp wiederholt an den Rande des Abgrunds gesteuert. Eine Legende sei es auch, dass Krupp auf Beitz' Betreiben freiwillig und als erstes deutsches Unternehmen ehemaligen Zwangsarbeitern Entschädigungen gezahlt habe. In Wahrheit mussten Beitz, der die Verhandlungen führte, mühsam Almosen abgerungen werden, schreibt Pötzl.


Derselbe Mann, der im Krieg auf heldenhafte Weise Juden gerettet hat, pflegte anschließend einen seltsam unbekümmerten, geselligen Umgang mit alten Nazis. Derselbe Mann, der die Situation jüdischer Zwangsarbeiter aus eigenem Erleben kannte, speiste die ehemaligen Krupp-Zwangsarbeiter mit Almosen ab, weil Alfried Krupp nicht mehr zu zahlen bereit war. Der freundschaftliche Umgang mit Honecker sei Beitz im Nachhinein peinlich.


Sicherlich würde man in seinem Buch ein paar Sätze aus dem ersten Manuskript entdecken, sagt Pötzl, das meiste aber sei erst danach hinzu gekommen. „Im Grunde war die Konstellation für mich ein Glücksfall. Ohne den ersten Versuch einer autorisierten Biografie wäre ich Berthold Beitz niemals so nahe gekommen." Er habe sich dafür in keiner Weise verbiegen müssen.


Beitz selbst wurde von der Ankündigung überrascht, Heyne werde eine kritische Biografie von Pötzl veröffentlichen. Beitz" Mitarbeiter versuchten an das Skript zu kommen, um Verstöße gegen die Abmachung juristisch zu ahnden. Ohne Erfolg. Sie mussten das Buch kaufen, nachdem es im vergangenen Oktober unter dem Titel „Beitz: Eine deutsche Geschichte" in den Handel gekommen war. Wenn sie in Hintergrundgesprächen von Pötzls Buch sprechen, dann schwingt Respekt mit: Beitz habe Verständnis für Pötzls Vorgehen. Der Journalist verstehe sein Handwerk.


Augsteins Kritiklosigkeit

Warum hat Pötzl die Ergebnisse seiner Recherchen nicht im Spiegel publiziert? Man habe darüber nachgedacht, sagt der heute dienstälteste Redakteur des Magazins, schließlich aber davon abgesehen, weil es schwierig sei, das Buch auf zwei Seiten angemessen wiederzugeben, sagt Pötzl. Wirklich? Was er nicht sagt: Ein Grund könnte auch sein, dass er sich mehrfach kritisch über seinen eigenen Arbeitgeber und dessen Rolle als Verteidiger von Beitz äußert.


Das spricht für Pötzl, nicht aber für den Spiegel. So habe Rudolf Augstein, der mit Beitz befreundet gewesen sei, in seinem Blatt angeblich ein Buch von Willy Brandts Witwe verreißen lassen, weil die Autorin darin einen kritischen Beitrag über Beitz veröffentlichte. Augstein selbst habe in dem Interview Beitz' Sicht der Dinge unkritisch ausgebreitet. Ein Artikel über Beitz hätte zwangsläufig die Kritiklosigkeit von Augstein thematisieren müssen.

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