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Versteckte Kamera bei Neonazi-Konzerten

Fünf Jahre lang hat Thomas Kuban an seinem Dokumentarfilm „Blut muss fließen - Undercover unter Nazis" gearbeitet. Aber kein Fernsehsender interessiert sich für seine Recherchen in der rechtsradikalen Musikszene.


Von Thomas Schuler / 


Weitermachen? Oder aufhören? Die Frage beschäftigt Thomas Kuban seit mehr als sieben Jahren. Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben. Die Geburt von Thomas Kuban sei zugleich sein Ende gewesen, sagte der freie Journalist, als er im November vor Ermittlern des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden stand und ihnen seinen beruflichen Bankrott erklärte, wie er sich ausdrückte.

Aus reiner Verzweiflung über das mangelnde Medieninteresse habe er sich mit senfgelbem Sakko, Sonnenbrille und blonder Heino-Perücke als Kunstfigur verkleidet. Verzweiflung, die ihn dazu brachte, den Dokumentarfilm und das gleichnamige Buch „ Blut muss fließen â?" Undercover unter Nazis " über seine jahrelangen Recherchen zu veröffentlichen. Beides als Folge der wiederholten Ablehnung seiner Arbeit bei deutschen Fernsehsendern. Alles schon bekannt, wurde ihm immer wieder gesagt.

Aus der Einladung des BKA-Präsidenten zur Herbsttagung der Behörde lässt sich allerdings ersehen, wie relevant und aktuell seine Recherchen sind. Für Kuban muss der Auftritt eine große Genugtuung gewesen sein nach all den Zurückweisungen - zumal der BKA-Präsident eigens für seine Rede in den Saal gekommen sei, wie man ihm gesagt habe. Im Foyer lief den ganzen Tag eine zehnminütige Zusammenfassung des Films, die das BKA auf eine Wand projizierte. Genugtuung? Kuban weicht aus: „Für mich war es einfach extrem anstrengend." Auch in Wiesbaden war er verkleidet. Auch unter Polizisten hatte er Angst, zu viel preiszugeben.

40 Identitäten zugleich

Thomas Kuban ist ein Pseudonym. Der etwa 40-jährige Journalist hatte vor 15 Jahren von einem Kollegen erfahren, dass Neonazis sich bei rechter Rockmusik treffen, die Hand zum Hitlergruß heben, verbotene Lieder singen und so Nachwuchs rekrutieren. Kuban ließ sich eine Glatze rasieren, zog Lederjacke und Stiefel an und arbeitete sich immer tiefer vor. Mit versteckter Kamera filmte er bei Neonazi-Konzerten. 2003 liefen seine ersten Bilder auf „Spiegel-TV". Neonazis reagierten geschockt über den Eindringling. Kuban machte weiter, trotz der Angst, dass sie ihn irgendwann entdecken und zusammenschlagen würden. Zeitweise hat Kuban 40 Identitäten zugleich gepflegt, um an Informationen zu kommen. Davon erzählt Kuban im Film.

In rund 50 Konzerten im In- und Ausland hat er heimlich gefilmt; außer bei „Spiegel-TV" und „Stern TV" liefen seine Aufnahmen in politischen Magazinen von ARD und ZDF. Davon leben konnte er jedoch nicht. Die Recherchen haben ihn arm gemacht. Er blieb auf mehr als 150.000 Euro Unkosten sitzen. 2006 war er bankrott. Monatelang überlegte er: aufhören oder weitermachen?

Der Freiburger Dokumentarfilmer Peter Ohlendorf überredete ihn zu einem gemeinsamen Dokumentarfilm und Kuban machte weiter. Weil es keine Finanzierung gab, wurden aus einem schließlich fünf Jahre Arbeit. Der Film zeigt, dass Polizisten Neonazis die Hand geben statt Straftaten zu verfolgen und Konzerte aufzulösen. Zu sehen ist, wie der damalige bayerische Innenminister Günter Beckstein in einer Pressekonferenz betont, die Polizei verfolge Straftaten und als Kuban ihm das Gegenteil vorwirft, sagt Beckstein, dann liege das eben daran, dass man die Straftaten unterschiedlich bewerte. Das ist einer der stärksten Momente des Films, weil Kuban die Straftaten im Film zeigt; ebenso Polizisten, die bei Konzerten untätig sind. Ihnen fehle die Kenntnis verbotener Lieder, hieß es in einer Stellungnahme des Innenministeriums. Und der Hitlergruß?

Der Film erlebte seine Premiere 2012 auf der Berlinale. Es war die bislang einzige Vorführung, bei der Kuban sich öffentlich zeigte, weil ihm das Festival Leibwächter zur Seite stellte. Kuban und Ohlendorf glaubten, dass sie dank des Festivals den Durchbruch geschafft hätten - doch Monate später gibt es immer noch keinen Sendetermin für die Ausstrahlung.

Verhandlungen mit der ARD

Ohlendorf hat seit 1990 zahlreiche Filme für Sender der ARD gedreht und sagt: „Hier wird das Defizit der öffentlich-rechtlichen Sender überdeutlich." Zur Finanzierung häufte er 200.000 Euro Schulden an; derzeit liegt sein Minus bei 140.000 Euro. Mitarbeiter warten auf ihr Honorar. Warum hat der Film es so schwer, im Fernsehen gezeigt zu werden? Ohlendorf tourt seit Monaten mit einer Kopie durchs Land. Er hat den Film rund 150 Mal präsentiert, mal vor 20, mal vor 200 Leuten. Viele Zuschauer seien tief beeindruckt in den anschließenden Diskussionen. Ohlendorf hat erlebt, wie in Leipzig oder Dresden mehrere Hundert Leute in der Kälte auf Einlass warten, bis spontan um Mitternacht eine zusätzliche Vorstellung angesetzt wurde. So war es vor einigen Tagen.

Peter Ohlendorf sagt, er habe mehrfach den Sender Arte angesprochen und den Film dort vorgeführt. Der stellvertretende Arte-Programmchef Florian Hager begründet eine Absage damit, dass Ohlendorf Änderungen abgelehnt habe. Ohlendorf dagegen spricht von einem „Totalverriss", bei dem „der gesamte Aufbau in Frage gestellt" wurde. Von einer jetzt erwähnten einstündigen Fassung sei „nie die Rede" gewesen. „So weit kamen wir gar nicht angesichts der diametral entgegengesetzten Standpunkte."

NDR-Redakteurin Barbara Denz, die dort den Bereich Dokumentarfilm betreut, bestätigt Verhandlungen mit dem Bayerischem Rundfunk und anderen ARD-Anstalten, um den Film gemeinsam anzukaufen. „Es ist noch nicht abschließend geklärt, welche Sendeanstalten sich an dem geplanten Ankauf beteiligen werden. Parallel laufen die Verhandlungen mit Herrn Ohlendorf", sagt sie. Zu einem Sendeplatz und -datum kann sie noch nichts sagen. Die Verhandlungen sind kompliziert. Ohlendorf fürchtet eine Alibiausstrahlung nach Mitternacht und verlangt Zusagen für eine frühere Ausstrahlung, der NDR lehnt ab.

Am 27. Januar wird sich Thomas Kuban wieder verkleiden und um elf Uhr in einer Talkshow im WDR auftreten, in der es um ein Verbot der NPD gehen soll. Und danach wird er sich wieder die Frage stellen: Weitermachen? Oder aufhören?

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