1 subscription and 0 subscribers
Article

Der Pate vom "Donau Kurier"

Vor 15 Jahren etwa beschloss ich, einer der führenden Rockmusikkritiker Ingolstadts zu werden. Schließlich betrachtete ich mich damals als einen der führenden Plattensammler im Ort, allerdings ohne festes Einkommen, und musste dringend einen Weg finden, billig an Neuerscheinungen zu kommen. Gar nicht so leicht: Der "Donau Kurier", das staatstragend-konservative Lokalblatt, hatte bereits Gerhard Schiechel, und im "Schanzer Journal", dem Alternativblatt mit angeschlossenem Weinverkauf, schrieb Gerd Kaiser-Schmitt.


Klar war, dass ich es nur bei einer der beiden Publikationen versuchen konnte. Beide waren einander so sehr verhasst, dass sie angeblich schwarze Listen über die gegnerischen Mitarbeiter führten. Man musste für den "Donau Kurier" schreiben oder gegen ihn. Bald lernte ich, dass es auch etliche Leute gab, die beides taten: Als der Chefredakteur des "Schanzer Journals" auf meiner ersten Redaktionskonferenz meinen Namen als "Schroeder" notieren wollte ("mit ö oder oe?"), war es Gerd Kaiser-Schmitt, der meinen Versuch, den Chef zu berichtigen, unterbrach und sagte, ich solle den falschen Namen doch einfach als Pseudonym behalten. Später am Abend sagte er dann, eigentlich heiße er Gerhard und er könnte mich auch mal seinem Redakteur beim "Donau Kurier" vorstellen... 


Man musste freilich darauf achten, das Pseudonym in der einen Zeitung nicht mit dem Autorennamen in der anderen durcheinander zu bringen. Gefährlich war auch, die zentral gelegene Redaktion des "Journals" vor Sonnenuntergang aufzusuchen, konnte man dabei doch leicht von einem DK-Mitarbeiter beobachtet werden. Da half es auch nichts, als Alibi schnell eine Flasche biologisch angebauten Landwein zu kaufen auch das galt als verwerflich. 


Was als verwerflich zu gelten hatte in Ingolstadt, das bestimmte Wilhelm Reissmüller, der Verleger des "Donau Kurier". Er war der Pate unserer Stadt. Wem die Ehre zuteil wurde, ihn im Büro seiner Villa am Aloisiweg zu besuchen, der musste durch eine von Reissmüller eingebaute Spezialtür, die für den hoch gewachsenen Hausherrn viel zu niedrig war. Nicht nur der lange Horst Seehofer aus dem nahen Gerolfing, sondern selbst kleinwüchsige Lokalpolitiker konnten nur gebückt vor Dr. Reissmüller treten. Es hat dem "Doktor", wie der große alte Mann von seinen Mitarbeitern ehrfurchtsvoll genannt wurde, dann sehr gefallen, wenn ihm die wichtigen Männer der Stadt und des Freistaates zu Füßen lagen. 


Reissmüller war Verleger und Chefredakteur, Provinzmogul und bildender Künstler, Halbintellektueller und heiliger Prediger. Besonders gern aber war er "Widerstandskämpfer", was sich schon daran zeigte, dass er seinen Verlag in die Stauffenbergstraße verlegte. Dabei hieß der Vorläufer des DK "Donaubote", das erste lokale NSDAP-Blatt im Stile des "Völkischen Beobachters", in dem "R" ketzerische Texte geschrieben hatte. Als das "Schanzer Journal" herausfand, dass R. auch Anwärter war auf eine NSDAP-Mitgliedschaft, prozessierte er so lange, bis die Alternativen kein Geld mehr hatten für die nächsthöhere Instanz. Also blieb die Sache ungeklärt. 


Die Aufklärung der eigenen Geschichte verläuft eben sehr schleppend in der weitgehend von Pressemonopolisten beherrschten Provinz.Reissmüller war ein Konservativer, über dessen Selbstherrlichkeit sich selbst CSU-Leute und linksalternative Stadträte einig waren. Das soll was heißen, denn im katholisch-christlichen Ingolstadt musste man am Sonnabend nur ein wenig zu freundlich in der Fußgängerzone am Tapeziertisch des "Schanzer Journals" stehen, um flugs als Sympathisant der "Wuiden", also der Terroristen, bekannt zu werden. Immerhin war der Chefredakteur ein Linker, also "Kommunist". 


Ingolstadt hat Audi, drei Brauereien und seit fast 30 Jahren denselben Oberbürgermeister (natürlich von der Partei, die das schöne Bayern erfunden hat). Um bürgernah zu sein, hat er einmal aus Unachtsamkeit sogar eine Kampagne gegen sein eigenes Projekt, die dritte Donaubrücke, unterschrieben. Man hat gelacht. 


Am Bau der Brücke, sagt man, sei übrigens auch Reissmüller schuld (um schneller von seiner Villa in den Verlag zu kommen) und am Nebel im Winter sowieso. Reissmüller und sein Monopol mögen auch schuld sein, dass ich doch nicht Musikkritiker geworden bin. Was habe ich über "den Alten" und sein Monopol geschimpft und nebenbei das Layout für eine eigene Zeitung ent- und verworfen. Irgendwann ging ich nach München und wurde Medienjournalist. War besser so. Ganz sicher wegen des Wetters.

Original