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Auf die Insel

Das Wall Street Journal Europe ist unter dem neuen Eigentümer Rupert Murdoch umgezogen und hat sich ein neues Gewand verpasst: nachrichtlicher und britischer. __


Von Thomas Schuler___


Am Wochenende schrieb Patience Wheatcroft, die Chefredakteurin des Wall Street Journal Europe, den Aufmacher auf der Titelseite ihrer Zeitung. Sie hatte den britischen Finanzminister interviewt, der die britischen Banken für ihre mangelhafte Aufsicht kritisierte. Das Stück hätte auch im Sunday Telegraph stehen können, für den Wheatcroft früher arbeitete. Jedenfalls steht es beispielhaft dafür, dass das Wall Street Journal Europe unter dem neuen Eigentümer Rupert Murdoch nachrichtlicher und britischer geworden ist.


Eine Umkehr, denn beim Start der europäischen Ausgabe der führenden amerikanischen Wirtschaftszeitung 1983 war man sich noch einig gewesen, dass die Zentrale auf dem europäischen Festland liegen müsse, aber nicht in Deutschland liegen dürfe, sagte im Jahr 2002 Fred Kempe, der langjährige Chefredakteur. So schieden Frankfurt und London aus. "Wir wollten weniger englisch sein als die Financial Times." Deshalb fiel die Wahl auf Brüssel. Das bringe den Vorteil, "wirklich über ganz Europa" zu berichten, wie Kempe damals sagte. Hier sei es leichter, neutral zu sein. "Man hat einen weiteren Blick."


Im Sommer holte Murdoch mit Wheatcroft die ehemalige Chefredakteurin des Sunday Telegraph, die Zentrale zog nach London um. Während Kempe als Sohn eines gebürtigen Dresdners behaupten konnte: "Ich kenne deutsche Politik fast besser als die amerikanische", ist die europäische Ausgabe heute auf Großbritannien fixiert. Die 400 Reporter des Wall Street Journal und der verlagseigenen Nachrichtenagentur von Dow Jones, die aus dem Einzugsgebiet des Wall Street Journal Europe berichten, tun das vor allem für die amerikanische Ausgabe. Die Texte werden vor allem in New York redigiert, in London wird eine Best-of-Version produziert, weil der dortige Markt als einziger Wachstum verspricht. Berichteten unter Kempe noch sieben Korrespondenten über die EU, Europa und Nato, so sind es heute nur noch drei. Weil man 18 Millionen Dollar einsparen wollte, wurde vor Murdochs Übernahme sogar diskutiert, die Europa-Ausgabe einzustellen. Dazu kam es nicht. Aber man stellte auf das kleinere Tabloid-Format um.


Seit Dienstag erscheint das Wall Street Journal Europe in neuem Design. "Wir bringen mehr Analysen und Kommentare, neue Kolumnen mit Hintergrundinformationen und neue Features, die auch berücksichtigen, dass unsere Leser ein Leben außerhalb der Arbeitswelt haben", sagt die Chefredakteurin. Zu den Neuerungen gehören neben "The Big Read" ("ein täglich erscheinender fundierter, ausführlich recherchierter Artikel") beispielsweise "C-Suite" über Reise und Gesundheit sowie eine tägliche Sportseite.


Kempe vermittelte den Kollegen in New York das Gefühl, Brüssel werde das Washington von Europa werden. Folgenschwere Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden gegen Microsoft und andere amerikanische Unternehmen schienen das zu belegen. Kempe durfte viel Geld ausgeben, und ihm kam gelegen, dass der Holtzbrinck-Verlag im Konkurrenzkampf mit Gruner+Jahr einen Partner für das Handelsblatt gegen die Financial Times Deutschland suchte und sich darauf einließ, die Hälfte der Verluste des Wall Street Journal Europe zu finanzieren. Doch als der Erfolg ausblieb und Kempes Traum sich nicht verwirklichen ließ, wechselte er 2006 nach Washington zum Atlantic Council. Holtzbrinck beendete die Kooperation, ehe das WSJE profitabel wurde.


Seit April 2008 ließ Murdoch einen Teil der US-Ausgabe auch in London drucken. Jetzt hat er entschieden, damit aufzuhören. Das bedeutet, dass die Europa-Ausgabe weiter bestehen wird. Ausgerechnet Kempe sagt heute, das WSJE hätte schon längst von Brüssel nach London umziehen sollen, weil London nun mal die europäische Finanzhauptstadt sei. Dow Jones habe damals die Strategie, in Europa eine eigenständige Zeitung zu produzieren, zu früh aufgegeben. Vielleicht habe Murdoch mehr Geduld.


Anzeigenkunden stünden künftig mehr Plätze zur Verfügung, sagt Herausgeber Langhoff. Allerdings geht das Anzeigenaufkommen zurück. Das Journal versucht den Werbekunden deshalb Leser anzubieten, die sich einen aufwendigen Lebensstil leisten können. Langhoff hofft auf "eine größere Leserschaft von europäischen Top-Managern . an sie richtet sich unser Angebot." Das bedeutet einen strategischen Schwenk. Denn in den USA avancierte das Wall Street Journal durch das Prinzip, nicht für Banker, sondern für Bankkunden zu berichten, zur größten Tageszeitung in den USA (Auflage: über zwei Millionen). Doch die Auflage in Europa stagniert: Kempe strebte eine Verdopplung auf rund 140 000 Exemplare an. Zwischenzeitlich lag sie bei 100 000, inzwischen ist sie auf deutlich unter 80 000 gerutscht. Das Journal ist nicht mehr als eine kleine Insel in der großen Welt der amerikanischen Ausgabe

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