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Tod eines Verlegers - Von Reinhard Mohn lernen?

Als Reinhard Mohn im Jahr 2000 mit den vier Mitgliedern der von Bertelsmann finanzierten, so genannten Unabhängigen Historiker-Kommission, zusammentraf, um die Vorwürfe zur Unternehmensgeschichte im Dritten Reich zu klären, sagte der Historiker Norbert Frei, gerade ein Kommunikationsunternehmen sollte ein historisches Gedächtnis haben. Mohn antwortete: „Ich werde natürlich von allen Seiten gefragt, wann und wer meine Biografie schreibt. Und ich habe gesagt: Die wird nicht geschrieben."


Damals war eine Besuchergruppe aus Kuweit, für deren Scheichtum Bertelsmann ein Kommunikationszentrum errichtete, am Unternehmenssitz in Gütersloh gewesen, erzählte Mohn weiter, und habe ihn gefragt: Für was wollen Sie von den Leuten erinnert werden? „Ich sagte: Das brauchen sie nicht." Denn Selbstdarstellung sei ihm von Grund auf zuwider. Frei antwortete, er fühle sich „völlig falsch verstanden".


Die Idee der Bertelsmann-Stiftung

Unter dem Deckmantel angeblicher Bescheidenheit versteckt, bedeutete für Mohn die Geschichte des eigenen Verlags offenbar seine eigene Geschichte. Nicht Transparenz oder Rechenschaft. Sondern Selbstdarstellung. Genau in diesem Sinne fiel dann ein schmales Buch seiner Erinnerungen aus, das er 2008 veröffentlichte. Titel „Von der Welt lernen".

Mohn schrieb darin von Freiheit und Fortschritt, von Motivation und Identifikation, von Menschlichkeit, Unternehmenskultur und dezentraler Führung. Er referierte die wichtigsten Stationen seines Lebens: Geboren am 29. Juni 1921 in Gütersloh als fünftes von sechs Kindern. Weil der Vater belastet war, übernahm er nach der Kriegsgefangenschaft 1947 das familieneigene Druck- und Verlagshaus. Er expandierte über das Vertriebs- und Verlagsgeschäft hinaus, erwarb den Zeitschriftenverlag Gruner+Jahr, zahlreiche Buchverlage, die heute unter dem Namen Random House gebündelt sind, und den Fernsehsender RTL, von dessen Gewinnen das Unternehmen und die Bertelsmann Stiftung heute leben. Die Stiftung hatte er 1977 gegründet, damit die Firma nach seinem Tod nicht zerfällt. Heute ist sie mit 76,9 Prozent größter Aktionär des Medienunternehmens und wird von der Familie Mohn kontrolliert. Auch die restlichen Firmenanteile sind im Besitz der Familie Mohn.

Jenseits dieser Stationen ging es in seinen Lebenserinnerungen „Von der Welt lernen", überspitzt formuliert, um ein einziges Thema: Von Reinhard Mohn lernen. Als junger Unternehmer musste er rasch viel lernen, sagte er einmal. Er habe immer versucht, von den Besten zu profitieren. Jedes Problem sei irgendwo auf der Welt schon einmal gelöst worden. Diese Lösung gelte es zu suchen und zu finden. Das ist das Prinzip, nach dem die Bertelsmann-Stiftung funktioniert, nach dem sie Politik und Gesellschaft reformieren will, zum Wohl von RTL (erfolglos) den Rundfunk zu regulieren versucht und Konzepte für Bildungswesen, Sozial- und Arbeitsmarkt aus dem Ausland importiert hat (daraus wurde sehr viel später Hartz IV). Das Problem ist freilich die Umsetzung der angeblichen Lösung. Nicht alles lässt sich kopieren. Manches lässt sich vermutlich nicht einmal übertragen, zumindest nicht auf die Art, wie Mohn und seine Stiftung es propagieren.

Die Kritik an der Stiftung

Denn ihre Arbeit endet nicht mit dem Finden von Lösungen. Sie wollen sie auch durchsetzen. Das heißt in Mohns Verständnis: Verantwortung übernehmen, und seine Mitarbeiter pflegen dafür viele exklusive Kontakte zu Eliten und Regierungen. Wenn die Lösung nicht funktioniert, dann muss der Fehler an der Vermittlung liegen, die verstärkt werden muss. Wie man Reformen kommuniziert, ist nach dem Scheitern von Hartz IV ein wichtiges Thema geworden für die Stiftung. Schwer zu sagen, ob Reinhard Mohn die Kritik erreicht hat, die von der Stiftung propagierten Lösungen seien unsozial und seine Stiftungspolitik sei undemokratisch.

Vermutlich fühlt er sich missverstanden. Mohn ging bis vor einigen Monaten noch in seine Stiftung, auch wenn sich seine Impulse zuletzt auf das Thema Glauben und Religion beschränkten, für ihn persönlich die Quelle der Orientierung. Er war nach Schlaganfällen sichtlich geschwächt. Kritik hat ihn stets nur dosiert erreicht. Mohn las nur zwei Zeitungen ( Neue Westfälische und Welt), er schaute nicht fern, er benutzte kein Internet. Er überlies das seinen Mitarbeitern und wurde in knappen Zusammenfassungen informiert.

Als Reinhard Mohn am vergangenen Samstag im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in Gütersloh starb, waren Nachrufe der PR-Abteilung in seinem Unternehmen von langer Hand vorbereitet - und vermutlich mit Mohn abgesprochen. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Gunter Thielen, sagte darin, Reinhard Mohn habe sich immer als Unternehmer, Stifter und Bürger verstanden, der selbst Verantwortung übernehmen und tragen wollte. „Seinen unermüdlichen Einsatz verstehen wir als Auftrag, in seinem Sinne weiter zu arbeiten und wirkungsvolle Impulse für Veränderungen und Reformen zu geben."

Die Verantwortung des Stifters

Verantwortung übernehmen? Als Unternehmer gegenüber seinen Mitarbeitern mag das zutreffen. Dort hat Mohn viel Soziales eingeführt, das ihm und der Firma zugute kam. Die Frage ist, wie viel davon über die Krise gerettet werden kann. Derzeit entlässt auch Bertelsmann Mitarbeiter. Als Verleger mochte Mohn sich nie sehen. Darin liege das Problem, schrieb einmal der Journalist Herbert Riehl-Heyse. Inhalte seien bei Mohn austauschbar. Ein Problem auch der dezentralen Führungsarbeit: Inhaltliche Verantwortung wollte Mohn, etwa beim Kauf der gefälschten Hitler-Tagebücher durch den Stern, nicht übernehmen, obwohl er den Kauf persönlich abgesegnet hatte. Jahre später hat er unter öffentlichem Druck die Verlagsgeschichte während und nach dem Dritten Reich aufarbeiten lassen. Wirklich Verantwortung dafür, dass er persönlich die Lizenz mit falschen Angaben über angeblichen Widerstand des Verlags erlangte, hat er jedoch nie übernommen. Er akzeptierte das Ergebnis der Forschung, stand aber nie öffentlich Rede und Antwort. In seinen Erinnerungen wird deutlich, dass er die Aufarbeitung ablehnt. Kein Wort über die Sicht der Historiker.

Und Verantwortung als Stifter und Bürger? Vor rund zehn Jahren hat er in Gütersloh die erste deutsche Bürgerstiftung etabliert - die Idee hatte er aus den USA mitgebracht. Mittlerweile gibt es davon Hunderte in Deutschland, mehr als in jedem anderen Land außerhalb der USA. Die Stadtstiftung in Gütersloh ist eine Einrichtung, wie sie die Kritiker von Bertelsmann gerne sähen: losgelöst vom Geldgeber, der Allgemeinheit überlassen. Ein solches Vorgehen hätte Mohn vermutlich die Debatte um die Gemeinnützigkeit erspart. Aber: Die Familie will die Macht und Kontrolle in ihrer Stiftung behalten, weil sie mit ihrer Stiftung die Verwendung der Gewinne ihres Unternehmens steuert. Politiker fast aller Parteien akzeptieren diesen Willen.

Eine Trauerfeier für geladene Gäste wird vermutlich in der Stadthalle in Gütersloh stattfinden, dort, wo Reinhard Mohn in den vergangenen Jahren an der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preises seiner Stiftung teilnahm und seine Tochter Brigitte und die Bundeskanzlerin Angela Merkel reden hörte. Brigitte sitzt im Vorstand der Stiftung und soll dort seine Arbeit fortsetzen. Für sein Unternehmen hat Reinhard Mohn schon vor langer Zeit alles geregelt. Seine zweite Frau Liz und zwei seiner sechs Kinder, Christoph und Brigitte, haben es unter Kontrolle. Das ist in Ordnung. Fragwürdig ist, dass ihr Einfluss in ihrer Stiftung unkontrolliert ist.

Thomas Schuler ist freier Journalist und Autor des Buches

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