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Wie ein Spielerberater 1860 verändert: Der Schattenmann

Carlos Tévez und sein enger Vertrauter, Kia Joorabchian. © imago sportfotodienst

Viele Fans waren erstaunt, als Vítor Pereira neuer 1860-Trainer wurde. Hinter den Kulissen zog ein mächtiger Spielerberater die Fäden. Hat er zu viel Einfluss? Von Thomas Hürner


Dieser Tage werden 1860-Fans auf eine harte Probe gestellt. Der Traditionsverein aus Giesing war immer schon das bodenständige Gegenstück zum internationalisierten Stadtrivalen FC Bayern. Die Identifikation der Anhänger rührte nie aus schillernden Erfolgen, vielmehr eint sie mit ihrem Verein, was sich auch in den Sportheimen der untersten Amateurligen findet: Kameradschaft, die am Wochenende erst im Grünwalder Stadion und später im Löwenstüberl gelebt wird.

Dort schwelgen die Sechzig-Anhänger gerne mal in Erinnerungen, etwa an ihre Meisterlöwen von 1966. Oder einfach an die Zeit, bevor Investor Hasan Ismaik den Verein übernahm und auf den Kopf stellte. Dahin waren sie, die alten deutschen Tugenden. Der TSV 1860 München ist auf Führungsebene mittlerweile schon internationaler als der große Stadtrivale.

Es geht um Kontakte

Seit Montag ist Vítor Pereira offiziell neuer Löwen-Trainer. Dass die Wahl auf den Portugiesen fiel, der zuvor beim FC Porto, Al-Ahli, Olympiakos Piräus und Fenerbahce Istanbul unter Vertrag stand, ist aber kein Zeichen von Kreativität oder neuem Erfindungsgeist. Es geht um Kontakte.

Hinter den Kulissen hat ein gewisser Kia Joorabchian die Fäden gezogen, ihm wird ein inniges Verhältnis zu 1860-Chef Ismaik nachgesagt. Bei 1860 gibt es aktuell keinen Sportdirektor und vielleicht, so heißt es zumindest, verzichtet der jordanische Investor in Zukunft auf einen Nachfolger für den geschassten Thomas Eichin. Die Kontakte von Joorabchian in die hiesige Fußballwelt könnten nämlich größer nicht sein, als externer Berater und Spieleragent hatte er gefühlt schon bei jedem großen Klub in Europa seine Finger im Spiel. Für den britischen Telegraph ist der iranisch-englische Geschäftsmann mittlerweile auf Platz vier der einflussreichsten Agenten im Weltfußball, in unmittelbarer Schlagdistanz zu den prominenten Platzhirschen Jonathan Barnett, Mino Raiola und Jorge Mendes.

Ein dubioser Eindruck

Ein Blick in die Vita Joorabchians hinterlässt dennoch einen dubiosen Eindruck. Laut dem »Guardian« soll er je einen britischen und einen kanadischen Ausweis haben, die jeweils mit unterschiedlichen Geburtsdaten versehen sind. Erste mediale Aufmerksamkeit erhielt Joorabchian, als seine damalige Firma Media Sports Investments (MSI) die Transferrechte am Argentinier Carlos Tévez hielt und damit gegen das Regelwerk des englischen Fußballverbands verstieß. Sämtliche Aktivitäten von MSI  wurden durch einen Fond finanziert, Joorabchian trat öffentlich als dessen Verwalter auf, äußerte sich aber nie zur Herkunft der Gelder.

Mit MSI etablierte der 45-Jährige hervorragende Kontakte in den südamerikanischen Fußball, von denen anfangs vor allem Shakhtar Donetzk als Abnehmer zehrte. So standen in den letzten Jahren bis zu sechs Joorabchian-Schützlinge gleichzeitig im Kader der Ukrainer, was zur Folge hatte, dass Macht und Einfluss des Geschäftsmanns gefährliche Dimensionen annahmen. 

»Das ist die Schuld des Agenten«

Nach einem Freundschaftsspiel gegen Olympique Lyon weigerten sich 2014 prominente Namen wie Douglas Costa und Alex Teixeira, die Rückreise nach Donetzk anzutreten. Offizieller Grund war, die Spieler hätten Bedenken wegen der politischen Situation, doch der damalige Trainer Mircea Lucescu hatte eine andere Sicht der Dinge: »Das ist die Schuld ihres Agenten. Ein paar Stunden vor Anpfiff ist Kia plötzlich aufgetaucht, um zwei Uhr morgens hat er die Spieler dann einfach aus dem Hotel mitgenommen.« Der Geschäftsmann wolle so Druck auf die Vereinsspitze aufbauen und einen Wechsel erzwingen, erklärte Lucescu empört.

Heute heißt Joorabchians Firma Sports Invest UK Limited. Wie aus von Football Leaks veröffentlichten Dokumenten hervorgeht, hat der 45-Jährige in den letzten vier Jahren stolze 170 Millionen Euro an Spielertransfers verdient. So zeigte sich der Geschäftsmann für quasi jeden Transfer südamerikanischer Spieler beim FC Chelsea verantwortlich, darunter David Luiz, Ramires, Willian und Oscar. Mit Roman Abramovich soll sich Joorabchian auch abseits des Transfermarkts gut verstehen.

»Feindschaft« mit Mancini

Dabei operiert Joorabchian aber anders als seine Kollegen Raiola oder Mendes, die eine innige Beziehung zu ihren Klienten pflegen und stets deren persönliche Interessen vertreten. Der Geschäftsmann fungiert als Mittelsmann für die Klubs, die von seinen guten Kontakten profitieren und hier und dadurch die Kompetenzbereiche der eigenen Sportdirektoren einschränken.

So etwa bei der Suning Commerce Group, die seit Mitte des Jahres das Sagen bei Inter Mailand hat und einen Hausklub in der chinesischen Super League unterhält. Joorabchian trieb laut italienischen Medienberichten hinter den Kulissen die Trennung von Ex-Inter-Trainer Roberto Mancini voran und installierte dann gleich dessen Nachfolger Frank De Boer. Joorabchian und Mancini kennen sich noch aus Zeiten, in denen der Italiener Trainer von Carlos Tévez bei Manchester City war. Der argentinische Angreifer und Mancini gerieten immer wieder aneinander, Tévez wurde wegen Disziplinlosigkeit suspendiert. Seitdem haben Mancini und Joorabchian ein schlechtes Verhältnis, der »Corriere dello Sport« sprach im Zuge der Entlassung gar von einer »Feindschaft«.

»Inter wird mittlerweile von Kia kontrolliert«

Bei Inter gilt der Geschäftsmann mittlerweile als einflussreichste Person, noch vor Sportdirektor Piero Ausilio. Diesen Eindruck tat auch Filippo Mancini, der Sohn von Roberto, in einem Interview kund: »Inter wird mittlerweile von Kia kontrolliert, ich weiß nicht ob das gut für den Klub ist.«  Im Sommer transferierte Joorabchian für insgesamt über 70 Millionen Euro den portugiesischen Europameister João Mário und das brasilianische Talent Gabriel Barbosa nach Mailand, zuvor war der 45-Jährige bereits für die überraschenden Wechsel von Alex Teixera und Ramires zu Jiangsu Suning verantwortlich. 

Eine ähnliche Rolle könnte Joorabchian nun auch bei 1860 zukommen. Mit den Brasilianern Ribamar und Victor Andrade stehen bereits zwei seiner Schützlinge im Löwen-Kader, obwohl der damalige Sportdirektor Eichin zuvor Bedenken über das Leistungsvermögen der beiden äußerte. Mit dem Marokkaner Adel Taarabt, für den der Geschäftsmann bei Benfica ein fürstliches Gehalt aushandelte und ihn zu einem der Bestverdiener bei den Portugiesen machte, wäre kürzlich fast ein dritter Spieler hinzugekommen. Als sich der untrainiert wirkende Taarabt aber wenig begeistert davon zeigte, künftig in der Zweiten Bundesliga zu spielen, strich Joorabchian ihn kurzerhand wegen »schwierigen Charakters« aus seinem Portfolio. 

1860-Chef Ismaik versprach den Löwen-Fans vor wenigen Tagen ein Transferbudget über 50 bis 100 Millionen Euro. Es ist zu erwarten, dass Joorabchian mit einem Großteil davon hantieren wird. Ob sportlich erfolgreich oder nicht: Der Traditionsverein aus Giesing ist mittlerweile fester Bestandteil der Big Player im internationalen Fußballzirkus.


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