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Lazio Rom in der Identitätskrise: Alle hassen Claudio

Bild: imago

Lazio-Präsident Claudio Lotito hat die Römer wieder in die schwarzen Zahlen geführt. Warum gilt er trotzdem als "meistgehasster Präsident im europäischen Fußball"? Von Thomas Hürner

Es dürfte längst kein Zufall mehr sein, dass der Adler auf dem Wappen von Lazio Rom so grimmig dreinschaut. Auch er hat vermutlich langsam genug davon, was sich beim Hauptstadt-Klub so abspielt. Einst waren es die rechtsradikalen Ultras der "Irriducibili", die regelmäßig für Negativschlagzeilen sorgten. Zwar sind die "Unbeugsamen", so der deutsche Name der Fangruppierung, noch heute für den ein oder anderen Eklat gut, auf den Titelseiten der italienischen Gazzetten wurden sie aber schon lange von ihrem Klubpräsidenten abgelöst.

"Ich übernahm diesen Klub bei seiner Beerdigung"

Täglich berichtet Jacopo Simonelli von den Geschehnissen um Lazio und Lotito, er ist Hauptstadt-Korrespondent für den italienischen Transferexperten Gianluca Di Marzio von "Sky Italia". "Die Ära von Vorgänger Sergio Cragnotti setzte den Fans schwer zu", erzählt der Journalist. "Sie hatten nach der Jahrtausendwende Angst um das Fortbestehen ihres wirtschaftlich maroden Klubs und sehnten sich nach einem Führungswechsel." Im Jahr 2004 wurde Claudio Lotito, ein erfolgreicher Reinigungsunternehmer, neuer Eigentümer von Lazio. Der 59-Jährige kaufte den hochverschuldeten Verein mit dem Ziel, ihn zu sanieren und wieder wettbewerbsfähig zu machen. "Ich übernahm diesen Klub bei seiner Beerdigung und führte ihn zurück ins irreversible Koma. Ich hoffe, ihn bald aufwecken zu können", sagte Lotito bei seinem Amtsantritt. Er hatte nicht zu viel versprochen, der strikte Sparkurs zeigt Erfolg. Seit Jahren schreibt Lazio schwarze Zahlen und gehört innerhalb Italiens mittlerweile zu den Vereinen, die am gesündesten wirtschaften.

Der gute Geschäftsmann

"Finanziell hat Lotito einen fantastischen Job gemacht", sagt Simonelli und fügt hinzu: "Trotz aller Einsparungen hatte Lazio stets eine Mannschaft, die gut genug war, um national eine ordentliche Rolle zu spielen." Bei Lotito gebe es für Spieler keine Fabelgehälter und wenn er welche verkauft, dann meist über deren Marktwert. Der gebürtige Römer sei ein knallharter Geschäftsmann, der es schafft, bei Verhandlungen so gut wie immer am längeren Hebel zu sitzen. Was Lotito aber auch ist: Einer dieser unkonventionellen, autoritären Patriarchen, die im italienischen Fußball seit jeher ihr Unwesen treiben und versuchen, Macht und Einfluss zu maximieren. Wenn den Calcio mal wieder ein Skandal heimsucht, dann ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit mitbeteiligt. So auch beim Betrugsskandal Calciopoli im Jahre 2006, in dessen Zuge Lotito bereits eine viermonatige Berufssperre verbüßt hat. Eine Haftstrafe blieb ihm wohl nur wegen Verjährung erspart.

Verwicklungen in Skandale

Lotito ist außerdem bei der letzten Vergabe der Serie A-Fernsehrechte in Konflikt mit dem italienischen Kartellamt gekommen. Die Pakete wurden nicht an den Höchstbietenden verkauft, der Lazio-Präsident ließ seine Kontakte spielen, strategisches und machtorientiertes Kalkül steckten dahinter. Sein Name fiel vergangenes Jahr auch im Zusammenhang mit dem Manipulationsskandal im Amateurfußball. Längst gilt Lotito als vielleicht einflussreichste Person im italienischen Fußball. Er ist der entscheidende Mann hinter Verbandspräsident Carlo Tavecchio und beeinflusste dessen Wahlerfolg hinter den Kulissen maßgeblich. Der Großteil der Lazio-Fans sehe Lotito als "korrupten Kriminellen", sagt Simonelli, doch auch viele Journalisten und Präsidenten anderer Klubs seien die Ellenbogen-Mentalität des Lazio-Präsidenten leid.

Lotito gibt sich in der Öffentlichkeit selten kleinlaut, Bescheidenheit ist keine seiner Tugenden. So bezeichnete er die beiden letztjährigen Serie A-Aufsteiger Frosinone und Carpi als »das Ende der Serie A«, da der Liga durch solch unattraktive Mannschaften Einnahmen aus den TV-Rechten entgehen würden. Carpi nannte Lotito in einem aufgezeichneten Telefonat gar einen »Drecksverein«.


Seit Jahren unter Polizeischutz
All das wäre für die Lazio-Fans noch zu ertragen, wenn wenigstens der eigene Klub von derartigen Eskapaden verschont bliebe. Seit Jahren liegen Lotito und die Anhänger im Clinch. Vor seiner prunkvollen Villa San Sebastiano, eine historische Residenz in der römischen Handelsstraße, ziehen in aller Regelmäßigkeit Fanscharen auf, um gegen den eigenen Präsidenten zu protestieren. »Er lebt dort seit Jahren unter Polizeischutz«, erzählt Simonelli. »Auf der Straße kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Lazio-Ultras, was das Verhältnis zwischen Lotito und den Fans zunehmend erschüttert.«

Zuletzt geschah das Mitte Juli, als sich Marcelo Bielsa weigerte, die Stelle als Lazio-Trainer anzutreten. Sämtliche Formalitäten waren geklärt, der Vertrag bereits unterzeichnet - dennoch fehlte der Argentinier, als schließlich sein Flieger am Römer Flughafen landete. Ihm waren zum Amtsantritt mehrere Spieler versprochen worden, die letztlich aber nie kamen. Lotito will von einer derartigen Vereinbarung nichts gewusst haben und kündigte in typischer Manier an, Bielsa auf 50 Millionen Euro verklagen zu wollen. 


»Die Fans fühlen sich betrogen«
Es folgte eine verbale Schlammschlacht zwischen Lazio, Lotito und Bielsa, die offen über italienische und südamerikanische Medien ausgetragen wurde. Auf Unterstützung der Fans kann der Präsident in solchen Angelegenheiten schon lange nicht mehr zählen. »Sie fühlten sich einmal mehr betrogen und vertrauten voll und ganz den Aussagen von Bielsa«, erzählt Simonelli. »Seit dieser Sache steht Lotito endgültig alleine da.« Den Trainerposten hat mittlerweile wieder Simone Inzaghi übernommen, der im Laufe der letzten Spielzeit Stefano Pioli ersetzte, dann allerdings vieles schuldig blieb.
Derartige Widersprüche gehören mittlerweile so sehr zu Lazio, wie der grimmig dreinschauende Adler, der das Wappen bewacht. Auch Publikumsliebling Miroslav Klose erfuhr das am eigenen Leib. Er ging als Held der Tifosi, allerdings im Clinch mit Sportdirektor Igli Tare. Dieser beteuerte mehrfach gegenüber den Medien, dass er dem Deutschen zweimal einen Zweijahresvertrag plus der Möglichkeit, anschließend in das Management der Hauptstädter zu wechseln, unterbreitet habe. »Weder mir noch meinem Berater lag ein mündliches oder ein schriftliches Angebot zu irgendeinem Zeitpunkt vor«, teilte Klose wenig später der »Deutschen Presse-Agentur« mit.

Die Transferpolitik des Vereins ist das hauptsächliche Streitthema zwischen dem Präsidenten und den Anhängern. Sie fordern nach Jahren des Sparkurses eine weniger pragmatische Ausrichtung. Vor allem der Verkauf von Leistungsträgern stößt den Fans immer wieder negativ auf. Als Lotito im Januar 2014 Mittelfeldspieler Hernanes an Inter Mailand verkaufte, gab es nicht nur wieder Proteste vor seiner Villa San Sebastiano, sondern nach eigenen Angaben auch 50 bis 80 Morddrohungen gegen ihn. Auch diesen Sommer ließ der 59-Jährige einen Führungsspieler ziehen. 


Elf verkaufte Dauerkarten
Antonio Candreva, 29, wechselte für etwa 23 Millionen Euro, wieder war Inter der Abnehmer. Zwar schafft es der Unternehmer immer, das Maximum an Transfererlösen herauszuholen, den Lazio-Fans ist das aber trotzdem ein Dorn im Auge. »Die Laziali sehen sich als die Erstgeborenen der Stadt«, erzählt Simonelli und fügt hinzu: »Zu sehen, dass der verhasste Stadtrivale seit Jahren erfolgreicher spielt, tut ihnen weh.«
Am ersten Verkaufstag erwarben nur elf Personen eine Dauerkarte für die neue Saison, der Protest ist schon lange beim Durchschnittsfan angekommen. Als Reaktion besuchte Lotito mit einigen Spielern jene elf Anhänger und überraschte sie mit einem nagelneuen Trikot. Die Fotos wurden über Lazios soziale Netzwerke veröffentlicht, der Präsident lobte die letzten treuen Anhänger später öffentlich: »Vielen Dank für den unbedingten Glauben, den ihr bewiesen habt.« 


Ein neuer Negativrekord
Doch der Glaube an ein Lazio ohne Dramen und Querelen, er schwindet mehr und mehr. Die Anhänger sind all die Peinlichkeiten und Widersprüche leid. Insgesamt verkaufte Lazio nur 4000 Abos, das ist neuer Negativrekord in der Klubgeschichte. Zum ersten Heimspiel der Saison, es war gleich das Spitzenspiel gegen Juventus, fanden lediglich 35.000 Menschen den Weg ins Stadio Olimpico, es war nicht einmal zur Hälfte gefüllt.
Lazio-Experte Simonelli glaubt nicht daran, dass sich das so schnell ändert, die Gräben zwischen Präsident und Fans seien bereits viel zu tief. Der Journalist geht sogar noch einen Schritt weiter: »Ich glaube Lotito ist der meistgehasste Präsident im europäischen Fußball.« Warum jemand unter Protesten, Morddrohungen und Polizeischutz unbedingt einen Fußballklub leiten will, das weiß Simonelli indes ganz genau. Es gehe Lotito eben um Macht und Einflussnahme im Calcio, der andauernde Konflikt mit den Fans sei nicht viel mehr als ein Kollateralschaden, ein notwendiges Übel, das in Kauf zu nehmen ist.




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