Es ist dieselbe alte, neue Geschichte: Die Welt geht unter, der Klimawandel vernichtet die Erde, die Menschheit muss ins All, um einen anderen Planeten zu suchen, den sie besiedeln kann. Und in guter Hollywood-Problemlösungsmanier hat man die nächste blaue Kugel auch schon im Vorspann entdeckt, einziges Problem: Die Reise dorthin dauert 86 Jahre. Heißt: Ganz gleich, wen man auf die Mission schickt, sie oder er wird die Ankunft wohl selbst nicht erleben. Eine generationsübergreifende Aufgabe ist geboren.
„Voyagers", die 107 Minuten lange Science-Fiction-Parabel des Regisseurs Neil Burger, mit Colin Farrell in der Hauptrolle, stellt bei Amazon Prime Video durchaus interessante Fragen, allen voran: Wie gehen die Weltraumreisenden damit um, dass sie auf der Suche nach der neuen Erde ihre eigenen Bedürfnisse, ihr eigenes Leben opfern müssen?
Die Filmemacher legen das Szenario so an: Man nimmt das Genmaterial von Nobelpreisträgern und Eliteuni-Absolventinnen, züchtet dreißig Kinder durch künstliche Befruchtung, trainiert sie ohne Zugang zur Außenwelt (damit sie, im Weltraum unterwegs, nicht wissen, was ihnen fehlt) und schickt sie möglichst jung auf die lange Reise, so dass keine Zeit verloren geht. Der schwächste Punkt des Plots: Damit die Jugendlichen im All nicht die üblichen Probleme Pubertierender haben, erhalten sie jeden Tag eine Portion „von dem Blau", einem Medikament, das ihre aufkeimenden Leidenschaften dämpft und sie vor allem ziemlich brav macht.
Selbstverständlich kommt es, wie es kommen muss: Die Weltraum-Kids entdecken, dass im blauen Stoff nicht nur gute „Vitamine" sind, setzen ihn ab und - der Teenagerwahn greift um sich. Der einzige Erwachsene an Bord, Richard (Farrell), wird bei einem Reparatureinsatz getötet. Zwei Lager bilden sich, deren Anführer Christopher (Tye Sheridan), der Good Guy, und Bad Boy Zac (Fionn Whitehead) um die Vorherrschaft kämpfen.
Das alles erinnert etwas zu sehr an William Goldings Klassiker „Herr der Fliegen" (1954), in dem ebenso zwei Gruppen Jugendlicher auf einer Insel um Vorherrschaft beziehungsweise zivilisatorische Regeln kämpfen. Genau wie bei „Herr der Fliegen" wirft der Film die Frage auf: Soll ich mich an Regeln, Pflichten und bekannten Strukturen halten (Team Christopher) oder das alles in den Wind schießen und hemmungslos dem Hedonismus frönen, ohne über Moral, Konsequenzen den nächsten Tag nachzudenken (Team Zac)?
So richtig dockt die Handlung von „Voyagers" jedoch nicht an die Frage der Gesellschaftsordnung, sondern an das Thema Angst und Paranoia und deren Missbrauch als Herrschaftsinstrument an. Die beiden Jugendlager an Bord unterscheiden sich nicht nur ihren Anführern nach, sondern auch in einer Glaubensfrage. Die einen sagen: „Es gibt ein unsichtbares, gefährliches Alien an Bord, und es könnte in jedem sein." Die anderen verneinen dessen Existenz. Die Angst vor dem Unbekannten gibt Zac Macht über seine Gruppe. Wer da kommt und zu Besonnenheit, gar Vernunft mahnt, wie es im Film vor allem die junge Chefärztin Sela tut (Johnny Depps Tochter Lily-Rose Depp), der wird nicht gern gehört.
Dass es nur einen einzigen Erwachsenen an Bord gibt und dieser seine Schützlinge mit Fotos, Filmen und persönlichen Aufzeichnungen beeinflusst, konterkariert die Ausgangslage der moralisch fragwürdigen Tabula rasa in den jungen Köpfen. Doch warum haben sie dann nur die Wahl zwischen mörderischer Raserei aus Angst und buchstabengetreuer Folgsamkeit? Schon bald sterben einige der jungen Leute im Kampf um das Schiff - oder vielleicht auch im Kampf gegen das „Alien" in uns? Und damit rücken auch all die Fragen, mit denen sich der Film beschäftigen und die Charaktere vielgestaltig anlegen könnte, in den Hintergrund. Da wäre mehr drin gewesen. Sehenswert bleibt „Voyagers" als besseres Popcornheimkino gleichwohl, dafür sorgt auch das sterilweiße Set-Design, das an eine futuristische Nervenheilanstalt oder „2001: A Space Odyssey" erinnert.
Voyagers läuft bei Amazon Prime Video.