Eines von sechs Hundehäusern im Berliner Tierheim. Sie alle sind derzeit voll mit schwer vermittelbaren, schwierigen Dauergästen, 90 Prozent von ihnen haben schon Menschen gebissen. Einer davon ist Victor, ein zweieinhalb Jahre alter kaukasischer Schäferhund. Tierpfleger Daniel Prinich dreht seine tägliche Runde mit dem Rüden.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "So, na dann komm."
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Der ist zu uns während der Coronazeit gekommen als Fundtier. Wir vermuten, dass er bewusst ausgesetzt wurde. Er wurde sicherlich als kleiner Welpe in der Coronazeit angeschafft, sah furchtbar niedlich und plüschig aus, und die Leute haben nicht gewusst, was sie sich da wirklich ins Haus holen."Ins Haus geholt haben sie sich einen ausgewachsen 55 Kilo schweren Herdenschutzhund, der in mehreren Hundegesetzen als "vermutlich gefährlich" eingestuft wird, ungeeignet für die Stadt. Möglicherweise ein unbedachter Spontankauf aus unseriöser Quelle.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Meine Beobachtung, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, ist halt, dass der Hundemarkt so enorm überschwemmt ist, dass man an jeder Ecke quasi einen Hund kriegt, niemand darauf achtet, was man sich für einen Hund zulegt. Ich als Anfänger kann mir jeden Hund kaufen, den ich möchte, so dass skrupellose Händler einfach Dumpingpreise machen für Hunde. Das Ende sieht man jetzt bundesweit in den Tierheimen."Tierheime aus ganz Deutschland berichten von einer Flut an Tieren, die sie nicht mehr bewältigen können, Aufnahmestopps sind die Folge. Selbst das Berliner Tierheim, mit 16 Hektar eines der größten Europas, ist voll. Ferienzeit, unbedachte Pandemie-Käufe, Allergien, gestiegene Futter- und Tierarztkosten - Gründe gibt es viele. Fakt ist: Seit Jahren gibt es einen Haustier-Boom in Deutschland, und deswegen füllen sich auch die Heime. 2009 lebten 22,6 Millionen Tiere in deutschen Haushalten, 2019 waren es bereits 34 Millionen. Während der Pandemie beschleunigte sich der Trend noch. Allein im ersten Coronajahr 2020 stieg der Verkauf von Hunden um 20 Prozent. Insgesamt legten sich die Deutschen im selben Jahr rund eine Million Haustiere zu. 257 Hunde leben derzeit im Berliner Tierheim. Es gibt einen Aufnahmestopp und eine lange Warteliste zur Abgabe, denn die Tierpfleger und Tierpflegerinnen können sich kaum noch angemessen um die oft schwierigen Tiere kümmern. Denn eines haben viele Hunde gemeinsam, die während der Coronazeit hier landeten: Sie sind kaum erzogen, kaum sozialisiert. Hundeschulen waren während der Pandemie geschlossen, viele Besitzer überfordert, besonders, wenn die jungen Hunde in die Pubertät kamen. Die Vermittlungschancen steigert das nicht. Wenn es im Tierheim zu voll wird, nehmen Tierpfleger wie Daniel Prinich sogar immer wieder Hunde bei sich zu Hause auf. Prinich nimmt seine vier jeden Tag mit zur Arbeit.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Mittagspause ist im Prinzip: Erst mal die eigenen Hunde versorgen, und dann noch schnell ein Brot rein, dass es dann weitergeht, dass wir für die Tierheimhunde wieder da sind." Daniel Prinich, Tierpfleger: "Na, wie war's?"Nach der Pause - Prinich und Kollegen bekommen Unterstützung von einer Freiwilligen. 300 ehrenamtliche Helfer gehen mit den Hunden spazieren oder bringen sie zur Auslauffläche. Für viele eine Art Testlauf.
Anna-Maria Brodt, Ehrenamtliche Gassi-Geherin: "Ich bin zu dem Ehrenamt gekommen, weil ich mich für Hunde interessiere und überlegt hatte, ob ich vielleicht einen Hund adoptiere. Habe dann zwar für mich selber festgestellt, dass das eine riesengroße Verantwortung ist, sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und gerade in der Stadt nicht gerade leicht ist zu händeln."Diese Einsicht würde Tierheimleiterin Mareen Esmeier gerne bei mehr Menschen sehen, das würde auch das Tierheim entlasten. Denn auch das Kleintier-Haus ist voll, rund 100 Hasentiere werden hier betreut, viele mit medizinischen Problemen, was hohe Kosten verursacht.
Mareen Esmeier, Leiterin Tierheim Berlin: "Auch richtig hübsch, die Augen."Rund zehn Millionen Euro braucht der private Tierschutzverein für Berlin jährlich, um das Tierheim zu betreiben. Der Großteil stammt aus Spenden, das Land Berlin steuert rund drei Millionen bei. Das Heim ist auch der Anlaufpunkt für Behörden, die Tiere aus illegaler oder unsachgemäßer Haltung beschlagnahmt haben. Doch dieses System, so sieht es Esmeier, gerät gerade ins Wanken.
Mareen Esmeier, Leiterin Tierheim Berlin: "Wir merken das im Austausch mit anderen Tierheimen, dass die wirklich verzweifelt sind und nicht mehr wissen, wohin mit dieser Flut von Anfragen von Veterinärämtern. Die Veterinärämter schreiben deutschlandweit Tierheime an, um die Tiere noch unterbringen zu können und finden oft keinen Platz mehr. Der Vollzug des Tierschutzes ist definitiv nicht erst seit gestern in Gefahr. Uns blutet natürlich als Tierschützer das Herz, wenn wir wissen, dass dort aktuell Tiere in schlechten Bedingungen gehalten werden. Und auch wir im Tierheim werden unseren eigenen Ansprüchen derzeit nicht gerecht." Um den Druck auf die Tierheime zu verringern, fordern Tierschützer:
Fünf Millionen Euro erhielten die deutschen Tierheime im vergangenen Jahr für Mehrkosten im Zuge des Ukrainekriegs, zum Beispiel, um Tiere von Geflüchteten unterzubringen, die in Sammelunterkünften leben.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Komm, Cookie!" Zurück im Hundehaus "Struppi" bei Tierpfleger Daniel Prinich.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Jetzt bekommt Cookie sein Mittagessen. Guck mal mein Freund, ich hab's Dir hier schon hingestellt."Cookie ist ein zehn Jahre alter Spitz-Mischling. Neben seinem fortgeschrittenen Alter hat er ein Problem, an dem die Vermittlung bisher scheitert: Cookie frisst nur aus der Hand.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Untersucht wurde er schon, ob er Zahnprobleme hat. Er hat auch schon eine Zahnsanierung bei uns bekommen, da war alles gut. Vielleicht haben die Vorbesitzer ihn einfach so gefüttert, oder halt immer nur vom Tisch."Eine Vermittlung kann dauern: mehrfache Besuche, eine Probewoche - und nicht zuletzt die Fragen nach Platz, Zeit und Geld des potenziellen Halters. Viele Anforderungen müssen erfüllt sein. Zu viele, sagen einige Interessierte.
Daniel Prinich, Tierpfleger: "Manche sagen sicherlich, dass wir zu hohe Ansprüche haben. Aber wenn wir sehen, was wir für Hunde bekommen, was für Schicksale die haben, was sie erlebt haben, und sie schon mal in der Stadt gelebt haben und verhaltensauffällig geworden sind und es einfach nicht funktioniert - warum sollte man das dann noch mal tun? Aus Interesse des Hundes raus. Für Hunde ist es furchtbar, in Situationen, mit denen sie nicht klarkommen, immer wieder hingebracht zu werden."Bei Cookie ist Prinich nicht sehr optimistisch, was eine Vermittlung angeht. Die Nachfrage nach jungen, unkomplizierten Tieren ist einfach viel höher. So wie es aussieht, wird Cookie seinen Lebensabend wohl im Tierheim verbringen.