Sieben Uhr früh an einem frostigen Morgen in Berlin - am Großmarkt macht sich eine Gruppe ehrenamtlicher Lebensmittelretter an die Arbeit.
Katharina Mölter, Foodsharing Berlin "Ja, die Packung ist tadellos. Hier ist vielleicht so ein bisschen das äußere Blatt, ein bisschen faulig, aber wenn man da eine Schicht abmacht, ist das ja noch tadellos. Wie wollen wir es machen? Einfach Karton aufteilen? Ja, die zwei, drei Blätter, da können sich auch unsere Abnehmer dran gewöhnen. Wir versuchen ja auch, die Leute zu mehr Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln zu bewegen und dass auch so was dann in Kauf genommen wird, dass man vielleicht mal ein Blatt abmacht, aber dann 90 Prozent des Gemüses noch gut ist."Katharina Mölter und die sieben anderen Freiwilligen der Organisation Foodsharing sammeln genießbare Lebensmittel ein, bevor sie weggeschmissen werden. Sie setzen bei der Rettung also vor dem sogenannten Containern an, bei dem Lebensmittel aus Mülltonnen von Supermärkten gefischt werden.
Das Begutachten und Sortieren ist aufwendig, aber meist lohnt es sich.
Katharina Mölter, Foodsharing Berlin "Das ist eben auch das Typische: In einer Viererpackung hast du einen faulen Apfel, aber noch drei gute. Würde halt jetzt auch weggeschmissen werden, gerade hier, aber auch in Supermärkten, weil es halt nicht mehr die übliche Packung ist, und einzelne Äpfel verkaufen sie dann irgendwie nicht."Das Problem ist riesengroß. Geschätzt elf Millionen Tonnen Lebensmittel wandern in Deutschland jedes Jahr in den Müll. Manche, wie die Umweltschutzorganisation WWF, sprechen sogar von 18 Millionen Tonnen. Die weitaus größte Verschwendung, knapp zwei Drittel davon, passiert in den Privathaushalten - etwa 75 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Rund 25 Prozent der verschwendeten Lebensmittel fallen in Produktion, Verarbeitung und Handel an - sie werden also schon weggeworfen, bevor sie überhaupt bei den Verbrauchern landen.
Diese Verschwendung hat Katharina Mölter vor zweieinhalb Jahren dazu gebracht, nach Lösungen zu suchen - mittlerweile ist die Programmiererin an sechs Morgenden pro Woche am Großmarkt, ehrenamtlich. Doch auch wenn Foodsharing inzwischen eine offizielle Kooperation mit dem Marktbetreiber hat - nicht alle Händler können oder wollen die Retter unterstützen.
Katharina Mölter, Foodsharing Berlin "Viele, gerade auch die großen Konzerne, fürchten doch so ein bisschen um Haftungsfragen, wenn sie Lebensmittel an uns geben. Da bewegen wir uns so ein bisschen im Grauzonenbereich. Es gibt keine Sicherheit für sie, und deswegen schmeißen sie es manchmal lieber weg, bevor sie es an uns geben und im Zweifel doch irgendwie Haftung befürchten."Alexander Piutti ist mit seiner Idee gegen die Verschwendung noch am Anfang: Lebensmittelrettung ist bei ihm Geschäftsmodell. Piuttis Firma SPRK hat eine digitale Handelsplattform für überschüssige Lebensmittel aufgebaut - eine Art Dating-App für Ware, die noch auf das richtige Match wartet.
Im Berliner Lagerhaus des Start-ups landen zum Beispiel Produkte kurz vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums oder Obst und Gemüse, das nicht der Handelsnorm entspricht - wie diese zu kleinen Kartoffeln, die ein Landwirt über die Plattform verkaufen will.
Alexander Piutti, Gründer SPRK "Der Bauer kriegt das so nicht in den Handel und geht über uns sozusagen. Und wir geben es der verarbeitenden Industrie oder den Betriebsgastronomen. Und so führen wir dann auch Erlöse zurück an den Erzeuger."Aus der zu kleinen Kartoffel könnte zum Beispiel Püree in einer Kantine werden - der Produzent muss dann keine Entsorgungskosten zahlen, der Abnehmer erhält die Ware vergünstigt, und SPRK verdient an der Transaktion mit.
SPRK sucht solche "Matches" mithilfe einer künstlichen Intelligenz, die im Optimalfall in den Marktdaten wiederkehrende Muster entdeckt und Überproduktion bereits frühzeitig erkennt. Überschüsse fallen zum Beispiel bei Landwirten, in der Produktion, im Groß- und Einzelhandel an. Die Software sucht nach potenziellen Abnehmern bei Großküchen, Lebensmittelproduzenten, Organisationen wie den Tafeln und in der Gastronomie.
Rund 250 Tonnen überschüssige Ware vermittelt Alexander Piutti mit seiner Firma derzeit pro Monat. Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts von Millionen Tonnen verschwendeter Lebensmittel. Aber Piutti setzt darauf, dass ein optimierter digitaler Sekundärmarkt für Lebensmittel das Problem der Verschwendung irgendwann quasi in Luft auflöst.
Alexander Piutti, Gründer SPRK "Das ist unser eigentliches Ziel, also einerseits Verteilung, klar, Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Aber zweitens eben, und das braucht gar nicht so lange dauern, ein paar Jahre, Effizienz in der Lieferkette, die nicht da ist im Moment und die zu solchen Problemen führt. Also wenn das effizient ist, dann wird produziert und konsumiert, und da gibt es keinen großen Unterschied mehr. Es gibt keine Überproduktion mehr."Die Realität sieht noch ganz anders aus - die ehrenamtlichen Lebensmittelretter könnten jeden Tag noch weitaus mehr Essbares vor der Vernichtung bewahren und verteilen. Aber es fehlt an Zeit und Transportmöglichkeiten. Trotzdem gibt es genug für die 20 bis 30 Menschen, die jeden Tag zu Katharina Mölters Verteilstelle im Berliner Stadtteil Moabit kommen.
Gabi, Rentnerin "Meine Rente ist klein, und bei den gestiegenen Obst- und Gemüsepreisen ist das hier optimal. Dass man sich noch gesund ernähren darf, ohne jetzt nur aufs Geld achten zu müssen." Elias Schmidt, Student "Wenn es jetzt kleinere Mengen sind, nur für meinen Haushalt, aber in größeren Mengen für das Studentenwohnheim hier gleich um die Ecke. Dort haben wir eine WhatsApp-Gruppe, wo dann die Lebensmittel im Haus verteilt werden, durch den Flur oder Ähnliches. Und auch, dass es gut angenommen wird, dass viele Leute dort zugreifen."Mehr als tausend Menschen erreicht Katharina Mölter in ihren Messenger-Gruppen, wenn sie wieder eine Ladung gerettete Lebensmittel in ihren Kiez bringt. Viele davon hat sie inzwischen von der Foodsharing-Idee überzeugt. Nach einer kurzen Einarbeitung kann jeder bei der Organisation mitmachen.
Für Katharina Mölter ist das Weitergeben der geretteten Lebensmittel die Motivation, auch am nächsten Morgen wieder um sieben Uhr am Großmarkt zu sein.
Katharina Mölter, Foodsharing Berlin "Wir unterscheiden ja auch nicht, ob jetzt jemand bedürftig ist oder nicht. Bei uns ist eben jeder gleich, und jeder, der die Lebensmittel verwenden kann und sie wertschätzen kann. Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber wir haben angefangen. Und immerhin bewegen wir was. Es ist ein Anfang."