Steigende Mieten, mangelnder Wohnraum, zu wenig Neubau - Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen der Zeit und Top-Thema im Wahlkampf. Bei der "Mietendemo" in Berlin sind mehrere tausend Menschen für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße gegangen.
In Berlin hat die Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" einen Volksentscheid durchgesetzt. Es geht darum, große Immobilien-Konzerne in der Hauptstadt zu vergesellschaften, um so Mieten zu senken.
Betroffen wären privateWohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin, mit Ausnahme von Genossenschaften. Insgesamt geht es um mehr als 220.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in der Hauptstadt. Sie sollen künftig in einer Anstalt öffentlichen Rechts verwaltet werden, in der neben dem Senat auch Mieterorganisationen mitbestimmen dürften. In deren Satzung soll außerdem eine spätere Reprivatisierung ausgeschlossen werden.
Niedrigere Mieten durch Vergesellschaftung - für diese Idee engagiert sich Johannes Schorling schon seit drei Jahren. Zumindest bei einigen Mietern von Deutsche Wohnen trifft der Volksentscheid ins Schwarze.
OT Johannes Schorling, Initiative " Deutsche Wohnen und Co enteignen "
" Die Mieten sind in den letzten zehn Jahren explodiert, während die Löhne kaum gestiegen sind. Ich merke einfach in den Gesprächen mit den Leuten, dass fast alle irgendeine Geschichte mit dem Mietenwahnsinn in Berlin haben. Wenn sie nicht selbst betroffen sind, kennen sie andere, die betroffen sind. Ich glaube, dass wir mit dem Volksentscheid die historische Chance haben, da mal einen Riegel vorzuschieben um zu verhindern, dass unsere Stadt irgendwann so wird wie London oder Paris. "
In Süd-Neukölln ist jedoch nicht jeder von der Dringlichkeit des Anliegens überzeugt.
Außerhalb des Stadtzentrums hat es die Initiative schwer. Laut einer rbb-Umfrage finden zwar bis zu 47 Prozent der Berliner das Anliegen "eher gut", dem stehen jedoch 43 Prozent der Befragten mit "eher schlecht" gegenüber, Ausgang also offen.
Eine eigene Cheerleading-Truppe soll die Aktivisten für den Wahlkampf-Endspurt motivieren. Aus der Politik kommt Unterstützung von Linken und Grünen, die anderen Parteien im Abgeordnetenhaus sind gegen die Enteignung. Rechtlich bindend ist die Entscheidung für den künftigen Berliner Senat ohnehin nicht.
Skepsis herrscht vor allem, weil sich die Frage nach der Rechtssicherheit stellt - zu frisch sind die Erinnerungen an den im März vom Bundesverfassungsgericht gekippten Berliner Mietendeckel.
Unklar ist auch, wie hoch eine an die Wohnungskonzerne zu zahlende Entschädigung sein müsste. Sieben bis 13 Milliarden, sagt die Bürgerinitiative, die weit unter dem Verkehrswert der Wohnungen entschädigen will.
Mit 28 bis 36 Milliarden Euro rechnet hingegen der Berliner Senat. Die Finanzierungskosten würden den Haushalt über die zu erwartenden Mieteinnahmen hinaus mit 100 bis 340 Millionen Euro pro Jahr belasten.
Scharfe Kritik an dem Vorhaben kommt von Wirtschaftsverbänden. Man solle sich endlich auf den Neubau konzentrieren, statt viel Geld für bereits bestehende Wohnungen auszugeben, fordert der Verband der Berliner Wohnungswirtschaft.
Maren Kern, Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen" Ein wesentlicher Aspekt, der gegen die Enteignung spricht, ist die Tatsache, dass eine Entschädigung von 37 Milliarden geleistet werden müsste und das belastet den Berliner Haushalt extrem, auch nachdem wir Covid hatten und der Haushalt sowieso belastet ist, und es würde dazu führen, dass Ausgaben, die dringend notwendig sind, für die Sanierung von Schulen, für den Bau von Kindergärten, und auch für den Bau von Wohnungen, nicht zur Verfügung stehen würden. "
Die Bürgerinitiative und Aktivist Schorling machen da eine ganz andere Rechnung auf.
Johannes Schorling, Initiative " Deutsche Wohnen und Co enteignen "
" Es muss eine Entschädigung gezahlt werden, aber die kann langfristig aus den Mieten finanziert werden. Langfristig ist das für Berlin also sogar ein Gewinn, ein total guter Deal, weil das Land erwirbt eine Viertel Millionen Wohnungen und die werden auch dann, wenn die Entschädigung abbezahlt ist, weiter Mieteinnahmen abwerfen. "
Wie gut der Deal tatsächlich sein kann, weiß noch niemand. Je mehr Entschädigung bezahlt werden muss, desto geringer wäre wohl auch der Spielraum für Mietsenkungen, da die Miete ja die Entschädigungen finanzieren soll. Dementsprechend gering wäre auch der erhoffte Effekt auf den Mietspiegel.
Dem Enthusiasmus der Enteignungs-Aktivisten tun die offenen Fragen keinen Abbruch, sie wollen die letzten beiden Wochen Wohn-Wahlkampf voll für sich nutzen. Am 26. September stimmen die Berliner ab, parallel zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl.